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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Schüler Jacopo Sansovino's. Campagna.
den entsprechenden bronzefarbenen Figuren in der Sistina fast ganz
unabhängig erscheinen.) Die beiden Karyatiden, welche die Thür tra-a
gen, sind von Vittoria. -- Von den Reliefs in den Bogen sind auch
wieder die Felder mit einzelnen Figuren die glücklichsten.

Zwei frühe Schüler Sansovin's scheinen Tiziano Minio von
Padua und Desiderio von Florenz gewesen zu sein, welche den
ehernen Deckel des Taufbeckens in S. Marco verfertigten. Die er-b
zählenden Reliefs sind in der Composition vom Besten der ganzen
Schule, den Meister selbst nicht ausgenommen. (Die Statue des Täu-
fers später, 1565, von Franc. Segala.) -- Minio's Statuen zweierc
heiligen Bischöfe hinter dem Hochaltar des Santo in Padua sind bei
ihrer jetzigen Aufstellung so viel als unsichtbar.


Unter allen Schülern aber ist Girolamo Campagna der be-
deutendste und überhaupt einer von den sehr wenigen Bildhauern,
welche noch nach der Mitte des XVI. Jahrh. eine naive Liebens-
würdigkeit beibehielten. -- In S. Giuliano zu Venedig (Cap. links vomd
Chor) sieht man sein Hochrelief des todten Christus mit zwei Engeln;
die Linien sind nicht mustergültig, die Gewandung schon etwas ma-
nierirt, aber Ausdruck und Bildung sehr edel und schön. -- In S.
Giorgio maggiore ist die bronzene Hochaltargruppe von ihm; diee
vier Evangelisten tragen halbknieend eine grosse Weltkugel, auf wel-
cher der Erlöser steht. Eher als Evangelisten hätten dämonische
Naturmächte, Engel u. dgl. für diese Stellung gepasst, auch kann die
lebendige Behandlung und die würdige Bildung der Köpfe nicht ganz
vergessen machen, dass es dem Künstler etwas zu sehr um plastisch
interessante Motive des Tragens zu thun war; aber der Salvator ist
einfach und ganz grossartig.

Seine einzeln stehenden Statuen muss man nie streng nach den
Linien, sondern nach dem Ausdruck und nach dem Lebensgefühl
beurtheilen, wie diess von den gleichzeitigen venez. Malern in noch
viel weiterm Sinne gilt. Seine Bronzestatuen des heil. Marcus undf
des heil. Franciscus, welche nach dem Gekreuzigten emporschauen
(auf dem Hochaltar des Redentore) sind innerhalb dieser Grenzen
vortrefflich, zumal der so schön und schmerzlich begeisterte Marcus;
in dem Gekreuzigten bemerkt man bei einer guten und gemässigten

B. Cicerone. 42

Schüler Jacopo Sansovino’s. Campagna.
den entsprechenden bronzefarbenen Figuren in der Sistina fast ganz
unabhängig erscheinen.) Die beiden Karyatiden, welche die Thür tra-a
gen, sind von Vittoria. — Von den Reliefs in den Bogen sind auch
wieder die Felder mit einzelnen Figuren die glücklichsten.

Zwei frühe Schüler Sansovin’s scheinen Tiziano Minio von
Padua und Desiderio von Florenz gewesen zu sein, welche den
ehernen Deckel des Taufbeckens in S. Marco verfertigten. Die er-b
zählenden Reliefs sind in der Composition vom Besten der ganzen
Schule, den Meister selbst nicht ausgenommen. (Die Statue des Täu-
fers später, 1565, von Franc. Segala.) — Minio’s Statuen zweierc
heiligen Bischöfe hinter dem Hochaltar des Santo in Padua sind bei
ihrer jetzigen Aufstellung so viel als unsichtbar.


