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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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Das Verfassungsrecht.
Regelung, und die Vorschriften, die darüber aufgestellt werden
mögen, gehören nicht mehr zur geltenden Zuständigkeitsordnung
eines Staates. Sie dürfen daher, wo sie vorkommen, auch nicht
berücksichtigt werden zur rechtlichen Charakterisierung des
Staates. Wenn die Verfassung einer konstitutionellen Monarchie
nur auf Vorschlag des Monarchen revidiert werden kann, ist sie
deswegen nicht "im Grunde" eine absolute Monarchie; denn
wenn einmal die Verfassung revidiert wird, bilden die verfassungs-
rechtlichen Zuständigkeiten keine rechtliche Schranke mehr.
Oder wenn dieselbe Verfassung durch die Mehrheit des Volkes
oder seiner Vertretung revidiert werden kann, ist sie deswegen
nicht "im Grunde" eine republikanische Verfassung1; denn wie
dermalen eine neue Verfassung Geltung erlange, hängt wie die
Geltung des Rechts überhaupt von der dermaligen Verteilung
der Macht ab.

Man hat namentlich bei der rechtlichen Konstruktion des
Bundesstaates die Revisionsvorschriften in die Konstruktions-
materialien hereingezogen, indem man sagte, der Charakter eines
(souveränen) Staates komme derjenigen Körperschaft zu, Zentral-
staat oder Gliedstaat, welcher die Revision der Gesamtverfassung,
die Kompetenz-Kompetenz, zustehe. Wenn nun diese Verfassung
durch den Willen der Bundesorgane allein abgeändert werden
könne, so stehe ihnen die oberste Kompetenz zu, nämlich die,
über die Verteilung der Zuständigkeiten selbst zu verfügen.
Das wäre in der Tat die oberste Zuständigkeit, wenn es eine
solche "Zuständigkeit" geben könnte. Zuständig ist die Instanz, die
allein in gültiger Weise gewisse Akte vornehmen kann; da sich die
Gültigkeit einer neuen Verfassung aber nicht danach bestimmt,
wer sie erlassen hat, kann man hier auch nicht von Zuständigkeit
reden (vgl. oben S. 213). Und in der Tat begibt man sich in Wider-
sprüche, wenn man nach dieser Maxime konstruiert: Man kann
einen Staat nicht juristisch gleichzeitig nach der geltenden Zu-

(Diss. 1886) 31 f.; Carre de Malberg, Theorie generale II 525 ff.; Roguin,
La regle de droit (1889) 122; Schanze, Archiv für öffentliches Recht
42 293; Merkl, ebd. 37 66; Kahl in der Festgabe für O. Liebmann (1920)
79. -- Betr. die völkerrechtliche "Identität" des Staates vgl. unten S. 360.
1 Ein Staat hätte sonst virtuell alle Staatsformen; vgl. Miceli in
Intern. Zeitschrift für die Theorie des Rechts I 71.

Das Verfassungsrecht.
Regelung, und die Vorschriften, die darüber aufgestellt werden
mögen, gehören nicht mehr zur geltenden Zuständigkeitsordnung
eines Staates. Sie dürfen daher, wo sie vorkommen, auch nicht
berücksichtigt werden zur rechtlichen Charakterisierung des
Staates. Wenn die Verfassung einer konstitutionellen Monarchie
nur auf Vorschlag des Monarchen revidiert werden kann, ist sie
deswegen nicht „im Grunde“ eine absolute Monarchie; denn
wenn einmal die Verfassung revidiert wird, bilden die verfassungs-
rechtlichen Zuständigkeiten keine rechtliche Schranke mehr.
Oder wenn dieselbe Verfassung durch die Mehrheit des Volkes
oder seiner Vertretung revidiert werden kann, ist sie deswegen
nicht „im Grunde“ eine republikanische Verfassung1; denn wie
dermalen eine neue Verfassung Geltung erlange, hängt wie die
Geltung des Rechts überhaupt von der dermaligen Verteilung
der Macht ab.

