-- Von der Pieta und dem Crucifixus weiss ich kein Exemplar in ital. Sammlungen anzugeben, ebensowenig von den berühmten mytho- logischen Compositionen: Ganymed, Leda, Venus von Amor geküsst; von letzterer soll eine Wiederholung im Museum von Neapel sein 1).a
Einen höhern Rang nehmen natürlich solche Bilder ein, welche Michelangelo unter seinen Augen ausführen liess, hauptsächlich durch Sebastian dal Piombo. Das wichtigste derselben, die Erweckung des Lazarus, befindet sich in London; -- dann folgt die Geisselungb Christi in S. Pietro in montorio zu Rom (1. Cap. r. in Öl auf die Mauer gemalt); hier ist das Unleidliche gross gegeben, die bewegten Schergen heben die duldende Hauptfigur unbeschreiblich wirksam hervor. Die umgebenden Malereien sollen ebenfalls nach M.'s Entwürfen aus- geführt sein. (Eine gute kleine Wiederholung im Pal. Borghese.) --c Endlich wird bei der Kreuzabnahme des Daniele da Volterrad in Trinita de' monti (1. Cap. l.) immer der Gedanke erwachen, dass Michelangelo das Beste daran erfunden habe, indem alle übrigen Werke des Daniele erstaunlich weit hinter diesem zurückstehen. Gar zu wun- derbar schön ist das Heruntersinken des Leichnams, um welchen die auf den Leitern Stehenden gleichsam eine Aureola bilden; gar zu vor- trefflich motivirt und vertheilt sind die Bewegungen der Letztern. Auch die untere Gruppe um die ohnmächtige Madonna ist vorzüglich, setzt aber schon das pathologische Interesse an die Stelle des rein Tragischen. (Das ganze Bild stark verletzt und restaurirt.)
Eine eigentliche Schule hat Michelangelo nicht gehabt; er führte seine Fresken ohne Gehülfen aus. Denjenigen, welche sich (meist in seiner spätesten Zeit) auf irgend eine Weise an ihn anschlossen, wer- den wir unter den Manieristen wieder begegnen. Sein Beispiel war auch in der Malerei das verhängnissvollste. Niemand hätte Das wollen dürfen, was er gewollt und mit seiner riesigen Kraft durchgeführt hatte; Jedermann aber wünschte doch solche Wirkungen hervorzu- bringen wie Er. Als er starb waren alle Standpunkte in den sämmt- lichen Künsten verrückt; Alle strebten ins Unbedingte hinaus, weil
1) Von den gemalten Porträts des M. ist dasjenige in der capitolinischen Gale-* rie (laut Platner von Marcello Venusti) wohl das beste. Dasjenige in den** Uffizien scheint eine unbedeutende Arbeit des XVII. Jahrh. zu sein.
Einzelne Compositionen.
— Von der Pietà und dem Crucifixus weiss ich kein Exemplar in ital. Sammlungen anzugeben, ebensowenig von den berühmten mytho- logischen Compositionen: Ganymed, Leda, Venus von Amor geküsst; von letzterer soll eine Wiederholung im Museum von Neapel sein 1).a
Einen höhern Rang nehmen natürlich solche Bilder ein, welche Michelangelo unter seinen Augen ausführen liess, hauptsächlich durch Sebastian dal Piombo. Das wichtigste derselben, die Erweckung des Lazarus, befindet sich in London; — dann folgt die Geisselungb Christi in S. Pietro in montorio zu Rom (1. Cap. r. in Öl auf die Mauer gemalt); hier ist das Unleidliche gross gegeben, die bewegten Schergen heben die duldende Hauptfigur unbeschreiblich wirksam hervor. Die umgebenden Malereien sollen ebenfalls nach M.’s Entwürfen aus- geführt sein. (Eine gute kleine Wiederholung im Pal. Borghese.) —c Endlich wird bei der Kreuzabnahme des Daniele da Volterrad in Trinità de’ monti (1. Cap. l.) immer der Gedanke erwachen, dass Michelangelo das Beste daran erfunden habe, indem alle übrigen Werke des Daniele erstaunlich weit hinter diesem zurückstehen. Gar zu wun- derbar schön ist das Heruntersinken des Leichnams, um welchen die auf den Leitern Stehenden gleichsam eine Aureola bilden; gar zu vor- trefflich motivirt und vertheilt sind die Bewegungen der Letztern. Auch die untere Gruppe um die ohnmächtige Madonna ist vorzüglich, setzt aber schon das pathologische Interesse an die Stelle des rein Tragischen. (Das ganze Bild stark verletzt und restaurirt.)
