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Bürger, Gottfried August: Vorläufige Antikritik und Anzeige. In: Intelligenzblatt oder Allgemeine Literatur-Zeitung No. 46 (1791), S. 2–4.

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[Beginn Spaltensatz] cobi, Langbein, Matthison, Ramler, C. Schmidt, Schiller, *) Schubart, Stäudlin, Stollberg, Voß und - o verzeihet, oder vielmehr dankt mir, daß ich nicht euch allen das Herzeleid anthue, euch hier zu nennen! Denn euch alle erblickt der reife und vollkommene Astralgeist so tief unter mir, als ich selbst seiner Meinung nach bisher noch unter dem höchsten Schönen geblieben bin. Welchen Erdensohn muß nicht Schwindel befallen bey solcher höchsten Höhe der Schönheit, und des neben ihr schwebenden Kunstgeistes! -

Meine Elegie, als Molly sich losreißen wollte, so werden wir weiter belehrt, gehört zu meinen mattesten Producten. Ganz einleuchtend thun dieses schon die kaum zur Hälfte ausgezogenen dicta probantia dar, ohne daß es nöthig gewesen wäre, nur noch ein Wort darüber zu verlieren. Merkt es euch, ihr vielen rohen, unreifen, unvollendeten Männer- und Weiberseelen, die ihr euch von den Naturtönen dieses Liedes so innig durchdringen, so tief rühren ließet! Ihr steht betäubt, und wißt nicht, wie euch geschieht? Oh glaubt mir, ich weiß es noch weniger. Aber tilgen aus dem künftigen Buche der Lebendigen werde ich ja nun wohl auch dieß Lied müssen. -

Kunstrichter auf andern Stühlen, die ihr doch, meinem eigenen Wunsche gemäß, mir ebenfalls nichts geschenkt habt, vernehmt es von meinem und euerm Oberrichter, daß euer so hoch gepriesenes Blümchen Wunderhold, frey heraus gesagt, Tändeley ist! Und was alsdann anders, als alberne Tändeley? -

Priester und Laien, durch Horazens: Si vis me flere - verführt, glaubten bisher immer, die Empfindungen, welche der Dichter darstellt, müßten wahr, natürlich, menschlich seyn. Sie glaubten, alsdann gelänge die Darstellung am besten, wann der Dichter sie nicht sowohl erkünstelte, als vielmehr wirklich im Busen hegte. Der reife vollkommene Kunstgeist aber weiß es besser. Idealisirt - ja, idealisirt! - müssen sie seyn. O Engel, Garve, Herder, Wieland, ich bitte euch, kommt doch herbey, diesen wundersamen aus Ariosts Monde heruntergefallenen Fund mit mir zu betrachten! - Ha, daß nicht die Lessing, die Mendelssohn, die Sulzer in ihren Gräbern sich noch umwenden! Meine neuern Gedichte, sonderlich die an Molly, taugen nichts. Denn so unnachahmlich schön in den meisten Diction und Versbau ist, so poetisch sie gesungen sind, so unpoetisch sind sie empfunden! Das nenne ich mir doch eine scharf- und tiefsinnige Antithese! Sicherlich hat sich der Kunstgeist darinn weit mehr, als ich mir in der Erfindung des Blümchens Wunderhold gefallen. Deß hatte er aber auch Ursache. Denn man denke nur den herrlichen Sinn, der daraus hervorgeht. Nicht meine, nicht irgend eines sublunarischen Menschen wahre, natürliche, eigenthümliche, sondern idealisirte, das ist, keines sterblichen Menschen Empfindungen - Abstractionen - man denke! - Abstractionen von Empfindungen müßten jene Gedichte enthalten, wenn sie etwas werth seyn sollten. - O Petrarca, Petrarca, der du eigenthümlicher, als je Einer, sangest, was du eigenthümlicher, als je Einer, für deine Laura empfandest, Sonne der lyrischen Dichtkunst, die du Jahr-[Spaltenumbruch] hunderte durchstraltest, wo bleibst du nun vor dem höhern Glanze dieses ätherischen Kunstgeistes? - Bey dem allen findet es der tiefsinnige Richter seiner Theorie nicht widersprechend, wenn er behauptet, daß alles, was der Dichter uns geben könne, nur seine Individualität sey. - -

