I. Teil. Das Privatrecht und das öffentliche Recht.
eine von Amtes wegen zu verwirklichende, und die Frage unent- schieden zu lassen, ob sie zu verwirklichen sei.
Ein solcher Widerspruch entsteht, wenn das Gesetz ein Ver- halten zwingend vorschreibt, aber nicht vorschreibt,was zu ge- schehen hat, wenn die vorgeschriebene Pflicht nicht eingehalten wird; wenn z. B. bestimmt wird, daß die Gewerbetreibenden sta- tistische Angaben zu machen haben, aber nicht, was gegen die Säumigen vorzukehren sei; daß im Verkehr nicht unrichtige Firmen gebraucht werden sollen, aber der verbotene Gebrauch weder mit Strafe noch mit Streichung im Handelsregister be- droht wird; wenn bestimmt wird, daß historische Denkmäler nicht verändert werden dürfen, nicht aber, was zu geschehen hat, wenn der Eigentümer Änderungen vornimmt; oder wenn rechtswidrige und staatsgefährliche Vereine verboten sind, ohne daß gegen die Übertreter dieses Verbotes Zwangsregeln oder Strafe vorgesehen wären. Es fragt sich in solchem Falle, ob die rechts- anwendende Behörde die fehlende Folge der Übertretung selbst zu finden hat, oder ob die materielle Norm als lex imperfecta unvollzogen gelassen bleiben soll. Das ist nicht allgemein zu entscheiden; aber allgemein kann festgestellt werden, daß die rechtsanwendende Behörde bei dem Widerspruch des objektiven Rechts nicht stehenbleiben kann, so wenig wie der Richter bei der Feststellung, daß das geltende Privatrecht den streitigen Fall nicht entscheide. Entweder fügt die Behörde hinzu, was zur Ver- wirklichung nötig ist (unmittelbaren Zwang oder Strafe), dann wird der Satz auch verwirklicht; oder sie läßt den Satz unange- wendet, dann gilt er in Wirklichkeit auch nicht mehr (vgl. unten S. 177).
3. Steht fest, welche materielle Norm gilt und wie sie zu erzwingen ist, was also der Übertreter der Norm auf sich zu nehmen hat: Zwang oder Strafe, und in welcher Form, so bedarf es noch der Feststellung, welche Behörde zuständig sei zu dieser Anord- nung und in welchem Verfahren sie die Anordnung zu treffen habe. Wenn das erste geordnet ist, muß folgerichtigerweise auch über das zweite etwas gelten. Es wäre wiederum ein Widerspruch, wenn das Gesetz die Pflicht statuierte und die Erzwingung der Pflicht vorschriebe, aber keine Behörde bezeichnete, die zur Be- tätigung dieser Vorschriften zuständig wäre, oder kein Verfahren,
I. Teil. Das Privatrecht und das öffentliche Recht.
eine von Amtes wegen zu verwirklichende, und die Frage unent- schieden zu lassen, ob sie zu verwirklichen sei.
Ein solcher Widerspruch entsteht, wenn das Gesetz ein Ver- halten zwingend vorschreibt, aber nicht vorschreibt,was zu ge- schehen hat, wenn die vorgeschriebene Pflicht nicht eingehalten wird; wenn z. B. bestimmt wird, daß die Gewerbetreibenden sta- tistische Angaben zu machen haben, aber nicht, was gegen die Säumigen vorzukehren sei; daß im Verkehr nicht unrichtige Firmen gebraucht werden sollen, aber der verbotene Gebrauch weder mit Strafe noch mit Streichung im Handelsregister be- droht wird; wenn bestimmt wird, daß historische Denkmäler nicht verändert werden dürfen, nicht aber, was zu geschehen hat, wenn der Eigentümer Änderungen vornimmt; oder wenn rechtswidrige und staatsgefährliche Vereine verboten sind, ohne daß gegen die Übertreter dieses Verbotes Zwangsregeln oder Strafe vorgesehen wären. Es fragt sich in solchem Falle, ob die rechts- anwendende Behörde die fehlende Folge der Übertretung selbst zu finden hat, oder ob die materielle Norm als lex imperfecta unvollzogen gelassen bleiben soll. Das ist nicht allgemein zu entscheiden; aber allgemein kann festgestellt werden, daß die rechtsanwendende Behörde bei dem Widerspruch des objektiven Rechts nicht stehenbleiben kann, so wenig wie der Richter bei der Feststellung, daß das geltende Privatrecht den streitigen Fall nicht entscheide. Entweder fügt die Behörde hinzu, was zur Ver- wirklichung nötig ist (unmittelbaren Zwang oder Strafe), dann wird der Satz auch verwirklicht; oder sie läßt den Satz unange- wendet, dann gilt er in Wirklichkeit auch nicht mehr (vgl. unten S. 177).
