Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite
Moderne Malerei.

Auch mit der Genremalerei welche hesonders bei den eigent-
lichen Naturalisten gedieh, dürfen wir uns nicht aufhalten. Caravag-
gio
, der Schöpfer der neuen Gattung, wählt sich zum Gefäss der-
selben das lebensgrosse venezianische Halbfigurenbild und giebt dem-
selben einen unheimlich witzigen oder schrecklichen dramatischen
aInhalt auf schlichtem dunkelm Grunde. Seine Spieler (Pal. Sciarra
bin Rom), seine lüsterne Wahrsagerin (Gal. des Capitols), seine beiden
cTrinker (Gal. von Modena) sind weltbekannt; im Grunde gehören sein
"Zinsgroschen" und "Christus unter den Schriftgelehrten" auch hie-
her. Diese Gattung, bald mehr zur Geschichte, bald mehr zum Fa-
milienporträt sich hinneigend, fand rasch durch ganz Italien Anklang,
trotz ihrer Armuth und Einseitigkeit. Die Schüler Guercins malten
Manches der Art. Der ganze Honthorst geht vorzugsweise darin
dauf, nur mehr nach der burlesken Seite hin. (Pal. Doria in Rom, Uf-
efizien in Florenz, wo u. a. sein Bestes, ein Souper von zweideutiger
Gesellschaft; Anderes in allen grössern Sammlungen.) Andere Nach-
fahmer: Manfreddi, Manetti, Giov. da S. Giovanni (Alle im
gPal. Pitti), Lionello Spada (grosse Zigeunerscene in der Gal. von
Modena); -- einiges recht Gute in der Academie von Venedig, ein
hLautenspieler mit Weib und Knabe, eine Gruppe von drei Spielern
(etwa von Carlo Saraceni? welchem die treffliche Figur eines Lau-
itenspielers im Pal. Spinola zu Genua angehört.) Andere gehen ins
harmlose Existenzbild zurück; der Capuccino und Luca Gior-
kdano malen Köchinnen mit Geflügel (Pal. Brignole in Genua; Pal.
lDoria in Rom); der Calabrese aber, vielleicht wie die Letztge-
nannten von Niederländern inspirirt, schuf ein grosses stattliches Con-
mcert in ganzen Figuren (Pal. Doria. -- Eine gute, wirklich niederländi-
nsche "Musik bei Tische" im Pal. Borghese). -- Salvators halbe und
oganze Figuren sind insgemein blosse renommistische Möblirbilder. (Pal.
Pitti: un poeta; un guerriero.)

Neben diesem caravaggesken Genre gab es seit Anfang des XVII
Jahrh. in Rom ein anderes im eigentlich niederländischen Sinn. Der
Holländer Peter van Laar, genannt Bamboccio, Michelangelo
Cerquozzi, Jan Miel
u. m. a. nordische und italienische Maler
haben in dieser Gattung die wahren Gesetze und Bedingungen erkannt
und danach manches Vortreffliche geschaffen. (Der Verfasser kennt

Moderne Malerei.

Auch mit der Genremalerei welche hesonders bei den eigent-
lichen Naturalisten gedieh, dürfen wir uns nicht aufhalten. Caravag-
gio
, der Schöpfer der neuen Gattung, wählt sich zum Gefäss der-
selben das lebensgrosse venezianische Halbfigurenbild und giebt dem-
selben einen unheimlich witzigen oder schrecklichen dramatischen
aInhalt auf schlichtem dunkelm Grunde. Seine Spieler (Pal. Sciarra
bin Rom), seine lüsterne Wahrsagerin (Gal. des Capitols), seine beiden
cTrinker (Gal. von Modena) sind weltbekannt; im Grunde gehören sein
„Zinsgroschen“ und „Christus unter den Schriftgelehrten“ auch hie-
her. Diese Gattung, bald mehr zur Geschichte, bald mehr zum Fa-
milienporträt sich hinneigend, fand rasch durch ganz Italien Anklang,
trotz ihrer Armuth und Einseitigkeit. Die Schüler Guercins malten
Manches der Art. Der ganze Honthorst geht vorzugsweise darin
dauf, nur mehr nach der burlesken Seite hin. (Pal. Doria in Rom, Uf-
efizien in Florenz, wo u. a. sein Bestes, ein Souper von zweideutiger
Gesellschaft; Anderes in allen grössern Sammlungen.) Andere Nach-
fahmer: Manfreddi, Manetti, Giov. da S. Giovanni (Alle im
gPal. Pitti), Lionello Spada (grosse Zigeunerscene in der Gal. von
Modena); — einiges recht Gute in der Academie von Venedig, ein
hLautenspieler mit Weib und Knabe, eine Gruppe von drei Spielern
(etwa von Carlo Saraceni? welchem die treffliche Figur eines Lau-
itenspielers im Pal. Spinola zu Genua angehört.) Andere gehen ins
harmlose Existenzbild zurück; der Capuccino und Luca Gior-
kdano malen Köchinnen mit Geflügel (Pal. Brignole in Genua; Pal.
lDoria in Rom); der Calabrese aber, vielleicht wie die Letztge-
nannten von Niederländern inspirirt, schuf ein grosses stattliches Con-
mcert in ganzen Figuren (Pal. Doria. — Eine gute, wirklich niederländi-
nsche „Musik bei Tische“ im Pal. Borghese). — Salvators halbe und
oganze Figuren sind insgemein blosse renommistische Möblirbilder. (Pal.
Pitti: un poeta; un guerriero.)

