Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite
Friedenstempel.

Die Bestimmung der Basiliken, als Börse, Stelldichein und Gerichts-
halle, war jedoch durchaus nicht an diejenige Form gebunden, welche
in Rom und anderwärts die besonders übliche sein mochte. Wir er-
fahren in der That, dass auch ganz abweichende Formen versucht
wurden, je nach den Mitteln und dem Sinn des Baumeisters. Einen
solchen Versuch erkennt man in dem sog. Friedenstempel zua
Rom, welcher eine von Maxentius (306--312) errichtete Basilica ist.
Sie hat nur die dreischiffige Eintheilung und die (jetzt nicht mehr
sichtbare) hintere Nische 1) mit der sonst üblichen Anordnung gemein,
sonst aber ist es ein Gewölbebau, dessen weite Spannungen den leb-
haftesten Verkehr einer grossen Menschenmenge gestatteten, und zwar,
des gewölbten Mittelschiffes wegen, bei jeder Witterung. Das hoch-
bedeutende Wölbungssystem -- drei Kreuzgewölbe der Länge nach
in der Mitte und drei niedrigere Tonnengewölbe auf jeder Seite --
war schon früher im Thermenbau ausgebildet worden; gegenwärtig fehlt,
auch an dem geretteten Theil, die Bekleidung, nämlich vortretende
korinthische Säulen an jedem Hauptpfeiler. (Die eine noch vorhan-
dene stellte Paul V. bei S. Maria maggiore auf.) Sie trugen das Ge-b
wölbe nur scheinbar, nicht wirklich, und desshalb vermisst sie auch
das Auge nicht, so wenig als die (vermuthliche) Säulenstellung längs
der untern Wände der drei Seitengewölbe, allein sie gewährten einst
im Ganzen einen gewiss prachtvollen Anblick. An und für sich war
die ehemalige Marmorbekleidung, nach den Fragmenten zu urtheilen,
allerdings von geringer und lahmer Bildung; die Decoration der Nische
mit kleinen Wandnischen, die mit Säulchen eingefasst waren, muss
etwas fast Kindisches gehabt haben. Die Consolen, welche diese Säul-
chen trugen, sind noch erhalten. -- Die Cassetten der drei Seitenge-
wölbe sind achteckig mit kleinen schrägen Zwischenquadraten, die der
neuern Nische sechseckig mit kleinen Zwischenrauten, die des Haupt-
schiffes hatten, nach einem Fragment zu schliessen, verschieden ge-
formte Felder -- alle aber zeigen, dass die Cassette ihre Eigenschaft,
als Abschnitt eines Deckenraumes, mit der einfachen quadratischen

1) Ihre Grundmauern sind in den Gebäuden auf der Seite gegen das Capitol hin
noch vorhanden. Die jetzige Nische, am rechten Nebenschiff, ist ein etwas
späterer Zusatz.
Friedenstempel.

Die Bestimmung der Basiliken, als Börse, Stelldichein und Gerichts-
halle, war jedoch durchaus nicht an diejenige Form gebunden, welche
in Rom und anderwärts die besonders übliche sein mochte. Wir er-
fahren in der That, dass auch ganz abweichende Formen versucht
wurden, je nach den Mitteln und dem Sinn des Baumeisters. Einen
solchen Versuch erkennt man in dem sog. Friedenstempel zua
Rom, welcher eine von Maxentius (306—312) errichtete Basilica ist.