Solche und noch mehr ähnliche Merkwürdigkeiten sind mir und unstreitig dem ganzen ästhetischen Publicum zu - merkwürdig, als daß ich nicht von einer sonst immer beobachteten Weise abgehen sollte. Noch verlor ich in meinem ganzen Leben auch nicht das kleinste gedruckte Wort über irgend eine Recension meiner Werke. Aber bey dieser muß es mir selbst von dem stolzesten und edelsten Taciturn gutgeheißen werden, wenn ich den Verfasser laut und dringend auffordere, uns seine unbegreifliche Weisheit irgendwo ausführlicher, als hier geschehen konnte, mitzutheilen, und so eine Menge Widersprüche aufzulösen, mit denen wir andere durchaus nicht fertig werden können. Besonders wünschte ich dem Begriffe einer idealisirten Empfindung, diesem mirabili dictu, nur eine einzige interessante Anschauung aus irgend einem alten oder neuen, einheimischen oder fremden Dichter, der das mirabile so recht getroffen hätte, untergelegt zu sehen. Mit Vergnügen biete ich zu dieser Ausführung meine Academie der schönen Redekünste an. Denn da ich ohnehin schon so sehr mit Wunden bedeckt bin, so mag der zürnende Kunstgenius nur vollends, so gar auf eigenem Grund und Boden, mich zum Ecce homo machen, wenn ich wirklich und überall, auch in dem gelungensten meiner Producte, mich so schwer an der Kunst des Schönen versündigt habe, als es aus dieser Recension das Ansehn gewinnet.

Ich übrigens, wenn ich einmal Beruf und Muth genug in mir gefühlt hätte, einem alten Günstlinge des Publicums so, wie der Verfasser mir, mitzuspielen, ich - ja, ich würde auch Tapferkeit genug besitzen, mein Visir aufzuziehen, wenn ich darum gebeten würde. Wohlan denn! Gestrenge und vermuthlich eben so tapfere Maske, ich bitte dich, wer bist du? Ich frage nicht deßwegen, um nur meine und des Publicums eitle Neugier zu befriedigen. Auch dürste ich nicht etwa nach vergeltender Rache an dem Beurtheiler und seinen vermuthlich ebenfalls, wenn auch nur wie der große, der göttliche Achill an der Ferse, verwundbaren und sterblichen Geisteskindern. Denn vielleicht hat er, wie Macbeth, keine Kinder. - Vielleicht, sag ich? Nein, er hat zuverlässig keine! Er ist kein Künstler, er ist ein Metaphysikus. Kein ausübender Meister erträumt sich so wichtige Fantome, als idealisirte Empfindungen sind. Hätte er aber dennoch wider allen meinen Glauben jemals ein Kind mit einer Muse erzeugt, so hätte er ihm zuverlässig schon ohne mein Zuthun in einer solchen Recension das Todesurtheil gesprochen. Daher muß ich auch nur lachen, wenn ich sie ein Meisterstück nennen und keinem geringern, als einem Engel oder Schiller beylegen höre. Wenn Männer, die Phöbus Apollo mit Geisteskindern gesegnet hat, fremder Leute Kindern Gift zubereiten wollen, so würden sie es so thun, daß wenigstens ihre eigenen nicht mit bis zum Tode daran erkrankten. Vielmehr darum wünschte ich, daß mein Richter sein Angesicht enthüllte,[Ende Spaltensatz]

*) In seinen lyrischen Producten.

[Beginn Spaltensatz] cobi, Langbein, Matthison, Ramler, C. Schmidt, Schiller, *) Schubart, Stäudlin, Stollberg, Voß und – o verzeihet, oder vielmehr dankt mir, daß ich nicht euch allen das Herzeleid anthue, euch hier zu nennen! Denn euch alle erblickt der reife und vollkommene Astralgeist so tief unter mir, als ich selbst seiner Meinung nach bisher noch unter dem höchsten Schönen geblieben bin. Welchen Erdensohn muß nicht Schwindel befallen bey solcher höchsten Höhe der Schönheit, und des neben ihr schwebenden Kunstgeistes! –

Meine Elegie, als Molly sich losreißen wollte, so werden wir weiter belehrt, gehört zu meinen mattesten Producten. Ganz einleuchtend thun dieses schon die kaum zur Hälfte ausgezogenen dicta probantia dar, ohne daß es nöthig gewesen wäre, nur noch ein Wort darüber zu verlieren. Merkt es euch, ihr vielen rohen, unreifen, unvollendeten Männer- und Weiberseelen, die ihr euch von den Naturtönen dieses Liedes so innig durchdringen, so tief rühren ließet! Ihr steht betäubt, und wißt nicht, wie euch geschieht? Oh glaubt mir, ich weiß es noch weniger. Aber tilgen aus dem künftigen Buche der Lebendigen werde ich ja nun wohl auch dieß Lied müssen. –

