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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Statuen berühmter Griechen.

Für die werthvollste Statue dieser Art galt lange Zeit der sog.
Aristides, jetzt Aeschines des Museums von Neapel1) (Halle dera
Flora), bis in Terracina der sog. Sophokles gefunden wurde (im
Museum des Laterans, wo ein Abguss des Aeschines, wie in Nea-b
pel einer des Sophokles, zur Vergleichung in der Nähe steht). Von
diesen beiden ruhig stehenden, ganz ähnlich in Ein Gewand drapirten
Gestalten wird der Sophokles schon wegen der edlern Züge einen
Vorzug behalten; ausserdem hat das Gewand des Aristides einige
gesuchte Zierlichkeiten, namentlich in der Gegend beider Hände, einige
überflüssige Augen und Falten, zumal über dem Bauch, während das-
jenige des Sophokles einfach nur das Nöthige, dieses aber schön und
leicht giebt; endlich laufen beim Aristides die Falten von der linken
Hüfte auf das vortretende rechte Knie zu und nehmen der Figur
auf diese Weise das Gleichgewicht; beim Sophokles, wo sie denselben
Gang nehmen, wird diess harmonisch aufgehoben durch das Vortreten
des linken Knies. Die Büchse mit den Schriftrollen steht bei jenem
neben dem linken, bei Sophokles neben dem rechten Fusse.

Beide sind unzweifelhaft von griechischem Meissel geschaffen.
Diess gilt auch noch von einigen unter den Folgenden, doch nicht von
allen, indem auch die Römer aus geschichtlicher und literarischer Pie-
tät solche Statuen nach griechischen Originalen arbeiten liessen, haupt-
sächlich zum Schmuck ihrer Bibliotheken.

Zunächst mögen einige mehr oder weniger zweifelhafte genannt
werden; so der Alcibiades (S. 436, d) und der Phocion2) im Vaticanc
(Sala della Biga), letzterer eine einfach schöne bärtige Heldenfigur in
Helm und derber Chlamys, nach ihrer Wiederholung als Statuette (im
obern Gang des Vaticans) zu urtheilen ein beliebtes und bekanntes
Motiv; -- der nackte, stehende, enthusiastische Tyrtäus (in dem hierd
danach benannten Eckzimmer der Villa Borghese), von flüchtiger aber
guter Arbeit, mit zweifelhaften Restaurationen3); -- der halbnacktee
Lykurg im Vatican (Sala delle Muse) u. s. w. -- Mehrere sehr be-
rühmte, aber auch wohl nicht ganz sichere Philosophen im sog. Kaffe-f

1) Eine Wiederholung des Motivs, aus römischer Zeit, im Hof des Dogenpala-*
stes zu Venedig, unterhalb der Uhr.
2) Aristomenes der Messenier. [Br.]
3) Alcaeus. [Br.]
Statuen berühmter Griechen.

Für die werthvollste Statue dieser Art galt lange Zeit der sog.
Aristides, jetzt Aeschines des Museums von Neapel1) (Halle dera
Flora), bis in Terracina der sog. Sophokles gefunden wurde (im
Museum des Laterans, wo ein Abguss des Aeschines, wie in Nea-b
pel einer des Sophokles, zur Vergleichung in der Nähe steht). Von
diesen beiden ruhig stehenden, ganz ähnlich in Ein Gewand drapirten
Gestalten wird der Sophokles schon wegen der edlern Züge einen
Vorzug behalten; ausserdem hat das Gewand des Aristides einige
gesuchte Zierlichkeiten, namentlich in der Gegend beider Hände, einige
überflüssige Augen und Falten, zumal über dem Bauch, während das-
jenige des Sophokles einfach nur das Nöthige, dieses aber schön und
leicht giebt; endlich laufen beim Aristides die Falten von der linken
Hüfte auf das vortretende rechte Knie zu und nehmen der Figur
auf diese Weise das Gleichgewicht; beim Sophokles, wo sie denselben
Gang nehmen, wird diess harmonisch aufgehoben durch das Vortreten
des linken Knies. Die Büchse mit den Schriftrollen steht bei jenem
neben dem linken, bei Sophokles neben dem rechten Fusse.

