sich mächtig gerollte Voluten entwickeln; diese, je zwei sich anein- ander drängend, bilden die weit vorspringenden vier Ecken des Ca- pitäls. Ihnen folgt die ausgeschwungene Deckplatte, deren einwärts- gehende Rundungen in der Mitte durch eine Blume unterbrochen sind.
Wer an den bessern römischen Bauten ein wohlerhaltenes Capitäl mit der nöthigen Geduld verfolgt, wird über die Fülle idealen Lebens erstaunen, die sich darin ausdrückt. Der Akanthus ist wohl ursprüng- lich die bekannte Pflanze Bärenklau; man pflücke sich aber, z. B. auf den Wiesenhöhen der Villa Pamfili, ein Blatt derselben, und überzeuge sich bei der Vergleichung mit dem architektonischen Akanthus, welch ein Genius dazu gehörte, um das Blatt so umzugestalten. In einem neuen, plastischen Stoff gedacht, gewinnt es eine Spannkraft und Bieg- samkeit, einen Reichthum der Umrisse und der Modellirung, wovon im grünen Bärenklau nur die halbversteckten Elemente liegen. Die Art, wie die Blätter über- und nebeneinander folgen, ist ebenfalls der Bewunderung werth, und so auch ihre höchste und letzte Steigerung in Gestalt der Eckvoluten; diese, als (scheinbarer) Hauptausdruck der Kraft, sind mit Rccht freier, d. h. weniger vegetabilisch gebildet, haben aber ein Akanthusblatt, das mit ihnen aus dem gleichen Stengel spriesst, zur Unterlage und Erklärung mit sich. Und jeder einzelne Theil die- ses so elastisch sprechenden Ganzen hebt sich wieder klar und deut- lich von den übrigen ab; reiche Unterhöhlungen, durch welche der Kelch als Kern des Capitäles sichtbar wird, geben zugleich dem Blatt- werk jene tiefen Schatten zur Grundlage, durch welche es erst völlig lebendig wirkt.
Eine blosse Spielart des korinthischen ist das sog. Composita- capitäl, erweislich zuerst an dem Titusbogen angewandt. (Der Dru- susbogen bei Porta S. Sebastiano in Rom ist wahrscheinlich falsch be- nannt; sonst wäre er ein noch älteres Beispiel). Die Mischung aus den zwei untern Blattreihen des korinthischen Capitäls und einem darüber- gesetzten unecht ionischen mit vier Eckvoluten (demselben etwa, wel- ches oben, in der Anmerkung zu Seite 8 beschrieben wurde) ist eine unschöne, mechanische. Es liesse sich schwer begreifen, wie man ge- rade den glänzend lebendigen obern Theil des korinthischen Capitäls opfern mochte, wenn die Mode nicht stärker wäre als Alles.
Korinthische und Composita-Ordnung.
sich mächtig gerollte Voluten entwickeln; diese, je zwei sich anein- ander drängend, bilden die weit vorspringenden vier Ecken des Ca- pitäls. Ihnen folgt die ausgeschwungene Deckplatte, deren einwärts- gehende Rundungen in der Mitte durch eine Blume unterbrochen sind.
Wer an den bessern römischen Bauten ein wohlerhaltenes Capitäl mit der nöthigen Geduld verfolgt, wird über die Fülle idealen Lebens erstaunen, die sich darin ausdrückt. Der Akanthus ist wohl ursprüng- lich die bekannte Pflanze Bärenklau; man pflücke sich aber, z. B. auf den Wiesenhöhen der Villa Pamfili, ein Blatt derselben, und überzeuge sich bei der Vergleichung mit dem architektonischen Akanthus, welch ein Genius dazu gehörte, um das Blatt so umzugestalten. In einem neuen, plastischen Stoff gedacht, gewinnt es eine Spannkraft und Bieg- samkeit, einen Reichthum der Umrisse und der Modellirung, wovon im grünen Bärenklau nur die halbversteckten Elemente liegen. Die Art, wie die Blätter über- und nebeneinander folgen, ist ebenfalls der Bewunderung werth, und so auch ihre höchste und letzte Steigerung in Gestalt der Eckvoluten; diese, als (scheinbarer) Hauptausdruck der Kraft, sind mit Rccht freier, d. h. weniger vegetabilisch gebildet, haben aber ein Akanthusblatt, das mit ihnen aus dem gleichen Stengel spriesst, zur Unterlage und Erklärung mit sich. Und jeder einzelne Theil die- ses so elastisch sprechenden Ganzen hebt sich wieder klar und deut- lich von den übrigen ab; reiche Unterhöhlungen, durch welche der Kelch als Kern des Capitäles sichtbar wird, geben zugleich dem Blatt- werk jene tiefen Schatten zur Grundlage, durch welche es erst völlig lebendig wirkt.