Eine eigentliche Schule hat Michelangelo nicht gehabt; er führte seine Fresken ohne Gehülfen aus. Denjenigen, welche sich (meist in seiner spätesten Zeit) auf irgend eine Weise an ihn anschlossen, wer- den wir unter den Manieristen wieder begegnen. Sein Beispiel war auch in der Malerei das verhängnissvollste. Niemand hätte Das wollen dürfen, was er gewollt und mit seiner riesigen Kraft durchgeführt hatte; Jedermann aber wünschte doch solche Wirkungen hervorzu- bringen wie Er. Als er starb waren alle Standpunkte in den sämmt- lichen Künsten verrückt; Alle strebten ins Unbedingte hinaus, weil
1) Von den gemalten Porträts des M. ist dasjenige in der capitolinischen Gale-* rie (laut Platner von Marcello Venusti) wohl das beste. Dasjenige in den** Uffizien scheint eine unbedeutende Arbeit des XVII. Jahrh. zu sein.
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Einzelne Compositionen.
— Von der Pietà und dem Crucifixus weiss ich kein Exemplar in
ital. Sammlungen anzugeben, ebensowenig von den berühmten mytho-
logischen Compositionen: Ganymed, Leda, Venus von Amor geküsst;
von letzterer soll eine Wiederholung im Museum von Neapel sein 1).
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Einen höhern Rang nehmen natürlich solche Bilder ein, welche
Michelangelo unter seinen Augen ausführen liess, hauptsächlich durch
Sebastian dal Piombo. Das wichtigste derselben, die Erweckung des
Lazarus, befindet sich in London; — dann folgt die Geisselung
Christi in S. Pietro in montorio zu Rom (1. Cap. r. in Öl auf die
Mauer gemalt); hier ist das Unleidliche gross gegeben, die bewegten
Schergen heben die duldende Hauptfigur unbeschreiblich wirksam hervor.
Die umgebenden Malereien sollen ebenfalls nach M.’s Entwürfen aus-
geführt sein. (Eine gute kleine Wiederholung im Pal. Borghese.) —
Endlich wird bei der Kreuzabnahme des Daniele da Volterra
in Trinità de’ monti (1. Cap. l.) immer der Gedanke erwachen, dass
Michelangelo das Beste daran erfunden habe, indem alle übrigen Werke
des Daniele erstaunlich weit hinter diesem zurückstehen. Gar zu wun-
derbar schön ist das Heruntersinken des Leichnams, um welchen die
auf den Leitern Stehenden gleichsam eine Aureola bilden; gar zu vor-
trefflich motivirt und vertheilt sind die Bewegungen der Letztern.
Auch die untere Gruppe um die ohnmächtige Madonna ist vorzüglich,
setzt aber schon das pathologische Interesse an die Stelle des rein
Tragischen. (Das ganze Bild stark verletzt und restaurirt.)
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Eine eigentliche Schule hat Michelangelo nicht gehabt; er führte
seine Fresken ohne Gehülfen aus. Denjenigen, welche sich (meist in
seiner spätesten Zeit) auf irgend eine Weise an ihn anschlossen, wer-
den wir unter den Manieristen wieder begegnen. Sein Beispiel war
auch in der Malerei das verhängnissvollste. Niemand hätte Das wollen
dürfen, was er gewollt und mit seiner riesigen Kraft durchgeführt
hatte; Jedermann aber wünschte doch solche Wirkungen hervorzu-
bringen wie Er. Als er starb waren alle Standpunkte in den sämmt-
lichen Künsten verrückt; Alle strebten ins Unbedingte hinaus, weil
1) Von den gemalten Porträts des M. ist dasjenige in der capitolinischen Gale-
rie (laut Platner von Marcello Venusti) wohl das beste. Dasjenige in den
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 879. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/901>, abgerufen am 05.12.2024.
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