Kunstrichter auf andern Stühlen, die ihr doch, meinem eigenen Wunsche gemäß, mir ebenfalls nichts geschenkt habt, vernehmt es von meinem und euerm Oberrichter, daß euer so hoch gepriesenes Blümchen Wunderhold, frey heraus gesagt, Tändeley ist! Und was alsdann anders, als alberne Tändeley? –

Priester und Laien, durch Horazens: Si vis me flere – verführt, glaubten bisher immer, die Empfindungen, welche der Dichter darstellt, müßten wahr, natürlich, menschlich seyn. Sie glaubten, alsdann gelänge die Darstellung am besten, wann der Dichter sie nicht sowohl erkünstelte, als vielmehr wirklich im Busen hegte. Der reife vollkommene Kunstgeist aber weiß es besser. Idealisirt – ja, idealisirt! – müssen sie seyn. O Engel, Garve, Herder, Wieland, ich bitte euch, kommt doch herbey, diesen wundersamen aus Ariosts Monde heruntergefallenen Fund mit mir zu betrachten! – Ha, daß nicht die Lessing, die Mendelssohn, die Sulzer in ihren Gräbern sich noch umwenden! Meine neuern Gedichte, sonderlich die an Molly, taugen nichts. Denn so unnachahmlich schön in den meisten Diction und Versbau ist, so poëtisch sie gesungen sind, so unpoëtisch sind sie empfunden! Das nenne ich mir doch eine scharf- und tiefsinnige Antithese! Sicherlich hat sich der Kunstgeist darinn weit mehr, als ich mir in der Erfindung des Blümchens Wunderhold gefallen. Deß hatte er aber auch Ursache. Denn man denke nur den herrlichen Sinn, der daraus hervorgeht. Nicht meine, nicht irgend eines sublunarischen Menschen wahre, natürliche, eigenthümliche, sondern idealisirte, das ist, keines sterblichen Menschen Empfindungen – Abstractionen – man denke! – Abstractionen von Empfindungen müßten jene Gedichte enthalten, wenn sie etwas werth seyn sollten. – O Petrarca, Petrarca, der du eigenthümlicher, als je Einer, sangest, was du eigenthümlicher, als je Einer, für deine Laura empfandest, Sonne der lyrischen Dichtkunst, die du Jahr-[Spaltenumbruch] hunderte durchstraltest, wo bleibst du nun vor dem höhern Glanze dieses ätherischen Kunstgeistes? – Bey dem allen findet es der tiefsinnige Richter seiner Theorie nicht widersprechend, wenn er behauptet, daß alles, was der Dichter uns geben könne, nur seine Individualität sey. – –

Solche und noch mehr ähnliche Merkwürdigkeiten sind mir und unstreitig dem ganzen ästhetischen Publicum zu – merkwürdig, als daß ich nicht von einer sonst immer beobachteten Weise abgehen sollte. Noch verlor ich in meinem ganzen Leben auch nicht das kleinste gedruckte Wort über irgend eine Recension meiner Werke. Aber bey dieser muß es mir selbst von dem stolzesten und edelsten Taciturn gutgeheißen werden, wenn ich den Verfasser laut und dringend auffordere, uns seine unbegreifliche Weisheit irgendwo ausführlicher, als hier geschehen konnte, mitzutheilen, und so eine Menge Widersprüche aufzulösen, mit denen wir andere durchaus nicht fertig werden können. Besonders wünschte ich dem Begriffe einer idealisirten Empfindung, diesem mirabili dictu, nur eine einzige interessante Anschauung aus irgend einem alten oder neuen, einheimischen oder fremden Dichter, der das mirabile so recht getroffen hätte, untergelegt zu sehen. Mit Vergnügen biete ich zu dieser Ausführung meine Academie der schönen Redekünste an. Denn da ich ohnehin schon so sehr mit Wunden bedeckt bin, so mag der zürnende Kunstgenius nur vollends, so gar auf eigenem Grund und Boden, mich zum Ecce homo machen, wenn ich wirklich und überall, auch in dem gelungensten meiner Producte, mich so schwer an der Kunst des Schönen versündigt habe, als es aus dieser Recension das Ansehn gewinnet.

