Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.Das Verfassungsrecht. unterstehen, ein wesentlich tatsächliches Verhältnis; wer die Staats-gewalt ausübt, ist staatsrechtlich Herr über das Gebiet...." Wie leicht wäre es sonst für eine unzuständige Behörde, sich zu- ständig zu machen! Oder könnte nicht jede bisher unzuständige Behörde sich solche Gewalt beilegen? Könnten es etwa nur ge- wisse Behörden? Dann offenbar doch nur deshalb, weil sie rechtlich mehr vermöchten als die anderen, oder mit anderen Worten: weil sie das rechtliche Vermögen hätten, über die Ausübung der gesetz- gebenden Gewalt zu beschließen; weil sie also mehr wären als bloß gesetzgebende Behörden. -- Das sind die handgreiflichen Wider- sprüche, in die man sich verwickelt, wenn man meint, die gesetz- gebende Behörde könne über ihre eigene Zuständigkeit verfügen. Wenn es eine Zuständigkeit, d. h. eine rechtlich begründete Be- fugnis sein soll, so muß sie in einem anderen Willen als in ihrem eigenen begründet sein; in einer anderen Ordnung als in der Gesetz- gebung selbst1. Diese andere logisch vorauszusetzende positive Ordnung ist 1 Wenn man in einem klaren juristischen Sinn von einer Norm als einem Grundgesetz des Staates sprechen will, kann es nur in diesem Sinne sein: Die Verfassung ist diese Norm, weil sie die letzte positive Rechtsnorm ist, auf die das übrige positive Recht zurückgeführt werden kann. Die Gel- tung des positiven Rechts kann logisch nur aus anderem geltenden Recht abgeleitet werden (da ja im Schluß nicht enthalten sein kann, was nicht schon die Prämissen enthalten hätten). Die Norm, welche "zum typischen Inhalt" hat, "daß eine Autorität, eine Rechtsquelle, eingesetzt wird, deren Äußerungen als rechtsverbindlich zu gelten haben" (Kelsen, Allgemeine Staatslehre 99), ist eben die Verfassung; aber diese Norm ist auch gel- tendes Recht, sonst könnte man die Geltung anderer Normen nicht daraus ableiten. Sie ist nicht bloß eine wissenschaftliche Hypothese, wie Kelsen anderwärts annimmt (S. 104, 197, 199, 249); eine Norm also, die gelten müßte, damit sich die Geltung des positiven Rechts erklärte; es ist eine Norm, deren Geltung man behaupten muß, wenn man die Geltung aller übrigen behaupten will. Die Behauptung, daß diese Ursprungsnorm nicht gelte, daß aber das geltende Recht darauf "beruhe", d. h. aus ihr seine Geltung ableite, ist ein Widerspruch. Die Tatsache, daß ein konkretes, positives (z. B. das österreichische) Recht gilt, kann nicht aus einer Norm abgeleitet werden, die man logischerweise voraussetzen muß, damit jenes Recht gelte; denn die Frage ist ja eben, ob es gelte. Burckhardt, Organisation. 14
Das Verfassungsrecht. unterstehen, ein wesentlich tatsächliches Verhältnis; wer die Staats-gewalt ausübt, ist staatsrechtlich Herr über das Gebiet....“ Wie leicht wäre es sonst für eine unzuständige Behörde, sich zu- ständig zu machen! Oder könnte nicht jede bisher unzuständige Behörde sich solche Gewalt beilegen? Könnten es etwa nur ge- wisse Behörden? Dann offenbar doch nur deshalb, weil sie rechtlich mehr vermöchten als die anderen, oder mit anderen Worten: weil sie das rechtliche Vermögen hätten, über die Ausübung der gesetz- gebenden Gewalt zu beschließen; weil sie also mehr wären als bloß gesetzgebende Behörden. — Das sind die handgreiflichen Wider- sprüche, in die man sich verwickelt, wenn man meint, die gesetz- gebende Behörde könne über ihre eigene Zuständigkeit verfügen. Wenn es eine Zuständigkeit, d. h. eine rechtlich begründete Be- fugnis sein soll, so muß sie in einem anderen Willen als in ihrem eigenen begründet sein; in einer anderen Ordnung als in der Gesetz- gebung selbst1. Diese andere logisch vorauszusetzende positive Ordnung ist 1 Wenn man in einem klaren juristischen Sinn von einer Norm als einem Grundgesetz des Staates sprechen will, kann es nur in diesem Sinne sein: Die Verfassung ist diese Norm, weil sie die letzte positive Rechtsnorm ist, auf die das übrige positive Recht zurückgeführt werden kann. Die Gel- tung des positiven Rechts kann logisch nur