Neben diesem caravaggesken Genre gab es seit Anfang des XVII
Jahrh. in Rom ein anderes im eigentlich niederländischen Sinn. Der
Holländer Peter van Laar, genannt Bamboccio, Michelangelo
Cerquozzi, Jan Miel
u. m. a. nordische und italienische Maler
haben in dieser Gattung die wahren Gesetze und Bedingungen erkannt
und danach manches Vortreffliche geschaffen. (Der Verfasser kennt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f1070" n="1048"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Moderne Malerei.</hi> </fw><lb/>
        <p>Auch mit der <hi rendition="#g">Genremalerei</hi> welche hesonders bei den eigent-<lb/>
lichen Naturalisten gedieh, dürfen wir uns nicht aufhalten. <hi rendition="#g">Caravag-<lb/>
gio</hi>, der Schöpfer der neuen Gattung, wählt sich zum Gefäss der-<lb/>
selben das lebensgrosse venezianische Halbfigurenbild und giebt dem-<lb/>
selben einen unheimlich witzigen oder schrecklichen dramatischen<lb/><note place="left">a</note>Inhalt auf schlichtem dunkelm Grunde. Seine Spieler (Pal. Sciarra<lb/><note place="left">b</note>in Rom), seine lüsterne Wahrsagerin (Gal. des Capitols), seine beiden<lb/><note place="left">c</note>Trinker (Gal. von Modena) sind weltbekannt; im Grunde gehören sein<lb/>
&#x201E;Zinsgroschen&#x201C; und &#x201E;Christus unter den Schriftgelehrten&#x201C; auch hie-<lb/>
her. Diese Gattung, bald mehr zur Geschichte, bald mehr zum Fa-<lb/>
milienporträt sich hinneigend, fand rasch durch ganz Italien Anklang,<lb/>
trotz ihrer Armuth und Einseitigkeit. Die Schüler Guercins malten<lb/>
Manches der Art. Der ganze <hi rendition="#g">Honthorst</hi> geht vorzugsweise darin<lb/><note place="left">d</note>auf, nur mehr nach der burlesken Seite hin. (Pal. Doria in Rom, Uf-<lb/><note place="left">e</note>fizien in Florenz, wo u. a. sein Bestes, ein Souper von zweideutiger<lb/>
Gesellschaft; Anderes in allen grössern Sammlungen.) Andere Nach-<lb/><note place="left">f</note>ahmer: <hi rendition="#g">Manfreddi, Manetti, Giov. da S. Giovanni</hi> (Alle im<lb/><note place="left">g</note>Pal. Pitti), <hi rendition="#g">Lionello Spada</hi> (grosse Zigeunerscene in der Gal. von<lb/>
Modena); &#x2014; einiges recht Gute in der Academie von Venedig, ein<lb/><note place="left">h</note>Lautenspieler mit Weib und Knabe, eine Gruppe von drei Spielern<lb/>
(etwa von <hi rendition="#g">Carlo Saraceni</hi>? welchem die treffliche Figur eines Lau-<lb/><note place="left">i</note>tenspielers im Pal. Spinola zu Genua angehört.) Andere gehen ins<lb/>
harmlose Existenzbild zurück; der <hi rendition="#g">Capuccino</hi> und <hi rendition="#g">Luca Gior-</hi><lb/><note place="left">k</note><hi rendition="#g">dano</hi> malen Köchinnen mit Geflügel (Pal. Brignole in Genua; Pal.<lb/><note place="left">l</note>Doria in Rom); der <hi rendition="#g">Calabrese</hi> aber, vielleicht wie die Letztge-<lb/>
nannten von Niederländern inspirirt, schuf ein grosses stattliches Con-<lb/><note place="left">m</note>cert in ganzen Figuren (Pal. Doria. &#x2014; Eine gute, wirklich niederländi-<lb/><note place="left">n</note>sche &#x201E;Musik bei Tische&#x201C; im Pal. Borghese). &#x2014; <hi rendition="#g">Salvators</hi> halbe und<lb/><note place="left">o</note>ganze Figuren sind insgemein blosse renommistische Möblirbilder. (Pal.<lb/>
