Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Certosa von Pavia.
sein. Von den Klosterhöfen bei S. Simpliciano soll wenigstens eina
Theil Bramante's Werk sein; das bekannte Lazareth vor Porta orien-b
tale wird ihm nur durch Vermuthung zugeschrieben; das für seinen
Zweck hübsch gedachte Capellchen in der Mitte des Hofes ist wohl
bestimmt neuer.

Den Schritt in das Einfache würde die herrliche Kirche S. Ma-c
ria presso S. Celso in Mailand bezeichnen, wenn sie dem Bra-
mante sicher beizulegen wäre. Den edeln Eindruck des Backsteinvor-
hofes mit seinen Pfeilern kann selbst die bombastische Marmorfassade
des Galeazzo Alessi nicht total stören; das Innere ist eine dreischif-
fige Pfeilerkirche mit Chorumgang und cassettirtem Tonnengewölbe;
der Charakter ist der einer einfachen Pracht.

Von einem mailändischen Schüler Bramante's, Giov. Dolce-
buono
, rührt das einfache Innere von S. Maurizio oder Monasterod
maggiore her, welches man hauptsächlich wegen der Fresken Lui-
ni's aufsucht. -- S. Nazaro hat noch seinen wunderlichen achteckigene
Vorbau vom Jahr 1518 mit den Sarcophagen der Familie Trivulzi in
den oben herumgehenden Nischen; eine Construction zu welcher of-
fenbar die Sacristei von S. Satiro Anlass gab.

Schon vor Bramante's Ankunft in Mailand hatte Ambrogio
Borgognone
die Fassade der Certosa von Pavia begonnenf
(1473). Neben derjenigen des Domes von Orvieto ist sie das erste
decorative Prachtstück Italiens und der Welt. Der bauliche Gedanke
-- ein fünftheiliges Erdgeschoss und ein dreitheiliges Obergeschoss,
beide mit Galerien abgeschlossen -- ist ziemlich gering, die Anordnung
des obern Mittelfensters passt nicht harmonisch zum Uebrigen; der
ohne Zweifel beabsichtigte plastische und ornamentale Schmuck über
der obersten Balustrade fehlt. Allein die unermessliche Pracht und
zum Theil auch der feine decorative Geschmack, welche das Erd-
geschoss beherrschen, haben ein in seiner Art unvergleichliches Ganzes
hervorgebracht. Schon die Basis des Sockels beginnt mit Puttenreliefs
und Kaiserköpfen; am Sockel selbst wechseln Reliefs und Statuen in
Nischen; die Pilaster sind beinahe in Nischen aufgelöst, in welchen
sich Statuen befinden; was sonst von Flächen übrig bleibt, ist mit
Figuren und Zierrathen in Relief völlig bedeckt, Alles in weissem
Marmor. Das auf Säulen vortretende Portal ist edel gedacht; vollends

Certosa von Pavia.
sein. Von den Klosterhöfen bei S. Simpliciano soll wenigstens eina
Theil Bramante’s Werk sein; das bekannte Lazareth vor Porta orien-b
tale wird ihm nur durch Vermuthung zugeschrieben; das für seinen
Zweck hübsch gedachte Capellchen in der Mitte des Hofes ist wohl
bestimmt neuer.

Den Schritt in das Einfache würde die herrliche Kirche S. Ma-c
ria presso S. Celso in Mailand bezeichnen, wenn sie dem Bra-
mante sicher beizulegen wäre. Den edeln Eindruck des Backsteinvor-
hofes mit seinen Pfeilern kann selbst die bombastische Marmorfassade
des Galeazzo Alessi nicht total stören; das Innere ist eine dreischif-
fige Pfeilerkirche mit Chorumgang und cassettirtem Tonnengewölbe;
der Charakter ist der einer einfachen Pracht.

Von einem mailändischen Schüler Bramante’s, Giov. Dolce-
buono
, rührt das einfache Innere von S. Maurizio oder Monasterod
maggiore her, welches man hauptsächlich wegen der Fresken Lui-
ni’s aufsucht. — S. Nazaro hat noch seinen wunderlichen achteckigene
Vorbau vom Jahr 1518 mit den Sarcophagen der Familie Trivulzi in
den oben herumgehenden Nischen; eine Construction zu welcher of-
fenbar die Sacristei von S. Satiro Anlass gab.

