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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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II. Teil. Die staatliche Verfassung.

4. Besonders häufig begegnet die Ansicht, daß das Recht
durch Anerkennung Geltung erlange1. Sie sei deshalb hier be-
sonders erörtert.

Unter Anerkennung kann man aber dreierlei verstehen:

a) die bindende Zustimmung zu einer rechtlichen Verpflich-
tung. Anerkennung will dann sagen, daß der das neue Recht An-
erkennende sich damit verpflichtet, es als für sich verbindlich
gelten zu lassen und es zu befolgen. In diesem Sinn ist die An-
erkennung nichts als ein anderer Ausdruck für den Gesellschafts-
vertrag: hier unterwirft sich der Einzelne einem positiven Vertrags-
verhältnis, dort verzichtet er in verbindlicher Weise auf seine
bisherige Freiheit; beides, auch der Verzicht, sind Rechtsgeschäfte.
Es würde sich folgerichtigerweise daraus ergeben, daß der Staats-
verband nur für denjenigen verbindlich ist, der sich ihm freiwillig
unterzieht, daß er aber für ihn auch endgültig verbindlich ist
(vgl. oben S. 48).

b) nicht die pro futuro gegebene, einmalige Zustimmung,
sondern die fortwährende tatsächliche Zustimmung zum Inhalte
der Rechtsordnung2. Damit entgeht man den Einwänden der

1 Vgl. Bierling, Juristische Prinzipienlehre I (1894) 40 ff.; V 174 ff.;
Sauer, Grundlagen der Gesellschaft (1924) 422 ff.; Schloßmann,
Der Vertrag (1879) 10 f.; Bodmann, Recht und Gewalt (1921); Hold
v. Ferneck, Rechtswidrigkeit I (1903) 188; Sternberg, Einführung in
die Rechtswissenschaft, 2. A., 21; Radbruch, Grundzüge der Rechts-
philosophie (1914) 167; Somlo, Juristische Grundlehre 138; v. Kirch-
mann,
Grundbegriffe des Rechts und der Moral, 2. A. (1873) 48 ff.; Jeru-
salem,
Soziologie des Rechts I (1925) 291 f.; Nelson, System der philo-
sophischen Rechtslehre (1924) 517. -- Viele Völkerrechtslehrer für das
Völkerrecht, z. B.: Rivier in Holtzendorff, Introduction 88; Principes
I 22; Gareis, Institutionen des Völkerrechts, 2. A. (1901) 33; Oppen-
heim,
International law, 3. A., I (1920) 2, 15; Kaufmann, Das Wesen
des Völkerrechts und die clausula rebus sic stantibus (1011) 157 ff., 168;
Heilborn, Grundbegriffe des Völkerrechts (1912) 38, 51; Berolzheimer,
System der Rechts- und Wirtschaftsphilosophie III 325. Vgl. die Kritik
dieser Lehre bei Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, 2. A., 1923,
(1. A. 1911) 346 ff.
2 So versteht sie Bierling V 193, aber ohne den dritten Sinn davon
deutlich zu unterscheiden; auch Schuppe, Gewohnheitsrecht 66 und
Sauer 434 verstehen es wohl so. -- Verwandt damit ist die Lehre, welche
die Geltung des Rechts auf das Rechtsgefühl zurückführt; z. B. Krabbe,
Die moderne Staatsidee (1919) 199, 285.
II. Teil. Die staatliche Verfassung.

4. Besonders häufig begegnet die Ansicht, daß das Recht
durch Anerkennung Geltung erlange1. Sie sei deshalb hier be-
sonders erörtert.

Unter Anerkennung kann man aber dreierlei verstehen:

a) die bindende Zustimmung zu einer rechtlichen Verpflich-
tung. Anerkennung will dann sagen, daß der das neue Recht An-
erkennende sich damit verpflichtet, es als für sich verbindlich
gelten zu lassen und es zu befolgen. In diesem Sinn ist die An-
erkennung nichts als ein anderer Ausdruck für den Gesellschafts-
vertrag: hier unterwirft sich der Einzelne einem positiven Vertrags-
verhältnis, dort verzichtet er in verbindlicher Weise auf seine
bisherige Freiheit; beides, auch der Verzicht, sind Rechtsgeschäfte.
Es würde sich folgerichtigerweise daraus ergeben, daß der Staats-
verband nur für denjenigen verbindlich ist, der sich ihm freiwillig
unterzieht, daß er aber für ihn auch endgültig verbindlich ist
(vgl. oben S. 48).

b) nicht die pro futuro gegebene, einmalige Zustimmung,
sondern die fortwährende tatsächliche Zustimmung zum Inhalte
der Rechtsordnung2. Damit entgeht man den Einwänden der

