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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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II. Teil. Die staatliche Verfassung.
während im ersten Fall dem Gesamtstaat verblieb, was die Glied-
staaten nicht für sich beanspruchten, verbleibt jetzt den Glied-
staaten, was der Zentralstaat nicht für sich, bzw. die Zentral-
verfassung nicht für ihre Organisationen beansprucht. Nach der
Gesamtverfassung bestimmt sich also, inwiefern die Gliedstaaten
zuständig sind, nicht nach ihren eigenen Verfassungen. Wenn
Zweifel entsteht darüber, ob die zentrale oder die gliedstaatliche
Organisation zuständig sei, muß die Zentralverfassung befragt
werden. Weil es dort steht, sind die Gliedstaaten zuständig; aber
auch weil es dort steht, existieren die Gliedstaaten überhaupt recht-
lich, als verbindliche Einrichtungen, und so wie es dort steht,
mit den dort gegebenen Einschränkungen und Modalitäten, sind
sie anerkannt1. Ihr letzter Rechtsgrund ist also nicht ihre Ver-
fassung, sondern die Gesamtverfassung, und die Entscheidung
darüber, wieweit diese Verfassung sie anerkenne, steht bei der
Organisation, welche die Gesamtverfassung zu handhaben hat, bei
der Gesamtorganisation; sie liegt also nicht in der Hand der
Gliedstaaten selbst, sondern in einer anderen Hand.

Auf dieses grundlegende Verhältnis der beiden Verfassungen
geht der in jedem Bundesstaat anerkannte Satz zurück, daß Bun-
desrecht Landesrecht bricht2, und, was notwendig damit zusammen-
hängt, daß die bundesstaatliche Behörde darüber entscheidet, ob
das gliedstaatliche Recht dem gesamtstaatlichen widerspreche oder
nicht; welches gliedstaatliche also schließlich gültig sei und welches
nicht, welches Recht also in diesem Lande überhaupt verbindlich
sei und gelte. Und zwar entscheidet sie nicht nur als schieds-
gerichtliche Instanz zwischen den souveränen Gliedstaaten, sondern

1 Was nicht sagen will, die Gliedstaaten wären nicht entstanden,
wenn die Gesamtverfassung nicht entstanden wäre -- sie haben ja meist vor
dem Gesamtstaat bestanden --, sondern: die gegenwärtige Grundlage ihrer
rechtlichen Existenz sei die Gesamtverfassung, nicht die besonderen Ver-
fassungen der Gliedstaaten. Es fragt sich nicht, wie die betreffende Ver-
fassung entstanden sei oder was sie in Geltung erhalte, sondern, unter
der Voraussetzung der Geltung,
welche Verfassung die entscheidende
Norm für das im Lande verbindliche Recht enthalte; und das ist die des
Gesamtstaates. Danach entscheidet sich, ob die Gliedstaaten eine eigene
Verfassung haben, was Carre de Malberg, II 527 f., übersieht.
2 Vgl. W. Burckhardt, Eidgenössisches Recht bricht kantonales
Recht, in der Festschrift für F. Fleiner (1927) 59.

II. Teil. Die staatliche Verfassung.
während im ersten Fall dem Gesamtstaat verblieb, was die Glied-
staaten nicht für sich beanspruchten, verbleibt jetzt den Glied-
staaten, was der Zentralstaat nicht für sich, bzw. die Zentral-
verfassung nicht für ihre Organisationen beansprucht. Nach der
Gesamtverfassung bestimmt sich also, inwiefern die Gliedstaaten
zuständig sind, nicht nach ihren eigenen Verfassungen. Wenn
Zweifel entsteht darüber, ob die zentrale oder die gliedstaatliche
Organisation zuständig sei, muß die Zentralverfassung befragt
werden. Weil es dort steht, sind die Gliedstaaten zuständig; aber
auch weil es dort steht, existieren die Gliedstaaten überhaupt recht-
lich, als verbindliche Einrichtungen, und so wie es dort steht,
mit den dort gegebenen Einschränkungen und Modalitäten, sind
sie anerkannt1. Ihr letzter Rechtsgrund ist also nicht ihre Ver-
fassung, sondern die Gesamtverfassung, und die Entscheidung
darüber, wieweit diese Verfassung sie anerkenne, steht bei der
Organisation, welche die Gesamtverfassung zu handhaben hat, bei
der Gesamtorganisation; sie liegt also nicht in der Hand der
Gliedstaaten selbst, sondern in einer anderen Hand.