Schon vor Bramante’s Ankunft in Mailand hatte Ambrogio
Borgognone
die Fassade der Certosa von Pavia begonnenf
(1473). Neben derjenigen des Domes von Orvieto ist sie das erste
decorative Prachtstück Italiens und der Welt. Der bauliche Gedanke
— ein fünftheiliges Erdgeschoss und ein dreitheiliges Obergeschoss,
beide mit Galerien abgeschlossen — ist ziemlich gering, die Anordnung
des obern Mittelfensters passt nicht harmonisch zum Uebrigen; der
ohne Zweifel beabsichtigte plastische und ornamentale Schmuck über
der obersten Balustrade fehlt. Allein die unermessliche Pracht und
zum Theil auch der feine decorative Geschmack, welche das Erd-
geschoss beherrschen, haben ein in seiner Art unvergleichliches Ganzes
hervorgebracht. Schon die Basis des Sockels beginnt mit Puttenreliefs
und Kaiserköpfen; am Sockel selbst wechseln Reliefs und Statuen in
Nischen; die Pilaster sind beinahe in Nischen aufgelöst, in welchen
sich Statuen befinden; was sonst von Flächen übrig bleibt, ist mit
Figuren und Zierrathen in Relief völlig bedeckt, Alles in weissem
Marmor. Das auf Säulen vortretende Portal ist edel gedacht; vollends