Man hat namentlich bei der rechtlichen Konstruktion des
Bundesstaates die Revisionsvorschriften in die Konstruktions-
materialien hereingezogen, indem man sagte, der Charakter eines
(souveränen) Staates komme derjenigen Körperschaft zu, Zentral-
staat oder Gliedstaat, welcher die Revision der Gesamtverfassung,
die Kompetenz-Kompetenz, zustehe. Wenn nun diese Verfassung
durch den Willen der Bundesorgane allein abgeändert werden
könne, so stehe ihnen die oberste Kompetenz zu, nämlich die,
über die Verteilung der Zuständigkeiten selbst zu verfügen.
Das wäre in der Tat die oberste Zuständigkeit, wenn es eine
solche „Zuständigkeit“ geben könnte. Zuständig ist die Instanz, die
allein in gültiger Weise gewisse Akte vornehmen kann; da sich die
Gültigkeit einer neuen Verfassung aber nicht danach bestimmt,
wer sie erlassen hat, kann man hier auch nicht von Zuständigkeit
reden (vgl. oben S. 213). Und in der Tat begibt man sich in Wider-
sprüche, wenn man nach dieser Maxime konstruiert: Man kann
einen Staat nicht juristisch gleichzeitig nach der geltenden Zu-

(Diss. 1886) 31 f.; Carré de Malberg, Théorie générale II 525 ff.; Roguin,
La règle de droit (1889) 122; Schanze, Archiv für öffentliches Recht
42 293; Merkl, ebd. 37 66; Kahl in der Festgabe für O. Liebmann (1920)
79. — Betr. die völkerrechtliche „Identität“ des Staates vgl. unten S. 360.
1 Ein Staat hätte sonst virtuell alle Staatsformen; vgl. Miceli in
Intern. Zeitschrift für die Theorie des Rechts I 71.
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[221/0236] Das Verfassungsrecht. Regelung, und die Vorschriften, die darüber aufgestellt werden mögen, gehören nicht mehr zur geltenden Zuständigkeitsordnung eines Staates. Sie dürfen daher, wo sie vorkommen, auch nicht berücksichtigt werden zur rechtlichen Charakterisierung des Staates. Wenn die Verfassung einer konstitutionellen Monarchie nur auf Vorschlag des Monarchen revidiert werden kann, ist sie deswegen nicht „im Grunde“ eine absolute Monarchie; denn wenn einmal die Verfassung revidiert wird, bilden die verfassungs- rechtlichen Zuständigkeiten keine rechtliche Schranke mehr. Oder wenn dieselbe Verfassung durch die Mehrheit des Volkes oder seiner Vertretung revidiert werden kann, ist sie deswegen nicht „im Grunde“ eine republikanische Verfassung 1; denn wie dermalen eine neue Verfassung Geltung erlange, hängt wie die Geltung des Rechts überhaupt von der dermaligen Verteilung der Macht ab. Man hat namentlich bei der rechtlichen Konstruktion des Bundesstaates die Revisionsvorschriften in die Konstruktions- materialien hereingezogen, indem man sagte, der Charakter eines (souveränen) Staates komme derjenigen Körperschaft zu, Zentral- staat oder Gliedstaat, welcher die Revision der Gesamtverfassung, die Kompetenz-Kompetenz, zustehe. Wenn nun diese Verfassung durch den Willen der Bundesorgane allein abgeändert werden könne, so stehe ihnen die oberste Kompetenz zu, nämlich die, über die Verteilung der Zuständigkeiten selbst zu verfügen. Das wäre in der Tat die oberste Zuständigkeit, wenn es eine solche „Zuständigkeit“ geben könnte. Zuständig ist die Instanz, die allein in gültiger Weise gewisse Akte vornehmen kann; da sich die Gültigkeit einer neuen Verfassung aber nicht danach bestimmt, wer sie erlassen hat, kann man hier auch nicht von Zuständigkeit reden (vgl. oben S. 213). Und in der Tat begibt man sich in Wider- sprüche, wenn man nach dieser Maxime konstruiert: Man kann einen Staat nicht juristisch gleichzeitig nach der geltenden Zu- 2 1 Ein Staat hätte sonst virtuell alle Staatsformen; vgl. Miceli in Intern. Zeitschrift für die Theorie des Rechts I 71. 2 (Diss. 1886) 31 f.; Carré de Malberg, Théorie générale II 525 ff.; Roguin, La règle de droit (1889) 122; Schanze, Archiv für öffentliches Recht 42 293; Merkl, ebd. 37 66; Kahl in der Festgabe für O. Liebmann (1920) 79. — Betr. die völkerrechtliche „Identität“ des Staates vgl. unten S. 360.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/236>, abgerufen am 24.11.2024.