3. Steht fest, welche materielle Norm gilt und wie sie zu erzwingen ist, was also der Übertreter der Norm auf sich zu nehmen hat: Zwang oder Strafe, und in welcher Form, so bedarf es noch der Feststellung, welche Behörde zuständig sei zu dieser Anord- nung und in welchem Verfahren sie die Anordnung zu treffen habe. Wenn das erste geordnet ist, muß folgerichtigerweise auch über das zweite etwas gelten. Es wäre wiederum ein Widerspruch, wenn das Gesetz die Pflicht statuierte und die Erzwingung der Pflicht vorschriebe, aber keine Behörde bezeichnete, die zur Be- tätigung dieser Vorschriften zuständig wäre, oder kein Verfahren,
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I. Teil. Das Privatrecht und das öffentliche Recht.
eine von Amtes wegen zu verwirklichende, und die Frage unent-
schieden zu lassen, ob sie zu verwirklichen sei.
Ein solcher Widerspruch entsteht, wenn das Gesetz ein Ver-
halten zwingend vorschreibt, aber nicht vorschreibt,was zu ge-
schehen hat, wenn die vorgeschriebene Pflicht nicht eingehalten
wird; wenn z. B. bestimmt wird, daß die Gewerbetreibenden sta-
tistische Angaben zu machen haben, aber nicht, was gegen die
Säumigen vorzukehren sei; daß im Verkehr nicht unrichtige
Firmen gebraucht werden sollen, aber der verbotene Gebrauch
weder mit Strafe noch mit Streichung im Handelsregister be-
droht wird; wenn bestimmt wird, daß historische Denkmäler
nicht verändert werden dürfen, nicht aber, was zu geschehen
hat, wenn der Eigentümer Änderungen vornimmt; oder wenn
rechtswidrige und staatsgefährliche Vereine verboten sind, ohne
daß gegen die Übertreter dieses Verbotes Zwangsregeln oder Strafe
vorgesehen wären. Es fragt sich in solchem Falle, ob die rechts-
anwendende Behörde die fehlende Folge der Übertretung selbst
zu finden hat, oder ob die materielle Norm als lex imperfecta
unvollzogen gelassen bleiben soll. Das ist nicht allgemein zu
entscheiden; aber allgemein kann festgestellt werden, daß die
rechtsanwendende Behörde bei dem Widerspruch des objektiven
Rechts nicht stehenbleiben kann, so wenig wie der Richter bei
der Feststellung, daß das geltende Privatrecht den streitigen Fall
nicht entscheide. Entweder fügt die Behörde hinzu, was zur Ver-
wirklichung nötig ist (unmittelbaren Zwang oder Strafe), dann
wird der Satz auch verwirklicht; oder sie läßt den Satz unange-
wendet, dann gilt er in Wirklichkeit auch nicht mehr (vgl. unten
S. 177).
3. Steht fest, welche materielle Norm gilt und wie sie zu
erzwingen ist, was also der Übertreter der Norm auf sich zu nehmen
hat: Zwang oder Strafe, und in welcher Form, so bedarf es noch
der Feststellung, welche Behörde zuständig sei zu dieser Anord-
nung und in welchem Verfahren sie die Anordnung zu treffen
habe. Wenn das erste geordnet ist, muß folgerichtigerweise auch
über das zweite etwas gelten. Es wäre wiederum ein Widerspruch,
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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/131>, abgerufen am 21.11.2024.
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