Sie hat nur die dreischiffige Eintheilung und die (jetzt nicht mehr
sichtbare) hintere Nische 1) mit der sonst üblichen Anordnung gemein,
sonst aber ist es ein Gewölbebau, dessen weite Spannungen den leb-
haftesten Verkehr einer grossen Menschenmenge gestatteten, und zwar,
des gewölbten Mittelschiffes wegen, bei jeder Witterung. Das hoch-
bedeutende Wölbungssystem — drei Kreuzgewölbe der Länge nach
in der Mitte und drei niedrigere Tonnengewölbe auf jeder Seite —
war schon früher im Thermenbau ausgebildet worden; gegenwärtig fehlt,
auch an dem geretteten Theil, die Bekleidung, nämlich vortretende
korinthische Säulen an jedem Hauptpfeiler. (Die eine noch vorhan-
dene stellte Paul V. bei S. Maria maggiore auf.) Sie trugen das Ge-b
wölbe nur scheinbar, nicht wirklich, und desshalb vermisst sie auch
das Auge nicht, so wenig als die (vermuthliche) Säulenstellung längs
der untern Wände der drei Seitengewölbe, allein sie gewährten einst
im Ganzen einen gewiss prachtvollen Anblick. An und für sich war
die ehemalige Marmorbekleidung, nach den Fragmenten zu urtheilen,
allerdings von geringer und lahmer Bildung; die Decoration der Nische
mit kleinen Wandnischen, die mit Säulchen eingefasst waren, muss
etwas fast Kindisches gehabt haben. Die Consolen, welche diese Säul-
chen trugen, sind noch erhalten. — Die Cassetten der drei Seitenge-
wölbe sind achteckig mit kleinen schrägen Zwischenquadraten, die der
neuern Nische sechseckig mit kleinen Zwischenrauten, die des Haupt-
schiffes hatten, nach einem Fragment zu schliessen, verschieden ge-
formte Felder — alle aber zeigen, dass die Cassette ihre Eigenschaft,
als Abschnitt eines Deckenraumes, mit der einfachen quadratischen

1) Ihre Grundmauern sind in den Gebäuden auf der Seite gegen das Capitol hin
noch vorhanden. Die jetzige Nische, am rechten Nebenschiff, ist ein etwas
späterer Zusatz.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0063" n="41"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Friedenstempel.</hi> </fw><lb/>
        <p>Die Bestimmung der Basiliken, als Börse, Stelldichein und Gerichts-<lb/>
halle, war jedoch durchaus nicht an diejenige Form gebunden, welche<lb/>
in Rom und anderwärts die besonders übliche sein mochte. Wir er-<lb/>
fahren in der That, dass auch ganz abweichende Formen versucht<lb/>
wurden, je nach den Mitteln und dem Sinn des Baumeisters. Einen<lb/>
solchen Versuch erkennt man in dem sog. <hi rendition="#g">Friedenstempel</hi> zu<note place="right">a</note><lb/>
Rom, welcher eine von Maxentius (306&#x2014;312) errichtete Basilica ist.<lb/>
Sie hat nur die dreischiffige Eintheilung und die (jetzt nicht mehr<lb/>
sichtbare) hintere Nische <note place="foot" n="1)">Ihre Grundmauern sind in den Gebäuden auf der Seite gegen das Capitol hin<lb/>
noch vorhanden. Die jetzige Nische, am rechten Nebenschiff, ist ein etwas<lb/>
späterer Zusatz.</note> mit der sonst üblichen Anordnung gemein,<lb/>
sonst aber ist es ein Gewölbebau, dessen weite Spannungen den leb-<lb/>
haftesten Verkehr einer grossen Menschenmenge gestatteten, und zwar,<lb/>
des gewölbten Mittelschiffes wegen, bei jeder Witterung. Das hoch-<lb/>
bedeutende Wölbungssystem &#x2014; drei Kreuzgewölbe der Länge nach<lb/>
in der Mitte und drei niedrigere Tonnengewölbe auf jeder Seite &#x2014;<lb/>
war schon früher im Thermenbau ausgebildet worden; gegenwärtig fehlt,<lb/>
auch an dem geretteten Theil, die Bekleidung, nämlich vortretende<lb/>
korinthische Säulen an jedem Hauptpfeiler. (Die eine noch vorhan-<lb/>
dene stellte Paul V. bei S. Maria maggiore auf.) Sie trugen das Ge-<note place="right">b</note><lb/>
