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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Capella Sistina. Schule von Padua.
warum ein Rafael und ein Michelangelo kommen mussten und wie
sehr diese in lauter Leben und Charakter sich selbst verlierende Kunst
es nöthig hatte, wieder auf das Höchste zurückgewiesen zu werden.

Und doch ist auch dieses Höchste hier stellenweise anzutreffen.
In Ghirlandajo's "Berufung des Petrus und Andreas zum Apostelamt"
ist dem Ereigniss die ergreifendste und feierlichste Seite abgewonnen
und zur Hauptsache gemacht; es ist wie eine Vorahnung von Rafaels
"Fischzug Petri" und "Pasce oves meas!" --

Die Pracht der Ausstattung, welche in diesen Gemälden herrscht,
entspricht ganz dem Sinne Sixtus IV, der die Vergoldung und das
Leuchten der Farben über die Massen liebte.


Inzwischen war in Oberitalien die Schule von Padua unab-
hängig von den Florentinern und auf einem eigenthümlichen Umwege
zum Realismus durchgedrungen. Ihr Gründer, Francesco Squar-
cione
(1394--1474), hatte in Italien und Griechenland antike Sta-
tuen, Reliefs, Ornamentstücke etc. gesammelt, nach welchen in seiner
Werkstatt studirt wurde, emsig, aber ganz einseitig. Von irgend
einem Eingehen auf das Lebensprincip der antiken Sculptur, welches
auch für die Malerei belehrend und theilweise massgebend hätte sein
können, war nicht die Rede. Man schätzte an ihr nicht die Verein-
fachung der Erscheinung, auch nicht die dadurch erreichte Idealität,
sondern den Reichthum der Detailbildung, vermöge dessen vielleicht
spätere, raffinirte Sculpturen gerade die meiste Verehrung genossen.
Diese Bestimmtheit der Lebensformen, die sich hier vorfand, im Ge-
mälde wiederzugeben, war nun das Ziel der Schule; daher ihre pla-
stische Schärfe und Härte. Sodann entlehnte die sehr ornament-
liebende Schule eine Menge decorative Elemente von den genannten
und andern Resten des Alterthums, namentlich römischen Gebäuden.

Zugleich aber war auch der realistische Trieb des Jahrhunderts
gerade hier sehr stark, und mischte sich auf eine ganz wunderliche
Weise mit dem Studium der Antiken. Er gab die Seele, letzteres
nur einen Theil der Äusserungsweise her. Vorzüglich in der Gewan-

Capella Sistina. Schule von Padua.
warum ein Rafael und ein Michelangelo kommen mussten und wie
sehr diese in lauter Leben und Charakter sich selbst verlierende Kunst
es nöthig hatte, wieder auf das Höchste zurückgewiesen zu werden.

Und doch ist auch dieses Höchste hier stellenweise anzutreffen.
In Ghirlandajo’s „Berufung des Petrus und Andreas zum Apostelamt“
ist dem Ereigniss die ergreifendste und feierlichste Seite abgewonnen
und zur Hauptsache gemacht; es ist wie eine Vorahnung von Rafaels
„Fischzug Petri“ und „Pasce oves meas!“ —

Die Pracht der Ausstattung, welche in diesen Gemälden herrscht,
entspricht ganz dem Sinne Sixtus IV, der die Vergoldung und das
Leuchten der Farben über die Massen liebte.


Inzwischen war in Oberitalien die Schule von Padua unab-
hängig von den Florentinern und auf einem eigenthümlichen Umwege
zum Realismus durchgedrungen. Ihr Gründer, Francesco Squar-
cione
(1394—1474), hatte in Italien und Griechenland antike Sta-
tuen, Reliefs, Ornamentstücke etc. gesammelt, nach welchen in seiner
Werkstatt studirt wurde, emsig, aber ganz einseitig. Von irgend
einem Eingehen auf das Lebensprincip der antiken Sculptur, welches
auch für die Malerei belehrend und theilweise massgebend hätte sein
können, war nicht die Rede. Man schätzte an ihr nicht die Verein-
fachung der Erscheinung, auch nicht die dadurch erreichte Idealität,
sondern den Reichthum der Detailbildung, vermöge dessen vielleicht
spätere, raffinirte Sculpturen gerade die meiste Verehrung genossen.
Diese Bestimmtheit der Lebensformen, die sich hier vorfand, im Ge-
mälde wiederzugeben, war nun das Ziel der Schule; daher ihre pla-
stische Schärfe und Härte. Sodann entlehnte die sehr ornament-
liebende Schule eine Menge decorative Elemente von den genannten
und andern Resten des Alterthums, namentlich römischen Gebäuden.

Zugleich aber war auch der realistische Trieb des Jahrhunderts
gerade hier sehr stark, und mischte sich auf eine ganz wunderliche
Weise mit dem Studium der Antiken. Er gab die Seele, letzteres
nur einen Theil der Äusserungsweise her. Vorzüglich in der Gewan-

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[811/0833] Capella Sistina. Schule von Padua. warum ein Rafael und ein Michelangelo kommen mussten und wie sehr diese in lauter Leben und Charakter sich selbst verlierende Kunst es nöthig hatte, wieder auf das Höchste zurückgewiesen zu werden. Und doch ist auch dieses Höchste hier stellenweise anzutreffen. In Ghirlandajo’s „Berufung des Petrus und Andreas zum Apostelamt“ ist dem Ereigniss die ergreifendste und feierlichste Seite abgewonnen und zur Hauptsache gemacht; es ist wie eine Vorahnung von Rafaels „Fischzug Petri“ und „Pasce oves meas!“ — Die Pracht der Ausstattung, welche in diesen Gemälden herrscht, entspricht ganz dem Sinne Sixtus IV, der die Vergoldung und das Leuchten der Farben über die Massen liebte. Inzwischen war in Oberitalien die Schule von Padua unab- hängig von den Florentinern und auf einem eigenthümlichen Umwege zum Realismus durchgedrungen. Ihr Gründer, Francesco Squar- cione (1394—1474), hatte in Italien und Griechenland antike Sta- tuen, Reliefs, Ornamentstücke etc. gesammelt, nach welchen in seiner Werkstatt studirt wurde, emsig, aber ganz einseitig. Von irgend einem Eingehen auf das Lebensprincip der antiken Sculptur, welches auch für die Malerei belehrend und theilweise massgebend hätte sein können, war nicht die Rede. Man schätzte an ihr nicht die Verein- fachung der Erscheinung, auch nicht die dadurch erreichte Idealität, sondern den Reichthum der Detailbildung, vermöge dessen vielleicht spätere, raffinirte Sculpturen gerade die meiste Verehrung genossen. Diese Bestimmtheit der Lebensformen, die sich hier vorfand, im Ge- mälde wiederzugeben, war nun das Ziel der Schule; daher ihre pla- stische Schärfe und Härte. Sodann entlehnte die sehr ornament- liebende Schule eine Menge decorative Elemente von den genannten und andern Resten des Alterthums, namentlich römischen Gebäuden. Zugleich aber war auch der realistische Trieb des Jahrhunderts gerade hier sehr stark, und mischte sich auf eine ganz wunderliche Weise mit dem Studium der Antiken. Er gab die Seele, letzteres nur einen Theil der Äusserungsweise her. Vorzüglich in der Gewan-

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 811. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/833>, abgerufen am 16.07.2024.