Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael.
ordnet und wollen nicht die Individualität charakterisiren. Der Typus,
von der lange dauernden römischen Schönheit, ist in mehrern histor.
Compositionen Rafaels frei benützt, ohne dass man an eigentliches Mo-
dellsitzen zu denken hätte 1).


Unter den monumentalen Aufträgen, welche Rafael für Ju-
alius II und Leo X ausführte, nehmen die Malereien in den Zimmern
des Vaticans
(le stanze) den ersten Rang ein. Bei dem uner-

1) *Die sehr schönen Porträts des Cavaliere Tibaldeo und des Card. Passerini
im Museum von Neapel werden R. gegenwärtig abgesprochen. -- Der fälsch-
lich benannte Cesare Borgia im Pal. Borghese zu Rom könnte wohl (Seite
853, d) ein ganz vortreffliches deutsches Bild sein. -- Das weibliche Porträt in
**der Stanza dell' educazione di Giove des Pal. Pitti, Nr. 245 gleicht wohl
etwas der sixtin. Madonna und auch der echten Fornarina, ist aber derge-
stalt übermalt, dass man kaum mehr als die Zeit des Costüms bestimmen kann,
welche allerdings dem Anfang des XVI. Jahrhunderts entspricht.
Natürlich trägt in den italienischen Galerien noch manches Bild den gros-
+sen Namen mit Unrecht. Das Bild im Pal. Pallavicini zu Genua ist eine ehe-
mals gute, mit neuern Accessorien vergrösserte Schulcopie der Madonna des
Museums von Neapel (reveil de l'enfant).
++In der Madonna di San Luca (Sammlung der gleichnamigen Academie
zu Rom) gilt nur ein Theil des Lucas als R.'s eigenhändige Arbeit, der Rest
*+kaum für seine Erfindung. -- Mariä Krönung (in der vaticanischen Galerie das
spätere Bild) ist notorisch von Giulio Romano und Francesco Penni ausge-
führt. Ersterer hat im obern Theil offenbar einen rafaelischen Entwurf wenig-
stens partiell benützt; man erkennt Anklänge, die an die Vierge de Fran-
cois I erinnern. Letzterer dagegen hat die untere Gruppe der Apostel selbst
erfunden. Mit der untern Gruppe der Transfiguration verglichen, zeigt sie
noch einmal auf das Bündigste den Abstand zwischen den Meister und dem
+*Schüler. -- Der Rafael in der Galerie von Parma scheint mir eine parme-
sanische, etwa von Girolamo Mazzola herrührende Reproduction des Vier-
heiligenstiches von Marc Anton, wobei der Johannes demjenigen des Coreggio
in der Tribuna von S. Giovanni genähert wurde. -- Aber schon der Stich
selbst ist schwerlich nach "einer Zeichnung Rafaels" gemacht, wie Vasari
sagt, sondern viel eher ein Pasticcio des Marc Anton nach einzelnen Figu-
ren aus der Disputa, der zweiten vaticanischen Assunta und den Aposteln
von S. Vincenzo alle tre fontane. -- Der Rafael in der Galerie von Modena
ist ein geringes Bild eines Schülers des Perugino.

Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael.
ordnet und wollen nicht die Individualität charakterisiren. Der Typus,
von der lange dauernden römischen Schönheit, ist in mehrern histor.
Compositionen Rafaels frei benützt, ohne dass man an eigentliches Mo-
dellsitzen zu denken hätte 1).


Unter den monumentalen Aufträgen, welche Rafael für Ju-
alius II und Leo X ausführte, nehmen die Malereien in den Zimmern
des Vaticans
(le stanze) den ersten Rang ein. Bei dem uner-