wölbe nur scheinbar, nicht wirklich, und desshalb vermisst sie auch<lb/>
das Auge nicht, so wenig als die (vermuthliche) Säulenstellung längs<lb/>
der untern Wände der drei Seitengewölbe, allein sie gewährten einst<lb/>
im Ganzen einen gewiss prachtvollen Anblick. An und für sich war<lb/>
die ehemalige Marmorbekleidung, nach den Fragmenten zu urtheilen,<lb/>
allerdings von geringer und lahmer Bildung; die Decoration der Nische<lb/>
mit kleinen Wandnischen, die mit Säulchen eingefasst waren, muss<lb/>
etwas fast Kindisches gehabt haben. Die Consolen, welche diese Säul-<lb/>
chen trugen, sind noch erhalten. &#x2014; Die Cassetten der drei Seitenge-<lb/>
wölbe sind achteckig mit kleinen schrägen Zwischenquadraten, die der<lb/>
neuern Nische sechseckig mit kleinen Zwischenrauten, die des Haupt-<lb/>
schiffes hatten, nach einem Fragment zu schliessen, verschieden ge-<lb/>
formte Felder &#x2014; alle aber zeigen, dass die Cassette ihre Eigenschaft,<lb/>
als Abschnitt eines Deckenraumes, mit der einfachen quadratischen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[41/0063] Friedenstempel. Die Bestimmung der Basiliken, als Börse, Stelldichein und Gerichts- halle, war jedoch durchaus nicht an diejenige Form gebunden, welche in Rom und anderwärts die besonders übliche sein mochte. Wir er- fahren in der That, dass auch ganz abweichende Formen versucht wurden, je nach den Mitteln und dem Sinn des Baumeisters. Einen solchen Versuch erkennt man in dem sog. Friedenstempel zu Rom, welcher eine von Maxentius (306—312) errichtete Basilica ist. Sie hat nur die dreischiffige Eintheilung und die (jetzt nicht mehr sichtbare) hintere Nische 1) mit der sonst üblichen Anordnung gemein, sonst aber ist es ein Gewölbebau, dessen weite Spannungen den leb- haftesten Verkehr einer grossen Menschenmenge gestatteten, und zwar, des gewölbten Mittelschiffes wegen, bei jeder Witterung. Das hoch- bedeutende Wölbungssystem — drei Kreuzgewölbe der Länge nach in der Mitte und drei niedrigere Tonnengewölbe auf jeder Seite — war schon früher im Thermenbau ausgebildet worden; gegenwärtig fehlt, auch an dem geretteten Theil, die Bekleidung, nämlich vortretende korinthische Säulen an jedem Hauptpfeiler. (Die eine noch vorhan- dene stellte Paul V. bei S. Maria maggiore auf.) Sie trugen das Ge- wölbe nur scheinbar, nicht wirklich, und desshalb vermisst sie auch das Auge nicht, so wenig als die (vermuthliche) Säulenstellung längs der untern Wände der drei Seitengewölbe, allein sie gewährten einst im Ganzen einen gewiss prachtvollen Anblick. An und für sich war die ehemalige Marmorbekleidung, nach den Fragmenten zu urtheilen, allerdings von geringer und lahmer Bildung; die Decoration der Nische mit kleinen Wandnischen, die mit Säulchen eingefasst waren, muss etwas fast Kindisches gehabt haben. Die Consolen, welche diese Säul- chen trugen, sind noch erhalten. — Die Cassetten der drei Seitenge- wölbe sind achteckig mit kleinen schrägen Zwischenquadraten, die der neuern Nische sechseckig mit kleinen Zwischenrauten, die des Haupt- schiffes hatten, nach einem Fragment zu schliessen, verschieden ge- formte Felder — alle aber zeigen, dass die Cassette ihre Eigenschaft, als Abschnitt eines Deckenraumes, mit der einfachen quadratischen a b 1) Ihre Grundmauern sind in den Gebäuden auf der Seite gegen das Capitol hin noch vorhanden. Die jetzige Nische, am rechten Nebenschiff, ist ein etwas späterer Zusatz.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/63
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/63>, abgerufen am 04.12.2024.