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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Hochrenaissance. Michelangelo.
des Baues überhaupt abgelöst, fiel sie aus wie sie zu Anfang des
XVII. Jahrhunderts ausfallen musste, als ungeheure Decoration, deren
Theile auf alle Weise vor- und rückwärts, aus- und einwärts treten
ohne Grund und Ursache. Selbst mit Anschluss an dasjenige Motiv,
welches Michelangelo an den übrigen Aussenseiten der Kirche durch-
geführt, hätte sich etwas viel Grossartigeres machen lassen. Aber
derselbe Maderna schuf auch das Innere der Vorhalle, welches eine
der schönsten modernen Bauten in ganz Rom ist. Die vorgeschriebene
Einfachheit in Gliederung und Farbe lässt die Wirkung der Verhält-
nisse ungestört.

Nach Maderna's Tode kam der noch junge Bernini über das
Gebäude (1629). Von den Glockenthürmen, welche an beiden Enden
der Fassade (wo das Auge sie nicht verlangt) prangen sollten, baute
er einen und musste ihn wieder abtragen. Beträchtlich später, schon
als Greis (1667) legte er die berühmten Colonnaden an, bei Weitem
das Beste was er überhaupt gebaut hat. Die Bildung des dorischen
Details ist nicht nur einfach, was sie bei der hundertmaligen Wieder-
holung der Formen durchaus sein musste, sondern kalt; allein fast
gar nicht barock. (Die Säulen der äussern Curven sind dicker als
die der innern.) Was die Gesammtanlage betrifft, so ist vor allem
Maderna seinem Nachfolger den grössten Dank schuldig; Bernini hat
das Mögliche gethan, um die Fassade zu heben und gross scheinen
zu lassen. Diess geschah namentlich durch die Annäherung der beiden
nächsten Hallenenden, über welche sie so weit emporragt, während
zugleich das Auge über das (in der That ziemlich starke) Ansteigen des
Platzes getäuscht und damit in der Meinung erhalten wird, sie stehe
beinahe auf demselben Plan mit den Colonnaden. Träten die Hallen-
enden weiter auseinander als die Fassade breit ist, so würde jene
Vergleichung wegfallen. In dem elliptischen Grundplan der Colonna-
den selbst liegt wiederum eine Scheinvergrösserung, indem das Auge
ihn eher für rund hält, ihm also eine Tiefe zutraut, die er nicht hat.
-- Die Stelle ist richtig gewählt; wenn S. Peter ein Atrium haben
sollte, von welchem aus die Kuppel sichtbar war, so musste dasselbe
in einige Entfernung zu liegen kommen, selbst ohne die mitbestim-
mende Rücksicht auf den schon vorhandenen Vorbau des vaticanischen
Palastes. --

Hochrenaissance. Michelangelo.
des Baues überhaupt abgelöst, fiel sie aus wie sie zu Anfang des
XVII. Jahrhunderts ausfallen musste, als ungeheure Decoration, deren
Theile auf alle Weise vor- und rückwärts, aus- und einwärts treten
ohne Grund und Ursache. Selbst mit Anschluss an dasjenige Motiv,
welches Michelangelo an den übrigen Aussenseiten der Kirche durch-
geführt, hätte sich etwas viel Grossartigeres machen lassen. Aber
derselbe Maderna schuf auch das Innere der Vorhalle, welches eine
der schönsten modernen Bauten in ganz Rom ist. Die vorgeschriebene
Einfachheit in Gliederung und Farbe lässt die Wirkung der Verhält-
nisse ungestört.