1) *Die sehr schönen Porträts des Cavaliere Tibaldeo und des Card. Passerini
im Museum von Neapel werden R. gegenwärtig abgesprochen. — Der fälsch-
lich benannte Cesare Borgia im Pal. Borghese zu Rom könnte wohl (Seite
853, d) ein ganz vortreffliches deutsches Bild sein. — Das weibliche Porträt in
**der Stanza dell’ educazione di Giove des Pal. Pitti, Nr. 245 gleicht wohl
etwas der sixtin. Madonna und auch der echten Fornarina, ist aber derge-
stalt übermalt, dass man kaum mehr als die Zeit des Costüms bestimmen kann,
welche allerdings dem Anfang des XVI. Jahrhunderts entspricht.
Natürlich trägt in den italienischen Galerien noch manches Bild den gros-
sen Namen mit Unrecht. Das Bild im Pal. Pallavicini zu Genua ist eine ehe-
mals gute, mit neuern Accessorien vergrösserte Schulcopie der Madonna des
Museums von Neapel (réveil de l’enfant).
††In der Madonna di San Luca (Sammlung der gleichnamigen Academie
zu Rom) gilt nur ein Theil des Lucas als R.’s eigenhändige Arbeit, der Rest
*†kaum für seine Erfindung. — Mariä Krönung (in der vaticanischen Galerie das
spätere Bild) ist notorisch von Giulio Romano und Francesco Penni ausge-
führt. Ersterer hat im obern Theil offenbar einen rafaelischen Entwurf wenig-
stens partiell benützt; man erkennt Anklänge, die an die Vierge de Fran-
çois I erinnern. Letzterer dagegen hat die untere Gruppe der Apostel selbst
erfunden. Mit der untern Gruppe der Transfiguration verglichen, zeigt sie
noch einmal auf das Bündigste den Abstand zwischen den Meister und dem
†*Schüler. — Der Rafael in der Galerie von Parma scheint mir eine parme-
sanische, etwa von Girolamo Mazzola herrührende Reproduction des Vier-
heiligenstiches von Marc Anton, wobei der Johannes demjenigen des Coreggio
in der Tribuna von S. Giovanni genähert wurde. — Aber schon der Stich
selbst ist schwerlich nach „einer Zeichnung Rafaels“ gemacht, wie Vasari
sagt, sondern viel eher ein Pasticcio des Marc Anton nach einzelnen Figu-
ren aus der Disputa, der zweiten vaticanischen Assunta und den Aposteln
von S. Vincenzo alle tre fontane. — Der Rafael in der Galerie von Modena
ist ein geringes Bild eines Schülers des Perugino.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0932" n="910"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael.</hi></fw><lb/>
ordnet und wollen nicht die Individualität charakterisiren. Der Typus,<lb/>
von der lange dauernden römischen Schönheit, ist in mehrern histor.<lb/>
Compositionen Rafaels frei benützt, ohne dass man an eigentliches Mo-<lb/>
dellsitzen zu denken hätte <note place="foot" n="1)"><note place="left">*</note>Die sehr schönen Porträts des Cavaliere Tibaldeo und des Card. Passerini<lb/>
im Museum von Neapel werden R. gegenwärtig abgesprochen. &#x2014; Der fälsch-<lb/>
lich benannte Cesare Borgia im Pal. Borghese zu Rom könnte wohl (Seite<lb/>
853, d) ein ganz vortreffliches deutsches Bild sein. &#x2014; Das weibliche Porträt in<lb/><note place="left">**</note>der Stanza dell&#x2019; educazione di Giove des Pal. Pitti, Nr. 245 gleicht wohl<lb/>
etwas der sixtin. Madonna und auch der echten Fornarina, ist aber derge-<lb/>
stalt übermalt, dass man kaum mehr als die Zeit des Costüms bestimmen kann,<lb/>
welche allerdings dem Anfang des XVI. Jahrhunderts entspricht.<lb/>
Natürlich trägt in den italienischen Galerien noch manches Bild den gros-<lb/><note place="left">&#x2020;</note>sen Namen mit Unrecht. Das Bild im Pal. Pallavicini zu Genua ist eine ehe-<lb/>
mals gute, mit neuern Accessorien vergrösserte Schulcopie der Madonna des<lb/>
Museums von Neapel (réveil de l&#x2019;enfant).<lb/><note place="left">&#x2020;&#x2020;</note>In der Madonna di San Luca (Sammlung der gleichnamigen Academie<lb/>
zu Rom) gilt nur ein Theil des Lucas als R.&#x2019;s eigenhändige Arbeit, der Rest<lb/><note place="left">*&#x2020;</note>kaum für seine Erfindung. &#x2014; Mariä Krönung (in der vaticanischen Galerie das<lb/>
spätere Bild) ist notorisch von Giulio Romano und Francesco Penni ausge-<lb/>
führt. Ersterer hat im obern Theil offenbar einen rafaelischen Entwurf wenig-<lb/>
stens partiell benützt; man erkennt Anklänge, die an die Vierge de Fran-<lb/>
