Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bunge, Gustav von: Der Vegetarianismus. Berlin, 1885.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Appellation an den Instinct ergiebt
also keineswegs eine Entscheidung zu Gun-
sten der Vegetarianer.

Vor Allem aber muss hervorgehoben werden,
dass die ganze Fragestellung der Vegetarianer
von vorn herein eine unklare ist. Die Frage
lautet: welche Nahrung ist die naturgemässe?
Was heisst denn naturgemäss und naturwidrig?
Wenn es überhaupt einen Gegensatz geben kann zur
Natur, so kann es doch nichts Anderes sein als der
bewusste Wille des Menschen. Die Frage "welche
Nahrung ist die naturgemässe?" müsste also lauten:
was war unsere Nahrung, so lange wir noch vom
unbewussten Instinct uns leiten liessen, bevor wir
anfingen mit bewusster Ueberlegung eine Auswahl
zu treffen? Das heisst aber mit anderen Worten:
was war unsere Nahrung, bevor wir Mensch wurden?
Es gehört eben zur Natur des Menschen, unnatürlich
zu leben. Ist es denn nicht unnatürlich, dass das
Menschengeschlecht, dessen Wiege vielleicht in der
Tropenwelt gestanden, heraufgezogen ist in den hohen
Norden, dass wir Häuser bauen und ganze Wälder

und an anderen Orten öffentliche Fleischbänke für die Hindus,
in denen, ausser Rind, alle Arten von Fleisch, besonders aber
Lamm- und Schweinefleisch, feilgehalten werden, auch die
frömmsten Brahmanen (!) bedienen sich derselben, und es
wird, wie Heber bezeugt, Fleisch in Indien, wie in Europa
gegessen." Heber sagt: "nothing indeed seems more gene-
rally mistaken, than the supposed prohibition of animal food
lo the Hindoos. "

Die Appellation an den Instinct ergiebt
also keineswegs eine Entscheidung zu Gun-
sten der Vegetarianer.

Vor Allem aber muss hervorgehoben werden,
dass die ganze Fragestellung der Vegetarianer
von vorn herein eine unklare ist. Die Frage
lautet: welche Nahrung ist die naturgemässe?
Was heisst denn naturgemäss und naturwidrig?
Wenn es überhaupt einen Gegensatz geben kann zur
Natur, so kann es doch nichts Anderes sein als der
bewusste Wille des Menschen. Die Frage „welche
Nahrung ist die naturgemässe?“ müsste also lauten:
was war unsere Nahrung, so lange wir noch vom
unbewussten Instinct uns leiten liessen, bevor wir
anfingen mit bewusster Ueberlegung eine Auswahl
zu treffen? Das heisst aber mit anderen Worten:
was war unsere Nahrung, bevor wir Mensch wurden?
Es gehört eben zur Natur des Menschen, unnatürlich
zu leben. Ist es denn nicht unnatürlich, dass das
Menschengeschlecht, dessen Wiege vielleicht in der
Tropenwelt gestanden, heraufgezogen ist in den hohen
Norden, dass wir Häuser bauen und ganze Wälder