Auf dieses grundlegende Verhältnis der beiden Verfassungen
geht der in jedem Bundesstaat anerkannte Satz zurück, daß Bun-
desrecht Landesrecht bricht2, und, was notwendig damit zusammen-
hängt, daß die bundesstaatliche Behörde darüber entscheidet, ob
das gliedstaatliche Recht dem gesamtstaatlichen widerspreche oder
nicht; welches gliedstaatliche also schließlich gültig sei und welches
nicht, welches Recht also in diesem Lande überhaupt verbindlich
sei und gelte. Und zwar entscheidet sie nicht nur als schieds-
gerichtliche Instanz zwischen den souveränen Gliedstaaten, sondern

1 Was nicht sagen will, die Gliedstaaten wären nicht entstanden,
wenn die Gesamtverfassung nicht entstanden wäre — sie haben ja meist vor
dem Gesamtstaat bestanden —, sondern: die gegenwärtige Grundlage ihrer
rechtlichen Existenz sei die Gesamtverfassung, nicht die besonderen Ver-
fassungen der Gliedstaaten. Es fragt sich nicht, wie die betreffende Ver-
fassung entstanden sei oder was sie in Geltung erhalte, sondern, unter
der Voraussetzung der Geltung,
welche Verfassung die entscheidende
Norm für das im Lande verbindliche Recht enthalte; und das ist die des
Gesamtstaates. Danach entscheidet sich, ob die Gliedstaaten eine eigene
Verfassung haben, was Carré de Malberg, II 527 f., übersieht.
2 Vgl. W. Burckhardt, Eidgenössisches Recht bricht kantonales
Recht, in der Festschrift für F. Fleiner (1927) 59.
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[160/0175] II. Teil. Die staatliche Verfassung. während im ersten Fall dem Gesamtstaat verblieb, was die Glied- staaten nicht für sich beanspruchten, verbleibt jetzt den Glied- staaten, was der Zentralstaat nicht für sich, bzw. die Zentral- verfassung nicht für ihre Organisationen beansprucht. Nach der Gesamtverfassung bestimmt sich also, inwiefern die Gliedstaaten zuständig sind, nicht nach ihren eigenen Verfassungen. Wenn Zweifel entsteht darüber, ob die zentrale oder die gliedstaatliche Organisation zuständig sei, muß die Zentralverfassung befragt werden. Weil es dort steht, sind die Gliedstaaten zuständig; aber auch weil es dort steht, existieren die Gliedstaaten überhaupt recht- lich, als verbindliche Einrichtungen, und so wie es dort steht, mit den dort gegebenen Einschränkungen und Modalitäten, sind sie anerkannt 1. Ihr letzter Rechtsgrund ist also nicht ihre Ver- fassung, sondern die Gesamtverfassung, und die Entscheidung darüber, wieweit diese Verfassung sie anerkenne, steht bei der Organisation, welche die Gesamtverfassung zu handhaben hat, bei der Gesamtorganisation; sie liegt also nicht in der Hand der Gliedstaaten selbst, sondern in einer anderen Hand. Auf dieses grundlegende Verhältnis der beiden Verfassungen geht der in jedem Bundesstaat anerkannte Satz zurück, daß Bun- desrecht Landesrecht bricht 2, und, was notwendig damit zusammen- hängt, daß die bundesstaatliche Behörde darüber entscheidet, ob das gliedstaatliche Recht dem gesamtstaatlichen widerspreche oder nicht; welches gliedstaatliche also schließlich gültig sei und welches nicht, welches Recht also in diesem Lande überhaupt verbindlich sei und gelte. Und zwar entscheidet sie nicht nur als schieds- gerichtliche Instanz zwischen den souveränen Gliedstaaten, sondern 1 Was nicht sagen will, die Gliedstaaten wären nicht entstanden, wenn die Gesamtverfassung nicht entstanden wäre — sie haben ja meist vor dem Gesamtstaat bestanden —, sondern: die gegenwärtige Grundlage ihrer rechtlichen Existenz sei die Gesamtverfassung, nicht die besonderen Ver- fassungen der Gliedstaaten. Es fragt sich nicht, wie die betreffende Ver- fassung entstanden sei oder was sie in Geltung erhalte, sondern, unter der Voraussetzung der Geltung, welche Verfassung die entscheidende Norm für das im Lande verbindliche Recht enthalte; und das ist die des Gesamtstaates. Danach entscheidet sich, ob die Gliedstaaten eine eigene Verfassung haben, was Carré de Malberg, II 527 f., übersieht. 2 Vgl. W. Burckhardt, Eidgenössisches Recht bricht kantonales Recht, in der Festschrift für F. Fleiner (1927) 59.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/175>, abgerufen am 26.11.2024.