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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Staffeleibilder der vollendeten Zeit.
Letztere ist ganz ausserordentlich schön und zeigt in der Art, wie sie
sich hinschmiegt, die höchste Empfindung für eine bestimmte Art
weiblicher Anmuth.

Die Kreuzabnahme, ebenda, vor Allem ein Wunderwerk dera
äussern Harmonie. Der Kopf des liegenden Christus von höchst edelm
Schmerzensausdruck, die Übrigen aber beinah kleinlich und selbst gri-
massirend. Die Ohnmacht ist in der Maria sehr wirklich dargestellt,
sodass man z. B. inne wird, wie sie die Herrschaft über den linken
Arm verliert.

Das Gegenstück (wie obiges auf damascirte Leinwand gemalt):
Die Marter des heil. Placidus und der heil. Flavia; in derb
malerischen Behandlung nicht minder ausgezeichnet. Ein verhängniss-
volles Bild, dessen übelste Eigenschaften bei den Malern des XVII.
Jahrh. nur zu vielen Anklang gefunden haben. Verlangte man von
C. diese Scene oder ist er hier freiwillig der erste Henkermaler, wie
er anderwärts der erste ganz verbuhlte Maler ist? Höchst seelenruhig
und kunstgerecht zieht der eine Henker der süsslichen Flavia die
Flechte mit der Linken herunter und stösst sie mit dem Schwert
unter die Brust; der andere zielt auf den ganz devot vor ihm knieen-
den Placidus; rechts sieht man zwei Rümpfe von Enthaupteten, ja
aus dem Rahmen schaut noch der Arm eines Henkers hervor, der
einen blutigen Kopf trägt. Auf den ersten Blick erscheint das Ganze
erstaunlich modern.

Von den Fresken Coreggio's in Parma sind diejenigen in einem
Gemach des aufgehobenen Nonnenklosters S. Paolo die frühsten.c
Über dem Kamin sieht man Diana in ihrem Wagen auf Wolken
fahrend; am Gewölbe, welches über 16 trefflichen einfarbig gemalten
Lunetten mythologischen Inhaltes emporsteigt, ist eine Weinlaube ge-
malt und in den runden Öffnungen derselben die berühmten Putten,
zu zweien oder dreien in allerlei Verrichtungen gruppirt. Sie sind
nicht schön im Raum, auch nicht in den Linien, überhaupt fehlte dem
Maler das architektonische Element, das solchen Decorationen zu

wünschen, dass die Aquarellcopien der Fresken Coreggio's, theils von To-
schi's, theils von seiner Schüler Händen, öffentliches Eigenthum würden. Wer
sie noch jetzt zu sehen Gelegenheit hat, versäume dieses nicht.

Staffeleibilder der vollendeten Zeit.
Letztere ist ganz ausserordentlich schön und zeigt in der Art, wie sie
sich hinschmiegt, die höchste Empfindung für eine bestimmte Art
weiblicher Anmuth.

Die Kreuzabnahme, ebenda, vor Allem ein Wunderwerk dera
äussern Harmonie. Der Kopf des liegenden Christus von höchst edelm
Schmerzensausdruck, die Übrigen aber beinah kleinlich und selbst gri-
massirend. Die Ohnmacht ist in der Maria sehr wirklich dargestellt,
sodass man z. B. inne wird, wie sie die Herrschaft über den linken
Arm verliert.

Das Gegenstück (wie obiges auf damascirte Leinwand gemalt):
Die Marter des heil. Placidus und der heil. Flavia; in derb
malerischen Behandlung nicht minder ausgezeichnet. Ein verhängniss-
volles Bild, dessen übelste Eigenschaften bei den Malern des XVII.
Jahrh. nur zu vielen Anklang gefunden haben. Verlangte man von
C. diese Scene oder ist er hier freiwillig der erste Henkermaler, wie
er anderwärts der erste ganz verbuhlte Maler ist? Höchst seelenruhig
und kunstgerecht zieht der eine Henker der süsslichen Flavia die
Flechte mit der Linken herunter und stösst sie mit dem Schwert
unter die Brust; der andere zielt auf den ganz devot vor ihm knieen-
den Placidus; rechts sieht man zwei Rümpfe von Enthaupteten, ja
aus dem Rahmen schaut noch der Arm eines Henkers hervor, der
einen blutigen Kopf trägt. Auf den ersten Blick erscheint das Ganze
erstaunlich modern.

