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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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II. Teil. Die staatliche Verfassung.
Staat Staat sein will, d. h. die oberste für die Verwirklichung des
Rechts zuständige und auch verantwortliche Instanz, so kann er
nicht einer anderen Instanz, auch nur auf beschränktem Gebiete,
die endgültige Entscheidung darüber überlassen, was rechtens
sein soll. Die Anordnungen der kirchlichen Instanz können ent-
weder bloß kraft staatlicher Anerkennung verbindlich sein; dann
entscheidet nicht die Kirche, sondern der Staat endgültig auch
über die Verbindlichkeit der kirchlichen Anordnungen; oder, wenn
der Kirche die endgültige Entscheidung darüber zuerkannt wird,
können ihre Anordnungen nicht in foro externo, als Recht, sondern
nur in foro interno, als Gewissensnorm, verbindlich sein. Denn
entscheidet die Kirche auch nur auf einem sachlich begrenzten
Gebiet endgültig, wie die katholische Kirche es für das Eherecht
beanspruchte, so entscheidet sie notwendig auch darüber, was dem
Staat zu verbleiben habe, und die Entscheidung des Staates über
die ihm überlassenen Fragen gelten nicht mehr unbedingt, sondern
nur mehr unter der Bedingung, daß die Kirche sie nicht als ihrer
Zuständigkeit zuwider betrachte; mit anderen Worten: der Staat
wäre auf keinem sachlichen Gebiete mehr die höchste rechtliche
Instanz. Will die Kirche aber diese Zuständigkeit in Anspruch
nehmen (die höchste rechtliche Instanz zu sein), so muß sie auch
die ganze Verantwortung dafür übernehmen, die Verantwortung
nämlich dafür, daß das, was sie dem Staate überläßt, auch richtig
ausgeübt und der Rechtszwang nur da und gerade da eingesetzt
werde, wo das Recht es verlangt; mit anderen Worten: die Ver-
antwortung für die ganze Aufgabe der Rechtsverwirklichung. Es
ist ein Widerspruch, wenn sie sich eines Rechtsgebietes bemächtigt,
es souverän ordnen will, und die Verantwortung für alles übrige
ausschlägt.

Der Staat kann allerdings zu anderen Staaten in ein recht-
liches Verhältnis der Gleichordnung treten, ohne aufzuhören,
Staat zu sein. Aber das ist eben die Besonderheit (und Unvoll-

ist dadurch nicht ausgeschlossen; das macht aber die Partei nicht zum Staat,
sondern nur vielleicht den Staat zum Scheinstaat, sofern die Partei nämlich,
die staatlichen Formen zu ihren Zwecken mißbraucht und nicht sich in den
Dienst des staatlichen Zweckes stellt. Vgl. meinen Aufsatz: Über die Be-
rechtigung der politischen Parteien, im Politischen Jahrbuch der Schweizer.
Eidgenossenschaft 28 (1914) 137 ff.

II. Teil. Die staatliche Verfassung.
Staat Staat sein will, d. h. die oberste für die Verwirklichung des
Rechts zuständige und auch verantwortliche Instanz, so kann er
nicht einer anderen Instanz, auch nur auf beschränktem Gebiete,
die endgültige Entscheidung darüber überlassen, was rechtens
sein soll. Die Anordnungen der kirchlichen Instanz können ent-
weder bloß kraft staatlicher Anerkennung verbindlich sein; dann
entscheidet nicht die Kirche, sondern der Staat endgültig auch
über die Verbindlichkeit der kirchlichen Anordnungen; oder, wenn
der Kirche die endgültige Entscheidung darüber zuerkannt wird,
können ihre Anordnungen nicht in foro externo, als Recht, sondern
nur in foro interno, als Gewissensnorm, verbindlich sein. Denn
entscheidet die Kirche auch nur auf einem sachlich begrenzten
Gebiet endgültig, wie die katholische Kirche es für das Eherecht
beanspruchte, so entscheidet sie notwendig auch darüber, was dem
Staat zu verbleiben habe, und die Entscheidung des Staates über
die ihm überlassenen Fragen gelten nicht mehr unbedingt, sondern
nur mehr unter der Bedingung, daß die Kirche sie nicht als ihrer
Zuständigkeit zuwider betrachte; mit anderen Worten: der Staat
wäre auf keinem sachlichen Gebiete mehr die höchste rechtliche
Instanz. Will die Kirche aber diese Zuständigkeit in Anspruch
nehmen (die höchste rechtliche Instanz zu sein), so muß sie auch
die ganze Verantwortung dafür übernehmen, die Verantwortung
nämlich dafür, daß das, was sie dem Staate überläßt, auch richtig
ausgeübt und der Rechtszwang nur da und gerade da eingesetzt
werde, wo das Recht es verlangt; mit anderen Worten: die Ver-
antwortung für die ganze Aufgabe der Rechtsverwirklichung. Es
ist ein Widerspruch, wenn sie sich eines Rechtsgebietes bemächtigt,
es souverän ordnen will, und die Verantwortung für alles übrige
ausschlägt.