çois I erinnern. Letzterer dagegen hat die untere Gruppe der Apostel selbst<lb/>
erfunden. Mit der untern Gruppe der Transfiguration verglichen, zeigt sie<lb/>
noch einmal auf das Bündigste den Abstand zwischen den Meister und dem<lb/><note place="left">&#x2020;*</note>Schüler. &#x2014; Der Rafael in der Galerie von Parma scheint mir eine parme-<lb/>
sanische, etwa von Girolamo Mazzola herrührende Reproduction des Vier-<lb/>
heiligenstiches von Marc Anton, wobei der Johannes demjenigen des Coreggio<lb/>
in der Tribuna von S. Giovanni genähert wurde. &#x2014; Aber schon der Stich<lb/>
selbst ist schwerlich nach &#x201E;einer Zeichnung Rafaels&#x201C; gemacht, wie Vasari<lb/>
sagt, sondern viel eher ein Pasticcio des Marc Anton nach einzelnen Figu-<lb/>
ren aus der Disputa, der zweiten vaticanischen Assunta und den Aposteln<lb/>
von S. Vincenzo alle tre fontane. &#x2014; Der Rafael in der Galerie von Modena<lb/>
ist ein geringes Bild eines Schülers des Perugino.</note>.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>Unter den <hi rendition="#g">monumentalen</hi> Aufträgen, welche Rafael für Ju-<lb/><note place="left">a</note>lius II und Leo X ausführte, nehmen die Malereien in den <hi rendition="#g">Zimmern<lb/>
des Vaticans</hi> (le stanze) den ersten Rang ein. Bei dem uner-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[910/0932] Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael. ordnet und wollen nicht die Individualität charakterisiren. Der Typus, von der lange dauernden römischen Schönheit, ist in mehrern histor. Compositionen Rafaels frei benützt, ohne dass man an eigentliches Mo- dellsitzen zu denken hätte 1). Unter den monumentalen Aufträgen, welche Rafael für Ju- lius II und Leo X ausführte, nehmen die Malereien in den Zimmern des Vaticans (le stanze) den ersten Rang ein. Bei dem uner- a 1) Die sehr schönen Porträts des Cavaliere Tibaldeo und des Card. Passerini im Museum von Neapel werden R. gegenwärtig abgesprochen. — Der fälsch- lich benannte Cesare Borgia im Pal. Borghese zu Rom könnte wohl (Seite 853, d) ein ganz vortreffliches deutsches Bild sein. — Das weibliche Porträt in der Stanza dell’ educazione di Giove des Pal. Pitti, Nr. 245 gleicht wohl etwas der sixtin. Madonna und auch der echten Fornarina, ist aber derge- stalt übermalt, dass man kaum mehr als die Zeit des Costüms bestimmen kann, welche allerdings dem Anfang des XVI. Jahrhunderts entspricht. Natürlich trägt in den italienischen Galerien noch manches Bild den gros- sen Namen mit Unrecht. Das Bild im Pal. Pallavicini zu Genua ist eine ehe- mals gute, mit neuern Accessorien vergrösserte Schulcopie der Madonna des Museums von Neapel (réveil de l’enfant). In der Madonna di San Luca (Sammlung der gleichnamigen Academie zu Rom) gilt nur ein Theil des Lucas als R.’s eigenhändige Arbeit, der Rest kaum für seine Erfindung. — Mariä Krönung (in der vaticanischen Galerie das spätere Bild) ist notorisch von Giulio Romano und Francesco Penni ausge- führt. Ersterer hat im obern Theil offenbar einen rafaelischen Entwurf wenig- stens partiell benützt; man erkennt Anklänge, die an die Vierge de Fran- çois I erinnern. Letzterer dagegen hat die untere Gruppe der Apostel selbst erfunden. Mit der untern Gruppe der Transfiguration verglichen, zeigt sie noch einmal auf das Bündigste den Abstand zwischen den Meister und dem Schüler. — Der Rafael in der Galerie von Parma scheint mir eine parme- sanische, etwa von Girolamo Mazzola herrührende Reproduction des Vier- heiligenstiches von Marc Anton, wobei der Johannes demjenigen des Coreggio in der Tribuna von S. Giovanni genähert wurde. — Aber schon der Stich selbst ist schwerlich nach „einer Zeichnung Rafaels“ gemacht, wie Vasari sagt, sondern viel eher ein Pasticcio des Marc Anton nach einzelnen Figu- ren aus der Disputa, der zweiten vaticanischen Assunta und den Aposteln von S. Vincenzo alle tre fontane. — Der Rafael in der Galerie von Modena ist ein geringes Bild eines Schülers des Perugino.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/932
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 910. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/932>, abgerufen am 05.12.2024.