Von den Fresken Coreggio’s in Parma sind diejenigen in einem
Gemach des aufgehobenen Nonnenklosters S. Paolo die frühsten.c
Über dem Kamin sieht man Diana in ihrem Wagen auf Wolken
fahrend; am Gewölbe, welches über 16 trefflichen einfarbig gemalten
Lunetten mythologischen Inhaltes emporsteigt, ist eine Weinlaube ge-
malt und in den runden Öffnungen derselben die berühmten Putten,
zu zweien oder dreien in allerlei Verrichtungen gruppirt. Sie sind
nicht schön im Raum, auch nicht in den Linien, überhaupt fehlte dem
Maler das architektonische Element, das solchen Decorationen zu

wünschen, dass die Aquarellcopien der Fresken Coreggio’s, theils von To-
schi’s, theils von seiner Schüler Händen, öffentliches Eigenthum würden. Wer
sie noch jetzt zu sehen Gelegenheit hat, versäume dieses nicht.
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[955/0977] Staffeleibilder der vollendeten Zeit. Letztere ist ganz ausserordentlich schön und zeigt in der Art, wie sie sich hinschmiegt, die höchste Empfindung für eine bestimmte Art weiblicher Anmuth. Die Kreuzabnahme, ebenda, vor Allem ein Wunderwerk der äussern Harmonie. Der Kopf des liegenden Christus von höchst edelm Schmerzensausdruck, die Übrigen aber beinah kleinlich und selbst gri- massirend. Die Ohnmacht ist in der Maria sehr wirklich dargestellt, sodass man z. B. inne wird, wie sie die Herrschaft über den linken Arm verliert. a Das Gegenstück (wie obiges auf damascirte Leinwand gemalt): Die Marter des heil. Placidus und der heil. Flavia; in der malerischen Behandlung nicht minder ausgezeichnet. Ein verhängniss- volles Bild, dessen übelste Eigenschaften bei den Malern des XVII. Jahrh. nur zu vielen Anklang gefunden haben. Verlangte man von C. diese Scene oder ist er hier freiwillig der erste Henkermaler, wie er anderwärts der erste ganz verbuhlte Maler ist? Höchst seelenruhig und kunstgerecht zieht der eine Henker der süsslichen Flavia die Flechte mit der Linken herunter und stösst sie mit dem Schwert unter die Brust; der andere zielt auf den ganz devot vor ihm knieen- den Placidus; rechts sieht man zwei Rümpfe von Enthaupteten, ja aus dem Rahmen schaut noch der Arm eines Henkers hervor, der einen blutigen Kopf trägt. Auf den ersten Blick erscheint das Ganze erstaunlich modern. b Von den Fresken Coreggio’s in Parma sind diejenigen in einem Gemach des aufgehobenen Nonnenklosters S. Paolo die frühsten. Über dem Kamin sieht man Diana in ihrem Wagen auf Wolken fahrend; am Gewölbe, welches über 16 trefflichen einfarbig gemalten Lunetten mythologischen Inhaltes emporsteigt, ist eine Weinlaube ge- malt und in den runden Öffnungen derselben die berühmten Putten, zu zweien oder dreien in allerlei Verrichtungen gruppirt. Sie sind nicht schön im Raum, auch nicht in den Linien, überhaupt fehlte dem Maler das architektonische Element, das solchen Decorationen zu 1) c 1) wünschen, dass die Aquarellcopien der Fresken Coreggio’s, theils von To- schi’s, theils von seiner Schüler Händen, öffentliches Eigenthum würden. Wer sie noch jetzt zu sehen Gelegenheit hat, versäume dieses nicht.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 955. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/977>, abgerufen am 05.12.2024.