Unter allen Schülern aber ist Girolamo Campagna der be-
deutendste und überhaupt einer von den sehr wenigen Bildhauern,
welche noch nach der Mitte des XVI. Jahrh. eine naive Liebens-
würdigkeit beibehielten. — In S. Giuliano zu Venedig (Cap. links vomd
Chor) sieht man sein Hochrelief des todten Christus mit zwei Engeln;
die Linien sind nicht mustergültig, die Gewandung schon etwas ma-
nierirt, aber Ausdruck und Bildung sehr edel und schön. — In S.
Giorgio maggiore ist die bronzene Hochaltargruppe von ihm; diee
vier Evangelisten tragen halbknieend eine grosse Weltkugel, auf wel-
cher der Erlöser steht. Eher als Evangelisten hätten dämonische
Naturmächte, Engel u. dgl. für diese Stellung gepasst, auch kann die
lebendige Behandlung und die würdige Bildung der Köpfe nicht ganz
vergessen machen, dass es dem Künstler etwas zu sehr um plastisch
interessante Motive des Tragens zu thun war; aber der Salvator ist
einfach und ganz grossartig.

Seine einzeln stehenden Statuen muss man nie streng nach den
Linien, sondern nach dem Ausdruck und nach dem Lebensgefühl
beurtheilen, wie diess von den gleichzeitigen venez. Malern in noch
viel weiterm Sinne gilt. Seine Bronzestatuen des heil. Marcus undf
des heil. Franciscus, welche nach dem Gekreuzigten emporschauen
(auf dem Hochaltar des Redentore) sind innerhalb dieser Grenzen
vortrefflich, zumal der so schön und schmerzlich begeisterte Marcus;
in dem Gekreuzigten bemerkt man bei einer guten und gemässigten

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[657/0679] Schüler Jacopo Sansovino’s. Campagna. den entsprechenden bronzefarbenen Figuren in der Sistina fast ganz unabhängig erscheinen.) Die beiden Karyatiden, welche die Thür tra- gen, sind von Vittoria. — Von den Reliefs in den Bogen sind auch wieder die Felder mit einzelnen Figuren die glücklichsten. a Zwei frühe Schüler Sansovin’s scheinen Tiziano Minio von Padua und Desiderio von Florenz gewesen zu sein, welche den ehernen Deckel des Taufbeckens in S. Marco verfertigten. Die er- zählenden Reliefs sind in der Composition vom Besten der ganzen Schule, den Meister selbst nicht ausgenommen. (Die Statue des Täu- fers später, 1565, von Franc. Segala.) — Minio’s Statuen zweier heiligen Bischöfe hinter dem Hochaltar des Santo in Padua sind bei ihrer jetzigen Aufstellung so viel als unsichtbar. b c Unter allen Schülern aber ist Girolamo Campagna der be- deutendste und überhaupt einer von den sehr wenigen Bildhauern, welche noch nach der Mitte des XVI. Jahrh. eine naive Liebens- würdigkeit beibehielten. — In S. Giuliano zu Venedig (Cap. links vom Chor) sieht man sein Hochrelief des todten Christus mit zwei Engeln; die Linien sind nicht mustergültig, die Gewandung schon etwas ma- nierirt, aber Ausdruck und Bildung sehr edel und schön. — In S. Giorgio maggiore ist die bronzene Hochaltargruppe von ihm; die vier Evangelisten tragen halbknieend eine grosse Weltkugel, auf wel- cher der Erlöser steht. Eher als Evangelisten hätten dämonische Naturmächte, Engel u. dgl. für diese Stellung gepasst, auch kann die lebendige Behandlung und die würdige Bildung der Köpfe nicht ganz vergessen machen, dass es dem Künstler etwas zu sehr um plastisch interessante Motive des Tragens zu thun war; aber der Salvator ist einfach und ganz grossartig. d e Seine einzeln stehenden Statuen muss man nie streng nach den Linien, sondern nach dem Ausdruck und nach dem Lebensgefühl beurtheilen, wie diess von den gleichzeitigen venez. Malern in noch viel weiterm Sinne gilt. Seine Bronzestatuen des heil. Marcus und des heil. Franciscus, welche nach dem Gekreuzigten emporschauen (auf dem Hochaltar des Redentore) sind innerhalb dieser Grenzen vortrefflich, zumal der so schön und schmerzlich begeisterte Marcus; in dem Gekreuzigten bemerkt man bei einer guten und gemässigten f B. Cicerone. 42

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 657. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/679>, abgerufen am 16.07.2024.