aus anderem geltenden Recht abgeleitet werden (da ja im Schluß nicht enthalten sein kann, was nicht schon die Prämissen enthalten hätten). Die Norm, welche „zum typischen Inhalt“ hat, „daß eine Autorität, eine Rechtsquelle, eingesetzt wird, deren Äußerungen als rechtsverbindlich zu gelten haben“ (Kelsen, Allgemeine Staatslehre 99), ist eben die Verfassung; aber diese Norm ist auch gel- tendes Recht, sonst könnte man die Geltung anderer Normen nicht daraus ableiten. Sie ist nicht bloß eine wissenschaftliche Hypothese, wie Kelsen anderwärts annimmt (S. 104, 197, 199, 249); eine Norm also, die gelten müßte, damit sich die Geltung des positiven Rechts erklärte; es ist eine Norm, deren Geltung man behaupten muß, wenn man die Geltung aller übrigen behaupten will. Die Behauptung, daß diese Ursprungsnorm nicht gelte, daß aber das geltende Recht darauf „beruhe“, d. h. aus ihr seine Geltung ableite, ist ein Widerspruch. Die Tatsache, daß ein konkretes, positives (z. B. das österreichische) Recht gilt, kann nicht aus einer Norm abgeleitet werden, die man logischerweise voraussetzen muß, damit jenes Recht gelte; denn die Frage ist ja eben, ob es gelte. Burckhardt, Organisation. 14
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Das Verfassungsrecht.
unterstehen, ein wesentlich tatsächliches Verhältnis; wer die Staats-
gewalt ausübt, ist staatsrechtlich Herr über das Gebiet....“
Wie leicht wäre es sonst für eine unzuständige Behörde, sich zu-
ständig zu machen! Oder könnte nicht jede bisher unzuständige
Behörde sich solche Gewalt beilegen? Könnten es etwa nur ge-
wisse Behörden? Dann offenbar doch nur deshalb, weil sie rechtlich
mehr vermöchten als die anderen, oder mit anderen Worten: weil
sie das rechtliche Vermögen hätten, über die Ausübung der gesetz-
gebenden Gewalt zu beschließen; weil sie also mehr wären als bloß
gesetzgebende Behörden. — Das sind die handgreiflichen Wider-
sprüche, in die man sich verwickelt, wenn man meint, die gesetz-
gebende Behörde könne über ihre eigene Zuständigkeit verfügen.
Wenn es eine Zuständigkeit, d. h. eine rechtlich begründete Be-
fugnis sein soll, so muß sie in einem anderen Willen als in ihrem
eigenen begründet sein; in einer anderen Ordnung als in der Gesetz-
gebung selbst 1.
Diese andere logisch vorauszusetzende positive Ordnung ist
eben die Verfassung; sie muß jedenfalls in einer für den Gesetz-
geber verbindlichen, unabänderlichen Weise festgesetzt sein.
Und eben, um für den Gesetzgeber verbindlich zu sein, muß
1 Wenn man in einem klaren juristischen Sinn von einer Norm als einem
Grundgesetz des Staates sprechen will, kann es nur in diesem Sinne sein:
Die Verfassung ist diese Norm, weil sie die letzte positive Rechtsnorm ist,
auf die das übrige positive Recht zurückgeführt werden kann. Die Gel-
tung des positiven Rechts kann logisch nur aus anderem geltenden Recht
abgeleitet werden (da ja im Schluß nicht enthalten sein kann, was nicht
schon die Prämissen enthalten hätten). Die Norm, welche „zum typischen
Inhalt“ hat, „daß eine Autorität, eine Rechtsquelle, eingesetzt wird, deren
Äußerungen als rechtsverbindlich zu gelten haben“ (Kelsen, Allgemeine
Staatslehre 99), ist eben die Verfassung; aber diese Norm ist auch gel-
tendes Recht, sonst könnte man die Geltung anderer Normen nicht daraus
ableiten. Sie ist nicht bloß eine wissenschaftliche Hypothese, wie Kelsen
anderwärts annimmt (S. 104, 197, 199, 249); eine Norm also, die gelten müßte,
damit sich die Geltung des positiven Rechts erklärte; es ist eine Norm,
deren Geltung man behaupten muß, wenn man die Geltung aller übrigen
behaupten will. Die Behauptung, daß diese Ursprungsnorm nicht gelte,
daß aber das geltende Recht darauf „beruhe“, d. h. aus ihr seine Geltung
ableite, ist ein Widerspruch. Die Tatsache, daß ein konkretes, positives
(z. B. das österreichische) Recht gilt, kann nicht aus einer Norm abgeleitet
werden, die man logischerweise voraussetzen muß, damit jenes Recht
gelte; denn die Frage ist ja eben, ob es gelte.
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