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0223" n="201"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Certosa von Pavia.</hi></fw><lb/>
sein. Von den Klosterhöfen bei S. Simpliciano soll wenigstens ein<note place="right">a</note><lb/>
Theil Bramante&#x2019;s Werk sein; das bekannte Lazareth vor Porta orien-<note place="right">b</note><lb/>
tale wird ihm nur durch Vermuthung zugeschrieben; das für seinen<lb/>
Zweck hübsch gedachte Capellchen in der Mitte des Hofes ist wohl<lb/>
bestimmt neuer.</p><lb/>
        <p>Den Schritt in das Einfache würde die herrliche Kirche S. <hi rendition="#g">Ma-</hi><note place="right">c</note><lb/><hi rendition="#g">ria presso S. Celso</hi> in Mailand bezeichnen, wenn sie dem Bra-<lb/>
mante sicher beizulegen wäre. Den edeln Eindruck des Backsteinvor-<lb/>
hofes mit seinen Pfeilern kann selbst die bombastische Marmorfassade<lb/>
des Galeazzo Alessi nicht total stören; das Innere ist eine dreischif-<lb/>
fige Pfeilerkirche mit Chorumgang und cassettirtem Tonnengewölbe;<lb/>
der Charakter ist der einer einfachen Pracht.</p><lb/>
        <p>Von einem mailändischen Schüler Bramante&#x2019;s, <hi rendition="#g">Giov. Dolce-<lb/>
buono</hi>, rührt das einfache Innere von S. Maurizio oder <hi rendition="#g">Monastero</hi><note place="right">d</note><lb/><hi rendition="#g">maggiore</hi> her, welches man hauptsächlich wegen der Fresken Lui-<lb/>
ni&#x2019;s aufsucht. &#x2014; S. Nazaro hat noch seinen wunderlichen achteckigen<note place="right">e</note><lb/>
Vorbau vom Jahr 1518 mit den Sarcophagen der Familie Trivulzi in<lb/>
den oben herumgehenden Nischen; eine Construction zu welcher of-<lb/>
fenbar die Sacristei von S. Satiro Anlass gab.</p><lb/>
        <p>Schon vor Bramante&#x2019;s Ankunft in Mailand hatte <hi rendition="#g">Ambrogio<lb/>
Borgognone</hi> die Fassade der <hi rendition="#g">Certosa von Pavia</hi> begonnen<note place="right">f</note><lb/>
(1473). Neben derjenigen des Domes von Orvieto ist sie das erste<lb/>
decorative Prachtstück Italiens und der Welt. Der bauliche Gedanke<lb/>
&#x2014; ein fünftheiliges Erdgeschoss und ein dreitheiliges Obergeschoss,<lb/>
beide mit Galerien abgeschlossen &#x2014; ist ziemlich gering, die Anordnung<lb/>
des obern Mittelfensters passt nicht harmonisch zum Uebrigen; der<lb/>
ohne Zweifel beabsichtigte plastische und ornamentale Schmuck über<lb/>
der obersten Balustrade fehlt. Allein die unermessliche Pracht und<lb/>
zum Theil auch der feine decorative Geschmack, welche das Erd-<lb/>
geschoss beherrschen, haben ein in seiner Art unvergleichliches Ganzes<lb/>
hervorgebracht. Schon die Basis des Sockels beginnt mit Puttenreliefs<lb/>
und Kaiserköpfen; am Sockel selbst wechseln Reliefs und Statuen in<lb/>
Nischen; die Pilaster sind beinahe in Nischen aufgelöst, in welchen<lb/>
sich Statuen befinden; was sonst von Flächen übrig bleibt, ist mit<lb/>
Figuren und Zierrathen in Relief völlig bedeckt, Alles in weissem<lb/>
Marmor. Das auf Säulen vortretende Portal ist edel gedacht; vollends<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[201/0223] Certosa von Pavia. sein. Von den Klosterhöfen bei S. Simpliciano soll wenigstens ein Theil Bramante’s Werk sein; das bekannte Lazareth vor Porta orien- tale wird ihm nur durch Vermuthung zugeschrieben; das für seinen Zweck hübsch gedachte Capellchen in der Mitte des Hofes ist wohl bestimmt neuer. a b Den Schritt in das Einfache würde die herrliche Kirche S. Ma- ria presso S. Celso in Mailand bezeichnen, wenn sie dem Bra- mante sicher beizulegen wäre. Den edeln Eindruck des Backsteinvor- hofes mit seinen Pfeilern kann selbst die bombastische Marmorfassade des Galeazzo Alessi nicht total stören; das Innere ist eine dreischif- fige Pfeilerkirche mit Chorumgang und cassettirtem Tonnengewölbe; der Charakter ist der einer einfachen Pracht. c Von einem mailändischen Schüler Bramante’s, Giov. Dolce- buono, rührt das einfache Innere von S. Maurizio oder Monastero maggiore her, welches man hauptsächlich wegen der Fresken Lui- ni’s aufsucht. — S. Nazaro hat noch seinen wunderlichen achteckigen Vorbau vom Jahr 1518 mit den Sarcophagen der Familie Trivulzi in den oben herumgehenden Nischen; eine Construction zu welcher of- fenbar die Sacristei von S. Satiro Anlass gab. d e Schon vor Bramante’s Ankunft in Mailand hatte Ambrogio Borgognone die Fassade der Certosa von Pavia begonnen (1473). Neben derjenigen des Domes von Orvieto ist sie das erste decorative Prachtstück Italiens und der Welt. Der bauliche Gedanke — ein fünftheiliges Erdgeschoss und ein dreitheiliges Obergeschoss, beide mit Galerien abgeschlossen — ist ziemlich gering, die Anordnung des obern Mittelfensters passt nicht harmonisch zum Uebrigen; der ohne Zweifel beabsichtigte plastische und ornamentale Schmuck über der obersten Balustrade fehlt. Allein die unermessliche Pracht und zum Theil auch der feine decorative Geschmack, welche das Erd- geschoss beherrschen, haben ein in seiner Art unvergleichliches Ganzes hervorgebracht. Schon die Basis des Sockels beginnt mit Puttenreliefs und Kaiserköpfen; am Sockel selbst wechseln Reliefs und Statuen in Nischen; die Pilaster sind beinahe in Nischen aufgelöst, in welchen sich Statuen befinden; was sonst von Flächen übrig bleibt, ist mit Figuren und Zierrathen in Relief völlig bedeckt, Alles in weissem Marmor. Das auf Säulen vortretende Portal ist edel gedacht; vollends f

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/223
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/223>, abgerufen am 04.12.2024.