Beide sind unzweifelhaft von griechischem Meissel geschaffen.
Diess gilt auch noch von einigen unter den Folgenden, doch nicht von
allen, indem auch die Römer aus geschichtlicher und literarischer Pie-
tät solche Statuen nach griechischen Originalen arbeiten liessen, haupt-
sächlich zum Schmuck ihrer Bibliotheken.

Zunächst mögen einige mehr oder weniger zweifelhafte genannt
werden; so der Alcibiades (S. 436, d) und der Phocion2) im Vaticanc
(Sala della Biga), letzterer eine einfach schöne bärtige Heldenfigur in
Helm und derber Chlamys, nach ihrer Wiederholung als Statuette (im
obern Gang des Vaticans) zu urtheilen ein beliebtes und bekanntes
Motiv; — der nackte, stehende, enthusiastische Tyrtäus (in dem hierd
danach benannten Eckzimmer der Villa Borghese), von flüchtiger aber
guter Arbeit, mit zweifelhaften Restaurationen3); — der halbnacktee
Lykurg im Vatican (Sala delle Muse) u. s. w. — Mehrere sehr be-
rühmte, aber auch wohl nicht ganz sichere Philosophen im sog. Kaffe-f

1) Eine Wiederholung des Motivs, aus römischer Zeit, im Hof des Dogenpala-*
stes zu Venedig, unterhalb der Uhr.
2) Aristomenes der Messenier. [Br.]
3) Alcæus. [Br.]
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[509/0531] Statuen berühmter Griechen. Für die werthvollste Statue dieser Art galt lange Zeit der sog. Aristides, jetzt Aeschines des Museums von Neapel 1) (Halle der Flora), bis in Terracina der sog. Sophokles gefunden wurde (im Museum des Laterans, wo ein Abguss des Aeschines, wie in Nea- pel einer des Sophokles, zur Vergleichung in der Nähe steht). Von diesen beiden ruhig stehenden, ganz ähnlich in Ein Gewand drapirten Gestalten wird der Sophokles schon wegen der edlern Züge einen Vorzug behalten; ausserdem hat das Gewand des Aristides einige gesuchte Zierlichkeiten, namentlich in der Gegend beider Hände, einige überflüssige Augen und Falten, zumal über dem Bauch, während das- jenige des Sophokles einfach nur das Nöthige, dieses aber schön und leicht giebt; endlich laufen beim Aristides die Falten von der linken Hüfte auf das vortretende rechte Knie zu und nehmen der Figur auf diese Weise das Gleichgewicht; beim Sophokles, wo sie denselben Gang nehmen, wird diess harmonisch aufgehoben durch das Vortreten des linken Knies. Die Büchse mit den Schriftrollen steht bei jenem neben dem linken, bei Sophokles neben dem rechten Fusse. a b Beide sind unzweifelhaft von griechischem Meissel geschaffen. Diess gilt auch noch von einigen unter den Folgenden, doch nicht von allen, indem auch die Römer aus geschichtlicher und literarischer Pie- tät solche Statuen nach griechischen Originalen arbeiten liessen, haupt- sächlich zum Schmuck ihrer Bibliotheken. Zunächst mögen einige mehr oder weniger zweifelhafte genannt werden; so der Alcibiades (S. 436, d) und der Phocion 2) im Vatican (Sala della Biga), letzterer eine einfach schöne bärtige Heldenfigur in Helm und derber Chlamys, nach ihrer Wiederholung als Statuette (im obern Gang des Vaticans) zu urtheilen ein beliebtes und bekanntes Motiv; — der nackte, stehende, enthusiastische Tyrtäus (in dem hier danach benannten Eckzimmer der Villa Borghese), von flüchtiger aber guter Arbeit, mit zweifelhaften Restaurationen 3); — der halbnackte Lykurg im Vatican (Sala delle Muse) u. s. w. — Mehrere sehr be- rühmte, aber auch wohl nicht ganz sichere Philosophen im sog. Kaffe- c d e f 1) Eine Wiederholung des Motivs, aus römischer Zeit, im Hof des Dogenpala- stes zu Venedig, unterhalb der Uhr. 2) Aristomenes der Messenier. [Br.] 3) Alcæus. [Br.]

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 509. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/531>, abgerufen am 16.07.2024.