Ich übrigens, wenn ich einmal Beruf und Muth genug in mir gefühlt hätte, einem alten Günstlinge des Publicums so, wie der Verfasser mir, mitzuspielen, ich – ja, ich würde auch Tapferkeit genug besitzen, mein Visir aufzuziehen, wenn ich darum gebeten würde. Wohlan denn! Gestrenge und vermuthlich eben so tapfere Maske, ich bitte dich, wer bist du? Ich frage nicht deßwegen, um nur meine und des Publicums eitle Neugier zu befriedigen. Auch dürste ich nicht etwa nach vergeltender Rache an dem Beurtheiler und seinen vermuthlich ebenfalls, wenn auch nur wie der große, der göttliche Achill an der Ferse, verwundbaren und sterblichen Geisteskindern. Denn vielleicht hat er, wie Macbeth, keine Kinder. – Vielleicht, sag ich? Nein, er hat zuverlässig keine! Er ist kein Künstler, er ist ein Metaphysikus. Kein ausübender Meister erträumt sich so wichtige Fantome, als idealisirte Empfindungen sind. Hätte er aber dennoch wider allen meinen Glauben jemals ein Kind mit einer Muse erzeugt, so hätte er ihm zuverlässig schon ohne mein Zuthun in einer solchen Recension das Todesurtheil gesprochen. Daher muß ich auch nur lachen, wenn ich sie ein Meisterstück nennen und keinem geringern, als einem Engel oder Schiller beylegen höre. Wenn Männer, die Phöbus Apollo mit Geisteskindern gesegnet hat, fremder Leute Kindern Gift zubereiten wollen, so würden sie es so thun, daß wenigstens ihre eigenen nicht mit bis zum Tode daran erkrankten. Vielmehr darum wünschte ich, daß mein Richter sein Angesicht enthüllte,[Ende Spaltensatz]

