Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bürger, Gottfried August: Gedichte. Göttingen, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

gernis gefunden haben. Nachdem ich sol-
che Stellen genau vor meinem Kopf und
Herzen geprüft, so habe ich befunden, daß
das Aergernis nicht sowol gegeben, als
genommen war. Da es mir nun erlaubt
seyn wird, dafür zu halten, daß mein
Kopf keinem Schafe, und mein Herz kei-
nem Schurken gehöre; so habe ich solche
Stellen getrost stehen lassen. Eine weit-
läufige Apologie dafür zu schreiben, hiesse
dem gesunden Menschenverstande ein Aer-
gernis geben. Denn es leuchtet schon an
sich in jedes gesunde Auge, daß es jämmer-
liche Dumheit sey, die Mutter Gottes, oder
gar den Weltheiland, für entehrt zu achten,
wenn ein Dichter zur Erhöhung seines dar-
zustellenden Ideals von volkomner Weibes-
schönheit und Tugend hinzusezt:

Heiliger und schöner war
Nur die hochgebenedeite,
Die den Heiland uns gebar.

In der ersten Lesart stand zwar kaum für

nur;

gernis gefunden haben. Nachdem ich ſol-
che Stellen genau vor meinem Kopf und
Herzen gepruͤft, ſo habe ich befunden, daß
das Aergernis nicht ſowol gegeben, als
genommen war. Da es mir nun erlaubt
ſeyn wird, dafuͤr zu halten, daß mein
Kopf keinem Schafe, und mein Herz kei-
nem Schurken gehoͤre; ſo habe ich ſolche
Stellen getroſt ſtehen laſſen. Eine weit-
laͤufige Apologie dafuͤr zu ſchreiben, hieſſe
dem geſunden Menſchenverſtande ein Aer-
gernis geben. Denn es leuchtet ſchon an
ſich in jedes geſunde Auge, daß es jaͤmmer-
liche Dumheit ſey, die Mutter Gottes, oder
gar den Weltheiland, fuͤr entehrt zu achten,
wenn ein Dichter zur Erhoͤhung ſeines dar-
zuſtellenden Ideals von volkomner Weibes-
ſchoͤnheit und Tugend hinzuſezt:

Heiliger und ſchoͤner war
Nur die hochgebenedeite,
Die den Heiland uns gebar.

In der erſten Lesart ſtand zwar kaum fuͤr

nur;
<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0047" n="VIII"/>
gernis gefunden haben. Nachdem ich &#x017F;ol-<lb/>
che Stellen genau vor meinem Kopf und<lb/>
Herzen gepru&#x0364;ft, &#x017F;o habe ich befunden, daß<lb/>
das Aergernis nicht &#x017F;owol <hi rendition="#fr">gegeben,</hi> als<lb/><hi rendition="#fr">genommen</hi> war. Da es mir nun erlaubt<lb/>
&#x017F;eyn wird, dafu&#x0364;r zu halten, daß mein<lb/>
Kopf keinem Schafe, und mein Herz kei-<lb/>
nem Schurken geho&#x0364;re; &#x017F;o habe ich &#x017F;olche<lb/>
Stellen getro&#x017F;t &#x017F;tehen la&#x017F;&#x017F;en. Eine weit-<lb/>
la&#x0364;ufige Apologie dafu&#x0364;r zu &#x017F;chreiben, hie&#x017F;&#x017F;e<lb/>
dem ge&#x017F;unden Men&#x017F;chenver&#x017F;tande ein Aer-<lb/>
gernis <hi rendition="#fr">geben</hi>. Denn es leuchtet &#x017F;chon an<lb/>
&#x017F;ich in jedes ge&#x017F;unde Auge, daß es ja&#x0364;mmer-<lb/>
liche Dumheit &#x017F;ey, die Mutter Gottes, oder<lb/>
gar den Weltheiland, fu&#x0364;r entehrt zu achten,<lb/>
wenn ein Dichter zur Erho&#x0364;hung &#x017F;eines dar-<lb/>
zu&#x017F;tellenden Ideals von volkomner Weibes-<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;nheit und Tugend hinzu&#x017F;ezt:</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l>Heiliger und &#x017F;cho&#x0364;ner war</l><lb/>
          <l>Nur die hochgebenedeite,</l><lb/>
          <l>Die den Heiland uns gebar.</l>
        </lg><lb/>
        <p>In der er&#x017F;ten Lesart &#x017F;tand zwar <hi rendition="#fr">kaum</hi> fu&#x0364;r<lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">nur</hi>;</fw><lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[VIII/0047] gernis gefunden haben. Nachdem ich ſol- che Stellen genau vor meinem Kopf und Herzen gepruͤft, ſo habe ich befunden, daß das Aergernis nicht ſowol gegeben, als genommen war. Da es mir nun erlaubt ſeyn wird, dafuͤr zu halten, daß mein Kopf keinem Schafe, und mein Herz kei- nem Schurken gehoͤre; ſo habe ich ſolche Stellen getroſt ſtehen laſſen. Eine weit- laͤufige Apologie dafuͤr zu ſchreiben, hieſſe dem geſunden Menſchenverſtande ein Aer- gernis geben. Denn es leuchtet ſchon an ſich in jedes geſunde Auge, daß es jaͤmmer- liche Dumheit ſey, die Mutter Gottes, oder gar den Weltheiland, fuͤr entehrt zu achten, wenn ein Dichter zur Erhoͤhung ſeines dar- zuſtellenden Ideals von volkomner Weibes- ſchoͤnheit und Tugend hinzuſezt: Heiliger und ſchoͤner war Nur die hochgebenedeite, Die den Heiland uns gebar. In der erſten Lesart ſtand zwar kaum fuͤr nur;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buerger_gedichte_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buerger_gedichte_1778/47
Zitationshilfe: Bürger, Gottfried August: Gedichte. Göttingen, 1778, S. VIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buerger_gedichte_1778/47>, abgerufen am 21.11.2024.