obläge; aber er kann darin folgerichtigerweise auch nicht die staat- liche Autorität, die Befehlsgewalt, in Anspruch nehmen; er steht hier zu den Privatpersonen im Verhältnis des Privatrechts, der Gleichberechtigung (vgl. oben S. 82). Diese Eigenschaft eines privatrechtlichen Rechtssubjektes ist aber dem Staat nicht wesent- lich, sondern zufällig (vgl. oben S. 69).
Und ähnlich verhält es sich, wenn ein Staat anderen Staaten gegenübertritt im völkerrechtlichen Verkehr: auch hier kann der eine Staat nicht als der Vertreter des Rechts auftreten und braucht er sich deshalb nicht an Grundsätze zu binden; er ist an das allen Staaten übergeordnete Völkerrecht gebunden, aber nicht als der zur Verwirklichung dieses Recht Berufene, sondern als ein ihm Unterstellter, als ein Völkerrechtssubjekt dem anderen gegen- über; daher ist er auch nur an Grundsätze gebunden, die die anderen Staaten ebenfalls anerkennen. Was dem einzelnen Staat hier zunächst obliegt, ist vielmehr die Wahrung seines Rechts gegenüber den anderen, denn niemand anders als er selbst schützt es ihm. Diese besondere Stellung nach außen ist aber für die rechtliche Natur des Staates nicht entscheidend, weil sie zu- fällig ist; ein Staat könnte als Staat auch bestehen, wenn er der einzige wäre und es kein Völkerrecht gäbe; er wäre dieselbe Ein- richtung und bliebe in seinem Wesen unverändert. Im Gegen- teil: er würde erst dann sein Wesen ganz entfalten, seine Auf- gabe vollständig und folgerichtig lösen, in der einheitlichen, widerspruchlosen Verwirklichung der Rechtsidee1. Daß es mehrere Staaten gibt, ist, logisch gesprochen, ein Zufall, der das Wesen des Staates nicht ändert; der Begriff des Staates geht dem des Völker- rechts voraus.
Sobald und solange es mehrere Staaten gibt, wird also zum eigentlichen Zweck des Staates, den er im Verhältnis zu seinen Rechtsgenossen verfolgt, noch der zufällige Zweck der Behauptung nach außen, im Verhältnis zu den anderen Staaten hinzukommen. Wo sich aber die Einheit des staatlichen Zweckes bewähren muß, das ist auf dem ersten Gebiet, auf dem allein der Staat als Herr- scher auftritt.
In was diese Einheit besteht, ist soeben gezeigt worden. Hier
1 Vgl. meinen Vortrag: Die Unvollkommenheit des Völkerrechts, 23.
Der Zweck der staatlichen Organisation.
obläge; aber er kann darin folgerichtigerweise auch nicht die staat- liche Autorität, die Befehlsgewalt, in Anspruch nehmen; er steht hier zu den Privatpersonen im Verhältnis des Privatrechts, der Gleichberechtigung (vgl. oben S. 82). Diese Eigenschaft eines privatrechtlichen Rechtssubjektes ist aber dem Staat nicht wesent- lich, sondern zufällig (vgl. oben S. 69).
Und ähnlich verhält es sich, wenn ein Staat anderen Staaten gegenübertritt im völkerrechtlichen Verkehr: auch hier kann der eine Staat nicht als der Vertreter des Rechts auftreten und braucht er sich deshalb nicht an Grundsätze zu binden; er ist an das allen Staaten übergeordnete Völkerrecht gebunden, aber nicht als der zur Verwirklichung dieses Recht Berufene, sondern als ein ihm Unterstellter, als ein Völkerrechtssubjekt dem anderen gegen- über; daher ist er auch nur an Grundsätze gebunden, die die anderen Staaten ebenfalls anerkennen. Was dem einzelnen Staat hier zunächst obliegt, ist vielmehr die Wahrung seines Rechts gegenüber den anderen, denn niemand anders als er selbst schützt es ihm. Diese besondere Stellung nach außen ist aber für die rechtliche Natur des Staates nicht entscheidend, weil sie zu- fällig ist; ein Staat könnte als Staat auch bestehen, wenn er der einzige wäre und es kein Völkerrecht gäbe; er wäre dieselbe Ein- richtung und bliebe in seinem Wesen unverändert. Im Gegen- teil: er würde erst dann sein Wesen ganz entfalten, seine Auf- gabe vollständig und folgerichtig lösen, in der einheitlichen, widerspruchlosen Verwirklichung der Rechtsidee1. Daß es mehrere Staaten gibt, ist, logisch gesprochen, ein Zufall, der das Wesen des Staates nicht ändert; der Begriff des Staates geht dem des Völker- rechts voraus.