Nach Maderna’s Tode kam der noch junge Bernini über das
Gebäude (1629). Von den Glockenthürmen, welche an beiden Enden
der Fassade (wo das Auge sie nicht verlangt) prangen sollten, baute
er einen und musste ihn wieder abtragen. Beträchtlich später, schon
als Greis (1667) legte er die berühmten Colonnaden an, bei Weitem
das Beste was er überhaupt gebaut hat. Die Bildung des dorischen
Details ist nicht nur einfach, was sie bei der hundertmaligen Wieder-
holung der Formen durchaus sein musste, sondern kalt; allein fast
gar nicht barock. (Die Säulen der äussern Curven sind dicker als
die der innern.) Was die Gesammtanlage betrifft, so ist vor allem
Maderna seinem Nachfolger den grössten Dank schuldig; Bernini hat
das Mögliche gethan, um die Fassade zu heben und gross scheinen
zu lassen. Diess geschah namentlich durch die Annäherung der beiden
nächsten Hallenenden, über welche sie so weit emporragt, während
zugleich das Auge über das (in der That ziemlich starke) Ansteigen des
Platzes getäuscht und damit in der Meinung erhalten wird, sie stehe
beinahe auf demselben Plan mit den Colonnaden. Träten die Hallen-
enden weiter auseinander als die Fassade breit ist, so würde jene
Vergleichung wegfallen. In dem elliptischen Grundplan der Colonna-
den selbst liegt wiederum eine Scheinvergrösserung, indem das Auge
ihn eher für rund hält, ihm also eine Tiefe zutraut, die er nicht hat.
— Die Stelle ist richtig gewählt; wenn S. Peter ein Atrium haben
sollte, von welchem aus die Kuppel sichtbar war, so musste dasselbe
in einige Entfernung zu liegen kommen, selbst ohne die mitbestim-
mende Rücksicht auf den schon vorhandenen Vorbau des vaticanischen
Palastes. —

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[338/0360] Hochrenaissance. Michelangelo. des Baues überhaupt abgelöst, fiel sie aus wie sie zu Anfang des XVII. Jahrhunderts ausfallen musste, als ungeheure Decoration, deren Theile auf alle Weise vor- und rückwärts, aus- und einwärts treten ohne Grund und Ursache. Selbst mit Anschluss an dasjenige Motiv, welches Michelangelo an den übrigen Aussenseiten der Kirche durch- geführt, hätte sich etwas viel Grossartigeres machen lassen. Aber derselbe Maderna schuf auch das Innere der Vorhalle, welches eine der schönsten modernen Bauten in ganz Rom ist. Die vorgeschriebene Einfachheit in Gliederung und Farbe lässt die Wirkung der Verhält- nisse ungestört. Nach Maderna’s Tode kam der noch junge Bernini über das Gebäude (1629). Von den Glockenthürmen, welche an beiden Enden der Fassade (wo das Auge sie nicht verlangt) prangen sollten, baute er einen und musste ihn wieder abtragen. Beträchtlich später, schon als Greis (1667) legte er die berühmten Colonnaden an, bei Weitem das Beste was er überhaupt gebaut hat. Die Bildung des dorischen Details ist nicht nur einfach, was sie bei der hundertmaligen Wieder- holung der Formen durchaus sein musste, sondern kalt; allein fast gar nicht barock. (Die Säulen der äussern Curven sind dicker als die der innern.) Was die Gesammtanlage betrifft, so ist vor allem Maderna seinem Nachfolger den grössten Dank schuldig; Bernini hat das Mögliche gethan, um die Fassade zu heben und gross scheinen zu lassen. Diess geschah namentlich durch die Annäherung der beiden nächsten Hallenenden, über welche sie so weit emporragt, während zugleich das Auge über das (in der That ziemlich starke) Ansteigen des Platzes getäuscht und damit in der Meinung erhalten wird, sie stehe beinahe auf demselben Plan mit den Colonnaden. Träten die Hallen- enden weiter auseinander als die Fassade breit ist, so würde jene Vergleichung wegfallen. In dem elliptischen Grundplan der Colonna- den selbst liegt wiederum eine Scheinvergrösserung, indem das Auge ihn eher für rund hält, ihm also eine Tiefe zutraut, die er nicht hat. — Die Stelle ist richtig gewählt; wenn S. Peter ein Atrium haben sollte, von welchem aus die Kuppel sichtbar war, so musste dasselbe in einige Entfernung zu liegen kommen, selbst ohne die mitbestim- mende Rücksicht auf den schon vorhandenen Vorbau des vaticanischen Palastes. —

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/360>, abgerufen am 05.12.2024.