*) In seinen lyrischen Producten.
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Ihr steht betäubt, und wißt nicht, wie euch geschieht? Oh glaubt mir, ich weiß es noch weniger. Aber tilgen aus dem künftigen Buche der Lebendigen werde ich ja nun wohl auch dieß Lied müssen. – Kunstrichter auf andern Stühlen, die ihr doch, meinem eigenen Wunsche gemäß, mir ebenfalls nichts geschenkt habt, vernehmt es von meinem und euerm Oberrichter, daß euer so hoch gepriesenes Blümchen Wunderhold, frey heraus gesagt, Tändeley ist! Und was alsdann anders, als alberne Tändeley? – Priester und Laien, durch Horazens: Si vis me flere – verführt, glaubten bisher immer, die Empfindungen, welche der Dichter darstellt, müßten wahr, natürlich, menschlich seyn. Sie glaubten, alsdann gelänge die Darstellung am besten, wann der Dichter sie nicht sowohl erkünstelte, als vielmehr wirklich im Busen hegte. Der reife vollkommene Kunstgeist aber weiß es besser. Idealisirt – ja, idealisirt! – müssen sie seyn. O Engel, Garve, Herder, Wieland, ich bitte euch, kommt doch herbey, diesen wundersamen aus Ariosts Monde heruntergefallenen Fund mit mir zu betrachten! – Ha, daß nicht die Lessing, die Mendelssohn, die Sulzer in ihren Gräbern sich noch umwenden! Meine neuern Gedichte, sonderlich die an Molly, taugen nichts. Denn so unnachahmlich schön in den meisten Diction und Versbau ist, so poëtisch sie gesungen sind, so unpoëtisch sind sie empfunden! Das nenne ich mir doch eine scharf- und tiefsinnige Antithese! Sicherlich hat sich der Kunstgeist darinn weit mehr, als ich mir in der Erfindung des Blümchens Wunderhold gefallen. Deß hatte er aber auch Ursache. Denn man denke nur den herrlichen Sinn, der daraus hervorgeht. Nicht meine, nicht irgend eines sublunarischen Menschen wahre, natürliche, eigenthümliche, sondern idealisirte, das ist, keines sterblichen Menschen Empfindungen – Abstractionen – man denke! – Abstractionen von Empfindungen müßten jene Gedichte enthalten, wenn sie etwas werth seyn sollten. – O Petrarca, Petrarca, der du eigenthümlicher, als je Einer, sangest, was du eigenthümlicher, als je Einer, für deine Laura empfandest, Sonne der lyrischen Dichtkunst, die du Jahr- hunderte durchstraltest, wo bleibst du nun vor dem höhern Glanze dieses ätherischen Kunstgeistes? – Bey dem allen findet es der tiefsinnige Richter seiner Theorie nicht widersprechend, wenn er behauptet, daß alles, was der Dichter uns geben könne, nur seine Individualität sey. – – Solche und noch mehr ähnliche Merkwürdigkeiten sind mir und unstreitig dem ganzen ästhetischen Publicum zu – merkwürdig, als daß ich nicht von einer sonst immer beobachteten Weise abgehen sollte. Noch verlor ich in meinem ganzen Leben auch nicht das kleinste gedruckte Wort über irgend eine Recension meiner Werke. Aber bey dieser muß es mir selbst von dem stolzesten und edelsten Taciturn gutgeheißen werden, wenn ich den Verfasser laut und dringend auffordere, uns seine unbegreifliche Weisheit irgendwo ausführlicher, als hier geschehen konnte, mitzutheilen, und so eine Menge Widersprüche aufzulösen, mit denen wir andere durchaus nicht fertig werden können. Besonders wünschte ich dem Begriffe einer idealisirten Empfindung, diesem mirabili dictu, nur eine einzige interessante Anschauung aus irgend einem alten oder neuen, einheimischen oder fremden Dichter, der das mirabile so recht getroffen hätte, untergelegt zu sehen. Mit Vergnügen biete ich zu dieser Ausführung meine Academie der schönen Redekünste an. Denn da ich ohnehin schon so sehr mit Wunden bedeckt bin, so mag der zürnende Kunstgenius nur vollends, so gar auf eigenem Grund und Boden, mich zum Ecce homo machen, wenn ich wirklich und überall, auch in dem gelungensten meiner Producte, mich so schwer an der Kunst des Schönen versündigt habe, als es aus dieser Recension das Ansehn gewinnet. Ich übrigens, wenn ich einmal Beruf und Muth genug in mir gefühlt hätte, einem alten Günstlinge des Publicums so, wie der Verfasser mir, mitzuspielen, ich – ja, ich würde auch Tapferkeit genug besitzen, mein Visir aufzuziehen, wenn ich darum gebeten würde. Wohlan denn! Gestrenge und vermuthlich eben so tapfere Maske, ich bitte dich, wer bist du? Ich frage nicht deßwegen, um nur meine und des Publicums eitle Neugier zu befriedigen. Auch dürste ich nicht etwa nach vergeltender Rache an dem Beurtheiler und seinen vermuthlich ebenfalls, wenn auch nur wie der große, der göttliche Achill an der Ferse, verwundbaren und sterblichen Geisteskindern. Denn vielleicht hat er, wie Macbeth, keine Kinder. – Vielleicht, sag ich? Nein, er hat zuverlässig keine! Er ist kein Künstler, er ist ein Metaphysikus. Kein ausübender Meister erträumt sich so wichtige Fantome, als idealisirte Empfindungen sind. Hätte er aber dennoch wider allen meinen Glauben jemals ein Kind mit einer Muse erzeugt, so hätte er ihm zuverlässig schon ohne mein Zuthun in einer solchen Recension das Todesurtheil gesprochen. Daher muß ich auch nur lachen, wenn ich sie ein Meisterstück nennen und keinem geringern, als einem Engel oder Schiller beylegen höre. Wenn Männer, die Phöbus Apollo mit Geisteskindern gesegnet hat, fremder Leute Kindern Gift zubereiten wollen, so würden sie es so thun, daß wenigstens ihre eigenen nicht mit bis zum Tode daran erkrankten. Vielmehr darum wünschte ich, daß mein Richter sein Angesicht enthüllte, *) In seinen lyrischen Producten.

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Universität Duisburg-Essen, Projekt Lyriktheorie (Dr. Rudolf Brandmeyer): Bereitstellung der Texttranskription. (2018-09-20T12:18:30Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-09-20T12:18:30Z)

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Zitationshilfe: Bürger, Gottfried August: Vorläufige Antikritik und Anzeige. In: Intelligenzblatt oder Allgemeine Literatur-Zeitung No. 46 (1791), S. 2–4, hier S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buerger_antikritik_1791/2>, abgerufen am 21.11.2024.