Eine blosse Spielart des korinthischen ist das sog. Composita- capitäl, erweislich zuerst an dem Titusbogen angewandt. (Der Dru- susbogen bei Porta S. Sebastiano in Rom ist wahrscheinlich falsch be- nannt; sonst wäre er ein noch älteres Beispiel). Die Mischung aus den zwei untern Blattreihen des korinthischen Capitäls und einem darüber- gesetzten unecht ionischen mit vier Eckvoluten (demselben etwa, wel- ches oben, in der Anmerkung zu Seite 8 beschrieben wurde) ist eine unschöne, mechanische. Es liesse sich schwer begreifen, wie man ge- rade den glänzend lebendigen obern Theil des korinthischen Capitäls opfern mochte, wenn die Mode nicht stärker wäre als Alles.
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[9/0031]
Korinthische und Composita-Ordnung.
sich mächtig gerollte Voluten entwickeln; diese, je zwei sich anein-
ander drängend, bilden die weit vorspringenden vier Ecken des Ca-
pitäls. Ihnen folgt die ausgeschwungene Deckplatte, deren einwärts-
gehende Rundungen in der Mitte durch eine Blume unterbrochen sind.
Wer an den bessern römischen Bauten ein wohlerhaltenes Capitäl
mit der nöthigen Geduld verfolgt, wird über die Fülle idealen Lebens
erstaunen, die sich darin ausdrückt. Der Akanthus ist wohl ursprüng-
lich die bekannte Pflanze Bärenklau; man pflücke sich aber, z. B. auf
den Wiesenhöhen der Villa Pamfili, ein Blatt derselben, und überzeuge
sich bei der Vergleichung mit dem architektonischen Akanthus, welch
ein Genius dazu gehörte, um das Blatt so umzugestalten. In einem
neuen, plastischen Stoff gedacht, gewinnt es eine Spannkraft und Bieg-
samkeit, einen Reichthum der Umrisse und der Modellirung, wovon
im grünen Bärenklau nur die halbversteckten Elemente liegen. Die
Art, wie die Blätter über- und nebeneinander folgen, ist ebenfalls der
Bewunderung werth, und so auch ihre höchste und letzte Steigerung
in Gestalt der Eckvoluten; diese, als (scheinbarer) Hauptausdruck der
Kraft, sind mit Rccht freier, d. h. weniger vegetabilisch gebildet, haben
aber ein Akanthusblatt, das mit ihnen aus dem gleichen Stengel spriesst,
zur Unterlage und Erklärung mit sich. Und jeder einzelne Theil die-
ses so elastisch sprechenden Ganzen hebt sich wieder klar und deut-
lich von den übrigen ab; reiche Unterhöhlungen, durch welche der
Kelch als Kern des Capitäles sichtbar wird, geben zugleich dem Blatt-
werk jene tiefen Schatten zur Grundlage, durch welche es erst völlig
lebendig wirkt.
Eine blosse Spielart des korinthischen ist das sog. Composita-
capitäl, erweislich zuerst an dem Titusbogen angewandt. (Der Dru-
susbogen bei Porta S. Sebastiano in Rom ist wahrscheinlich falsch be-
nannt; sonst wäre er ein noch älteres Beispiel). Die Mischung aus den
zwei untern Blattreihen des korinthischen Capitäls und einem darüber-
gesetzten unecht ionischen mit vier Eckvoluten (demselben etwa, wel-
ches oben, in der Anmerkung zu Seite 8 beschrieben wurde) ist eine
unschöne, mechanische. Es liesse sich schwer begreifen, wie man ge-
rade den glänzend lebendigen obern Theil des korinthischen Capitäls
opfern mochte, wenn die Mode nicht stärker wäre als Alles.
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/31>, abgerufen am 04.12.2024.
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