Pitti: un poeta; un guerriero.)</p><lb/>
        <p>Neben diesem caravaggesken Genre gab es seit Anfang des XVII<lb/>
Jahrh. in Rom ein anderes im eigentlich niederländischen Sinn. Der<lb/>
Holländer Peter van Laar, genannt <hi rendition="#g">Bamboccio, Michelangelo<lb/>
Cerquozzi, Jan Miel</hi> u. m. a. nordische und italienische Maler<lb/>
haben in dieser Gattung die wahren Gesetze und Bedingungen erkannt<lb/>
und danach manches Vortreffliche geschaffen. (Der Verfasser kennt<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1048/1070] Moderne Malerei. Auch mit der Genremalerei welche hesonders bei den eigent- lichen Naturalisten gedieh, dürfen wir uns nicht aufhalten. Caravag- gio, der Schöpfer der neuen Gattung, wählt sich zum Gefäss der- selben das lebensgrosse venezianische Halbfigurenbild und giebt dem- selben einen unheimlich witzigen oder schrecklichen dramatischen Inhalt auf schlichtem dunkelm Grunde. Seine Spieler (Pal. Sciarra in Rom), seine lüsterne Wahrsagerin (Gal. des Capitols), seine beiden Trinker (Gal. von Modena) sind weltbekannt; im Grunde gehören sein „Zinsgroschen“ und „Christus unter den Schriftgelehrten“ auch hie- her. Diese Gattung, bald mehr zur Geschichte, bald mehr zum Fa- milienporträt sich hinneigend, fand rasch durch ganz Italien Anklang, trotz ihrer Armuth und Einseitigkeit. Die Schüler Guercins malten Manches der Art. Der ganze Honthorst geht vorzugsweise darin auf, nur mehr nach der burlesken Seite hin. (Pal. Doria in Rom, Uf- fizien in Florenz, wo u. a. sein Bestes, ein Souper von zweideutiger Gesellschaft; Anderes in allen grössern Sammlungen.) Andere Nach- ahmer: Manfreddi, Manetti, Giov. da S. Giovanni (Alle im Pal. Pitti), Lionello Spada (grosse Zigeunerscene in der Gal. von Modena); — einiges recht Gute in der Academie von Venedig, ein Lautenspieler mit Weib und Knabe, eine Gruppe von drei Spielern (etwa von Carlo Saraceni? welchem die treffliche Figur eines Lau- tenspielers im Pal. Spinola zu Genua angehört.) Andere gehen ins harmlose Existenzbild zurück; der Capuccino und Luca Gior- dano malen Köchinnen mit Geflügel (Pal. Brignole in Genua; Pal. Doria in Rom); der Calabrese aber, vielleicht wie die Letztge- nannten von Niederländern inspirirt, schuf ein grosses stattliches Con- cert in ganzen Figuren (Pal. Doria. — Eine gute, wirklich niederländi- sche „Musik bei Tische“ im Pal. Borghese). — Salvators halbe und ganze Figuren sind insgemein blosse renommistische Möblirbilder. (Pal. Pitti: un poeta; un guerriero.) a b c d e f g h i k l m n o Neben diesem caravaggesken Genre gab es seit Anfang des XVII Jahrh. in Rom ein anderes im eigentlich niederländischen Sinn. Der Holländer Peter van Laar, genannt Bamboccio, Michelangelo Cerquozzi, Jan Miel u. m. a. nordische und italienische Maler haben in dieser Gattung die wahren Gesetze und Bedingungen erkannt und danach manches Vortreffliche geschaffen. (Der Verfasser kennt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/1070
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 1048. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/1070>, abgerufen am 05.12.2024.