und an anderen Orten öffentliche Fleischbänke für die Hindus,
in denen, ausser Rind, alle Arten von Fleisch, besonders aber
Lamm- und Schweinefleisch, feilgehalten werden, auch die
frömmsten Brahmanen (!) bedienen sich derselben, und es
wird, wie Heber bezeugt, Fleisch in Indien, wie in Europa
gegessen.“ Heber sagt: „nothing indeed seems more gene-
rally mistaken, than the supposed prohibition of animal food
lo the Hindoos. “
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0017" n="16"/>
        <p> Die Appellation an den Instinct ergiebt<lb/>
also keineswegs eine Entscheidung zu Gun-<lb/>
sten der Vegetarianer.<lb/></p>
        <p> Vor Allem aber muss hervorgehoben werden,<lb/>
dass die ganze Fragestellung der Vegetarianer<lb/>
von vorn herein eine unklare ist. Die Frage<lb/>
lautet: welche Nahrung ist die naturgemässe?<lb/>
Was heisst denn naturgemäss und naturwidrig?<lb/>
Wenn es überhaupt einen Gegensatz geben kann zur<lb/>
Natur, so kann es doch nichts Anderes sein als der<lb/>
bewusste Wille des Menschen. Die Frage &#x201E;welche<lb/>
Nahrung ist die naturgemässe?&#x201C; müsste also lauten:<lb/>
was war unsere Nahrung, so lange wir noch vom<lb/>
unbewussten Instinct uns leiten liessen, bevor wir<lb/>
anfingen mit bewusster Ueberlegung eine Auswahl<lb/>
zu treffen? Das heisst aber mit anderen Worten:<lb/>
was war unsere Nahrung, bevor wir Mensch wurden?<lb/>
Es gehört eben zur Natur des Menschen, unnatürlich<lb/>
zu leben. Ist es denn nicht unnatürlich, dass das<lb/>
Menschengeschlecht, dessen Wiege vielleicht in der<lb/>
Tropenwelt gestanden, heraufgezogen ist in den hohen<lb/>
Norden, dass wir Häuser bauen und ganze Wälder<lb/><note xml:id="fn4_1" prev="#fn4" place="foot" n="4)"> und an anderen Orten öffentliche Fleischbänke für die Hindus,<lb/>
in denen, ausser Rind, alle Arten von Fleisch, besonders aber<lb/>
Lamm- und Schweinefleisch, feilgehalten werden, auch die<lb/>
frömmsten Brahmanen (!) bedienen sich derselben, und es<lb/>
wird, wie Heber bezeugt, Fleisch in Indien, wie in Europa<lb/>
gegessen.&#x201C; Heber sagt: &#x201E;nothing indeed seems more gene-<lb/>
rally mistaken, than the supposed prohibition of animal food<lb/>
lo the Hindoos. &#x201C;</note>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[16/0017] Die Appellation an den Instinct ergiebt also keineswegs eine Entscheidung zu Gun- sten der Vegetarianer. Vor Allem aber muss hervorgehoben werden, dass die ganze Fragestellung der Vegetarianer von vorn herein eine unklare ist. Die Frage lautet: welche Nahrung ist die naturgemässe? Was heisst denn naturgemäss und naturwidrig? Wenn es überhaupt einen Gegensatz geben kann zur Natur, so kann es doch nichts Anderes sein als der bewusste Wille des Menschen. Die Frage „welche Nahrung ist die naturgemässe?“ müsste also lauten: was war unsere Nahrung, so lange wir noch vom unbewussten Instinct uns leiten liessen, bevor wir anfingen mit bewusster Ueberlegung eine Auswahl zu treffen? Das heisst aber mit anderen Worten: was war unsere Nahrung, bevor wir Mensch wurden? Es gehört eben zur Natur des Menschen, unnatürlich zu leben. Ist es denn nicht unnatürlich, dass das Menschengeschlecht, dessen Wiege vielleicht in der Tropenwelt gestanden, heraufgezogen ist in den hohen Norden, dass wir Häuser bauen und ganze Wälder 4) 4) und an anderen Orten öffentliche Fleischbänke für die Hindus, in denen, ausser Rind, alle Arten von Fleisch, besonders aber Lamm- und Schweinefleisch, feilgehalten werden, auch die frömmsten Brahmanen (!) bedienen sich derselben, und es wird, wie Heber bezeugt, Fleisch in Indien, wie in Europa gegessen.“ Heber sagt: „nothing indeed seems more gene- rally mistaken, than the supposed prohibition of animal food lo the Hindoos. “

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bunge_vegetarianismus_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bunge_vegetarianismus_1885/17
Zitationshilfe: Bunge, Gustav von: Der Vegetarianismus. Berlin, 1885, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bunge_vegetarianismus_1885/17>, abgerufen am 21.11.2024.