1 Vgl. Bierling, Juristische Prinzipienlehre I (1894) 40 ff.; V 174 ff.;
Sauer, Grundlagen der Gesellschaft (1924) 422 ff.; Schloßmann,
Der Vertrag (1879) 10 f.; Bodmann, Recht und Gewalt (1921); Hold
v. Ferneck, Rechtswidrigkeit I (1903) 188; Sternberg, Einführung in
die Rechtswissenschaft, 2. A., 21; Radbruch, Grundzüge der Rechts-
philosophie (1914) 167; Somlò, Juristische Grundlehre 138; v. Kirch-
mann,
Grundbegriffe des Rechts und der Moral, 2. A. (1873) 48 ff.; Jeru-
salem,
Soziologie des Rechts I (1925) 291 f.; Nelson, System der philo-
sophischen Rechtslehre (1924) 517. — Viele Völkerrechtslehrer für das
Völkerrecht, z. B.: Rivier in Holtzendorff, Introduction 88; Principes
I 22; Gareis, Institutionen des Völkerrechts, 2. A. (1901) 33; Oppen-
heim,
International law, 3. A., I (1920) 2, 15; Kaufmann, Das Wesen
des Völkerrechts und die clausula rebus sic stantibus (1011) 157 ff., 168;
Heilborn, Grundbegriffe des Völkerrechts (1912) 38, 51; Berolzheimer,
System der Rechts- und Wirtschaftsphilosophie III 325. Vgl. die Kritik
dieser Lehre bei Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, 2. A., 1923,
(1. A. 1911) 346 ff.
2 So versteht sie Bierling V 193, aber ohne den dritten Sinn davon
deutlich zu unterscheiden; auch Schuppe, Gewohnheitsrecht 66 und
Sauer 434 verstehen es wohl so. — Verwandt damit ist die Lehre, welche
die Geltung des Rechts auf das Rechtsgefühl zurückführt; z. B. Krabbe,
Die moderne Staatsidee (1919) 199, 285.
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[200/0215] II. Teil. Die staatliche Verfassung. 4. Besonders häufig begegnet die Ansicht, daß das Recht durch Anerkennung Geltung erlange 1. Sie sei deshalb hier be- sonders erörtert. Unter Anerkennung kann man aber dreierlei verstehen: a) die bindende Zustimmung zu einer rechtlichen Verpflich- tung. Anerkennung will dann sagen, daß der das neue Recht An- erkennende sich damit verpflichtet, es als für sich verbindlich gelten zu lassen und es zu befolgen. In diesem Sinn ist die An- erkennung nichts als ein anderer Ausdruck für den Gesellschafts- vertrag: hier unterwirft sich der Einzelne einem positiven Vertrags- verhältnis, dort verzichtet er in verbindlicher Weise auf seine bisherige Freiheit; beides, auch der Verzicht, sind Rechtsgeschäfte. Es würde sich folgerichtigerweise daraus ergeben, daß der Staats- verband nur für denjenigen verbindlich ist, der sich ihm freiwillig unterzieht, daß er aber für ihn auch endgültig verbindlich ist (vgl. oben S. 48). b) nicht die pro futuro gegebene, einmalige Zustimmung, sondern die fortwährende tatsächliche Zustimmung zum Inhalte der Rechtsordnung 2. Damit entgeht man den Einwänden der 1 Vgl. Bierling, Juristische Prinzipienlehre I (1894) 40 ff.; V 174 ff.; Sauer, Grundlagen der Gesellschaft (1924) 422 ff.; Schloßmann, Der Vertrag (1879) 10 f.; Bodmann, Recht und Gewalt (1921); Hold v. Ferneck, Rechtswidrigkeit I (1903) 188; Sternberg, Einführung in die Rechtswissenschaft, 2. A., 21; Radbruch, Grundzüge der Rechts- philosophie (1914) 167; Somlò, Juristische Grundlehre 138; v. Kirch- mann, Grundbegriffe des Rechts und der Moral, 2. A. (1873) 48 ff.; Jeru- salem, Soziologie des Rechts I (1925) 291 f.; Nelson, System der philo- sophischen Rechtslehre (1924) 517. — Viele Völkerrechtslehrer für das Völkerrecht, z. B.: Rivier in Holtzendorff, Introduction 88; Principes I 22; Gareis, Institutionen des Völkerrechts, 2. A. (1901) 33; Oppen- heim, International law, 3. A., I (1920) 2, 15; Kaufmann, Das Wesen des Völkerrechts und die clausula rebus sic stantibus (1011) 157 ff., 168; Heilborn, Grundbegriffe des Völkerrechts (1912) 38, 51; Berolzheimer, System der Rechts- und Wirtschaftsphilosophie III 325. Vgl. die Kritik dieser Lehre bei Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, 2. A., 1923, (1. A. 1911) 346 ff. 2 So versteht sie Bierling V 193, aber ohne den dritten Sinn davon deutlich zu unterscheiden; auch Schuppe, Gewohnheitsrecht 66 und Sauer 434 verstehen es wohl so. — Verwandt damit ist die Lehre, welche die Geltung des Rechts auf das Rechtsgefühl zurückführt; z. B. Krabbe, Die moderne Staatsidee (1919) 199, 285.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/215>, abgerufen am 24.11.2024.