Sobald und solange es mehrere Staaten gibt, wird also zum eigentlichen Zweck des Staates, den er im Verhältnis zu seinen Rechtsgenossen verfolgt, noch der zufällige Zweck der Behauptung nach außen, im Verhältnis zu den anderen Staaten hinzukommen. Wo sich aber die Einheit des staatlichen Zweckes bewähren muß, das ist auf dem ersten Gebiet, auf dem allein der Staat als Herr- scher auftritt.
In was diese Einheit besteht, ist soeben gezeigt worden. Hier
1 Vgl. meinen Vortrag: Die Unvollkommenheit des Völkerrechts, 23.
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Der Zweck der staatlichen Organisation.
obläge; aber er kann darin folgerichtigerweise auch nicht die staat-
liche Autorität, die Befehlsgewalt, in Anspruch nehmen; er steht
hier zu den Privatpersonen im Verhältnis des Privatrechts, der
Gleichberechtigung (vgl. oben S. 82). Diese Eigenschaft eines
privatrechtlichen Rechtssubjektes ist aber dem Staat nicht wesent-
lich, sondern zufällig (vgl. oben S. 69).
Und ähnlich verhält es sich, wenn ein Staat anderen Staaten
gegenübertritt im völkerrechtlichen Verkehr: auch hier kann der
eine Staat nicht als der Vertreter des Rechts auftreten und braucht
er sich deshalb nicht an Grundsätze zu binden; er ist an das allen
Staaten übergeordnete Völkerrecht gebunden, aber nicht als der
zur Verwirklichung dieses Recht Berufene, sondern als ein ihm
Unterstellter, als ein Völkerrechtssubjekt dem anderen gegen-
über; daher ist er auch nur an Grundsätze gebunden, die die
anderen Staaten ebenfalls anerkennen. Was dem einzelnen Staat
hier zunächst obliegt, ist vielmehr die Wahrung seines Rechts
gegenüber den anderen, denn niemand anders als er selbst schützt
es ihm. Diese besondere Stellung nach außen ist aber für die
rechtliche Natur des Staates nicht entscheidend, weil sie zu-
fällig ist; ein Staat könnte als Staat auch bestehen, wenn er der
einzige wäre und es kein Völkerrecht gäbe; er wäre dieselbe Ein-
richtung und bliebe in seinem Wesen unverändert. Im Gegen-
teil: er würde erst dann sein Wesen ganz entfalten, seine Auf-
gabe vollständig und folgerichtig lösen, in der einheitlichen,
widerspruchlosen Verwirklichung der Rechtsidee 1. Daß es mehrere
Staaten gibt, ist, logisch gesprochen, ein Zufall, der das Wesen des
Staates nicht ändert; der Begriff des Staates geht dem des Völker-
rechts voraus.
Sobald und solange es mehrere Staaten gibt, wird also zum
eigentlichen Zweck des Staates, den er im Verhältnis zu seinen
Rechtsgenossen verfolgt, noch der zufällige Zweck der Behauptung
nach außen, im Verhältnis zu den anderen Staaten hinzukommen.
Wo sich aber die Einheit des staatlichen Zweckes bewähren muß,
das ist auf dem ersten Gebiet, auf dem allein der Staat als Herr-
scher auftritt.
In was diese Einheit besteht, ist soeben gezeigt worden. Hier
1 Vgl. meinen Vortrag: Die Unvollkommenheit des Völkerrechts, 23.
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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/152>, abgerufen am 16.07.2024.
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