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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Dome von Mailand und Genua.
fronten mit angenehmer Täuschung hinweggeführt wird. Man denke
sich aber diesen Reichthum der Bekleidung hinweg und sehe zu was
übrig bleibt.

Der Dom von Mailand ist eine lehrreiche Probe, wenn man einen
künstlerischen und einen phantastischen Eindruck will von einander
scheiden lernen. Der letztere, welchen man sich ungeschmälert er-
halten möge, ist hier ungeheuer; ein durchsichtiges Marmorgebirge,
hergeführt aus den Steinbrüchen von Ornavasco, prachtvoll bei Tag
und fabelhaft bei Mondschein; aussen und innen voller Sculpturen und
Glasgemälde und verknüpft mit geschichtlichen Erinnerungen aller Art --
ein Ganzes, dergleichen die Welt kein Zweites aufweist. Wer aber
in den Formen einen ewigen Gehalt sucht und weiss, welche Ent-
würfe unvollendet blieben, während der Dom von Mailand mit riesi-
gen Mitteln vollendet wurde, der wird dieses Gebäude ohne Schmerz
nicht ansehen können.


Bei diesem Anlass muss auch noch der Fassade des Domes vona
Genua gedacht werden. Sie ist ein fast ganz getreues Nachbild älterer
französischer Cathedralfronten des XIII. Jahrhunderts, nur mit denjeni-
gen Modificationen, welche der Stoff -- schichtenweis wechselnder
weisser und schwarzer Marmor -- nothwendig machte. In den obern
Theilen, zumal dem einen ausgeführten Thurm, wird das französische
Muster wieder vernachlässigt. Innen folgt auf den gewaltigen Unter-
bau der Thürme mit sonderbarem Contrast eine schlanke spitzbogige
Basilica, sogar mit doppelter Säulenstellung, (jetzt) mit Tonnengewöl-
ben bedeckt. (Anfang des XIV. Jahrhunderts.)


Nach Beseitigung der bisher genannten, unter Ausnahmsbedin-
gungen entstandenen Kirchen gehen wir zu den wahrhaft italienisch-
gothischen über, in welchen der nordische Styl weder unmittelbar,
noch in erzwungenem Mischgrad zur Geltung kömmt. Vielmehr durch-
dringen sich hier Nordisches und Südliches auf vielartige, immer auf
geistreiche Weise.

Als es noch kaum in Deutschland selber gothische Kirchen gab,

B. Cicerone. 9

Dome von Mailand und Genua.
fronten mit angenehmer Täuschung hinweggeführt wird. Man denke
sich aber diesen Reichthum der Bekleidung hinweg und sehe zu was
übrig bleibt.

Der Dom von Mailand ist eine lehrreiche Probe, wenn man einen
künstlerischen und einen phantastischen Eindruck will von einander
scheiden lernen. Der letztere, welchen man sich ungeschmälert er-
halten möge, ist hier ungeheuer; ein durchsichtiges Marmorgebirge,
hergeführt aus den Steinbrüchen von Ornavasco, prachtvoll bei Tag
und fabelhaft bei Mondschein; aussen und innen voller Sculpturen und
Glasgemälde und verknüpft mit geschichtlichen Erinnerungen aller Art —
ein Ganzes, dergleichen die Welt kein Zweites aufweist. Wer aber
in den Formen einen ewigen Gehalt sucht und weiss, welche Ent-
würfe unvollendet blieben, während der Dom von Mailand mit riesi-
gen Mitteln vollendet wurde, der wird dieses Gebäude ohne Schmerz
nicht ansehen können.


Bei diesem Anlass muss auch noch der Fassade des Domes vona
Genua gedacht werden. Sie ist ein fast ganz getreues Nachbild älterer
französischer Cathedralfronten des XIII. Jahrhunderts, nur mit denjeni-
gen Modificationen, welche der Stoff — schichtenweis wechselnder
weisser und schwarzer Marmor — nothwendig machte. In den obern
Theilen, zumal dem einen ausgeführten Thurm, wird das französische
Muster wieder vernachlässigt. Innen folgt auf den gewaltigen Unter-
bau der Thürme mit sonderbarem Contrast eine schlanke spitzbogige
Basilica, sogar mit doppelter Säulenstellung, (jetzt) mit Tonnengewöl-
ben bedeckt. (Anfang des XIV. Jahrhunderts.)


Nach Beseitigung der bisher genannten, unter Ausnahmsbedin-
gungen entstandenen Kirchen gehen wir zu den wahrhaft italienisch-
gothischen über, in welchen der nordische Styl weder unmittelbar,
noch in erzwungenem Mischgrad zur Geltung kömmt. Vielmehr durch-
dringen sich hier Nordisches und Südliches auf vielartige, immer auf
geistreiche Weise.

Als es noch kaum in Deutschland selber gothische Kirchen gab,

B. Cicerone. 9
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[129/0151] Dome von Mailand und Genua. fronten mit angenehmer Täuschung hinweggeführt wird. Man denke sich aber diesen Reichthum der Bekleidung hinweg und sehe zu was übrig bleibt. Der Dom von Mailand ist eine lehrreiche Probe, wenn man einen künstlerischen und einen phantastischen Eindruck will von einander scheiden lernen. Der letztere, welchen man sich ungeschmälert er- halten möge, ist hier ungeheuer; ein durchsichtiges Marmorgebirge, hergeführt aus den Steinbrüchen von Ornavasco, prachtvoll bei Tag und fabelhaft bei Mondschein; aussen und innen voller Sculpturen und Glasgemälde und verknüpft mit geschichtlichen Erinnerungen aller Art — ein Ganzes, dergleichen die Welt kein Zweites aufweist. Wer aber in den Formen einen ewigen Gehalt sucht und weiss, welche Ent- würfe unvollendet blieben, während der Dom von Mailand mit riesi- gen Mitteln vollendet wurde, der wird dieses Gebäude ohne Schmerz nicht ansehen können. Bei diesem Anlass muss auch noch der Fassade des Domes von Genua gedacht werden. Sie ist ein fast ganz getreues Nachbild älterer französischer Cathedralfronten des XIII. Jahrhunderts, nur mit denjeni- gen Modificationen, welche der Stoff — schichtenweis wechselnder weisser und schwarzer Marmor — nothwendig machte. In den obern Theilen, zumal dem einen ausgeführten Thurm, wird das französische Muster wieder vernachlässigt. Innen folgt auf den gewaltigen Unter- bau der Thürme mit sonderbarem Contrast eine schlanke spitzbogige Basilica, sogar mit doppelter Säulenstellung, (jetzt) mit Tonnengewöl- ben bedeckt. (Anfang des XIV. Jahrhunderts.) a Nach Beseitigung der bisher genannten, unter Ausnahmsbedin- gungen entstandenen Kirchen gehen wir zu den wahrhaft italienisch- gothischen über, in welchen der nordische Styl weder unmittelbar, noch in erzwungenem Mischgrad zur Geltung kömmt. Vielmehr durch- dringen sich hier Nordisches und Südliches auf vielartige, immer auf geistreiche Weise. Als es noch kaum in Deutschland selber gothische Kirchen gab, B. Cicerone. 9

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/151>, abgerufen am 04.12.2024.