Der Staat kann allerdings zu anderen Staaten in ein recht-
liches Verhältnis der Gleichordnung treten, ohne aufzuhören,
Staat zu sein. Aber das ist eben die Besonderheit (und Unvoll-

ist dadurch nicht ausgeschlossen; das macht aber die Partei nicht zum Staat,
sondern nur vielleicht den Staat zum Scheinstaat, sofern die Partei nämlich,
die staatlichen Formen zu ihren Zwecken mißbraucht und nicht sich in den
Dienst des staatlichen Zweckes stellt. Vgl. meinen Aufsatz: Über die Be-
rechtigung der politischen Parteien, im Politischen Jahrbuch der Schweizer.
Eidgenossenschaft 28 (1914) 137 ff.
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[150/0165] II. Teil. Die staatliche Verfassung. Staat Staat sein will, d. h. die oberste für die Verwirklichung des Rechts zuständige und auch verantwortliche Instanz, so kann er nicht einer anderen Instanz, auch nur auf beschränktem Gebiete, die endgültige Entscheidung darüber überlassen, was rechtens sein soll. Die Anordnungen der kirchlichen Instanz können ent- weder bloß kraft staatlicher Anerkennung verbindlich sein; dann entscheidet nicht die Kirche, sondern der Staat endgültig auch über die Verbindlichkeit der kirchlichen Anordnungen; oder, wenn der Kirche die endgültige Entscheidung darüber zuerkannt wird, können ihre Anordnungen nicht in foro externo, als Recht, sondern nur in foro interno, als Gewissensnorm, verbindlich sein. Denn entscheidet die Kirche auch nur auf einem sachlich begrenzten Gebiet endgültig, wie die katholische Kirche es für das Eherecht beanspruchte, so entscheidet sie notwendig auch darüber, was dem Staat zu verbleiben habe, und die Entscheidung des Staates über die ihm überlassenen Fragen gelten nicht mehr unbedingt, sondern nur mehr unter der Bedingung, daß die Kirche sie nicht als ihrer Zuständigkeit zuwider betrachte; mit anderen Worten: der Staat wäre auf keinem sachlichen Gebiete mehr die höchste rechtliche Instanz. Will die Kirche aber diese Zuständigkeit in Anspruch nehmen (die höchste rechtliche Instanz zu sein), so muß sie auch die ganze Verantwortung dafür übernehmen, die Verantwortung nämlich dafür, daß das, was sie dem Staate überläßt, auch richtig ausgeübt und der Rechtszwang nur da und gerade da eingesetzt werde, wo das Recht es verlangt; mit anderen Worten: die Ver- antwortung für die ganze Aufgabe der Rechtsverwirklichung. Es ist ein Widerspruch, wenn sie sich eines Rechtsgebietes bemächtigt, es souverän ordnen will, und die Verantwortung für alles übrige ausschlägt. Der Staat kann allerdings zu anderen Staaten in ein recht- liches Verhältnis der Gleichordnung treten, ohne aufzuhören, Staat zu sein. Aber das ist eben die Besonderheit (und Unvoll- 2 2 ist dadurch nicht ausgeschlossen; das macht aber die Partei nicht zum Staat, sondern nur vielleicht den Staat zum Scheinstaat, sofern die Partei nämlich, die staatlichen Formen zu ihren Zwecken mißbraucht und nicht sich in den Dienst des staatlichen Zweckes stellt. Vgl. meinen Aufsatz: Über die Be- rechtigung der politischen Parteien, im Politischen Jahrbuch der Schweizer. Eidgenossenschaft 28 (1914) 137 ff.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/165>, abgerufen am 21.05.2024.