Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.II. Teil. Die staatliche Verfassung. eine Rechtsordnung, dieselbe für alle, zu gelten hat, genügt esnicht, daß alle das Bestreben haben, die Maximen ihres Verhaltens nach der Idee des Gerechten zu richten; diese Regeln müssen auch durch eine für alle zuständige Instanz bestimmt werden. Denn die Unvollkommenheit und zufällige Bestimmtheit der Menschen durch historische Antezedenzien führt notwendig dazu, daß sie, auch bei vollkommen gutem Willen, das Postulat der Rechtsidee nur unvollkommen verwirklichen und in verschiedene Maximen überführen, jeder nach seiner beschränkten Einsicht. Zu einer einheitlichen Ordnung ist auf diesem Wege der gesonderten Entscheidung darüber, welche Normen der Gerechtigkeit ent- sprechen, nicht zu gelangen (vgl. oben S. 182). Es muß ein Weg, ein Verfahren gewiesen sein, auf dem das verbindliche, einheitliche Recht bestimmt wird. Dieser Weg führt notwendig durch die staatliche Organisation. Ihre erste Aufgabe ist es, zu entscheiden, welche von verschiedenen denkbaren Normen die gültigen sein sollen1. Im modernen Staat fällt diese Aufgabe grundsätzlich den ge- rechtigkeit notwendig entgegen. Der Rechtssatz (und die Rechtsordnung, die sich aus Rechtssätzen zusammensetzt) ist notwendig ein Kompromiß zwischen der Forderung der Gerechtigkeit und der der Rechtssicherheit. Die erste ist die ideale, die zweite die praktische Forderung an das positive Recht. 1 Damit, daß ein Rechtssatz bestimmten Inhalts gesetzt wird, ist die Positivität des gesetzten Rechts gegeben (im Gegensatz zu dem sach- lich richtigen Recht, wie es durch die Rechtsidee postuliert würde); mit der Form des Rechtssatzes, in die das gesetzte Recht gekleidet wird, ist seine logische Form gegeben (im Gegensatz zur Form eines bloßen Postulates, wie es die Rechtsidee darstellt). Von dieser Form ist später die Rede. 2 Das Recht muß durch jemand das Siegel der Form erhalten, wie
Justus Möser einmal sagte (in der Sammlung: Gesellschaft und Staat [1921] 216); die Positivität des Inhalts; Stahl, Philosophie des Rechts II 221. II. Teil. Die staatliche Verfassung. eine Rechtsordnung, dieselbe für alle, zu gelten hat, genügt esnicht, daß alle das Bestreben haben, die Maximen ihres Verhaltens nach der Idee des Gerechten zu richten; diese Regeln müssen auch durch eine für alle zuständige Instanz bestimmt werden. Denn die Unvollkommenheit und zufällige Bestimmtheit der Menschen durch historische Antezedenzien führt notwendig dazu, daß sie, auch bei vollkommen gutem Willen, das Postulat der Rechtsidee nur unvollkommen verwirklichen und in verschiedene Maximen überführen, jeder nach seiner beschränkten Einsicht. Zu einer einheitlichen Ordnung ist auf diesem Wege der gesonderten Entscheidung darüber, welche Normen der Gerechtigkeit ent- sprechen, nicht zu gelangen (vgl. oben S. 182). Es muß ein Weg, ein Verfahren gewiesen sein, auf dem das verbindliche, einheitliche Recht bestimmt wird. Dieser Weg führt notwendig durch die staatliche Organisation. Ihre erste Aufgabe ist es, zu entscheiden, welche von verschiedenen denkbaren Normen die gültigen sein sollen1. Im modernen Staat fällt diese Aufgabe grundsätzlich den ge- rechtigkeit notwendig entgegen. Der Rechtssatz (und die Rechtsordnung, die sich aus Rechtssätzen zusammensetzt) ist notwendig ein Kompromiß zwischen der Forderung der Gerechtigkeit und der der Rechtssicherheit. Die erste ist die ideale, die zweite die praktische Forderung an das positive Recht. 1 Damit, daß ein Rechtssatz bestimmten Inhalts gesetzt wird, ist die Positivität des gesetzten Rechts gegeben (im Gegensatz zu dem sach- lich richtigen Recht, wie es durch die Rechtsidee postuliert würde); mit der Form des Rechtssatzes, in die das gesetzte Recht gekleidet wird, ist seine logische Form gegeben (im Gegensatz zur Form eines bloßen Postulates, wie es die Rechtsidee darstellt). Von dieser Form ist später die Rede. 2 Das Recht muß durch jemand das Siegel der Form erhalten, wie
Justus Möser einmal sagte (in der Sammlung: Gesellschaft und Staat [1921] 216); die Positivität des Inhalts; Stahl, Philosophie des Rechts II 221. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0253" n="238"/><fw place="top" type="header">II. Teil. Die staatliche Verfassung.</fw><lb/><hi rendition="#g">eine</hi> Rechtsordnung, dieselbe für alle, zu gelten hat, genügt es<lb/> nicht, daß alle das Bestreben haben, die Maximen ihres Verhaltens<lb/> nach der Idee des Gerechten zu richten; diese Regeln müssen auch<lb/> durch eine für alle zuständige Instanz bestimmt werden. Denn<lb/> die Unvollkommenheit und zufällige Bestimmtheit der Menschen<lb/> durch historische Antezedenzien führt notwendig dazu, daß sie,<lb/> auch bei vollkommen gutem Willen, das Postulat der Rechtsidee<lb/> nur unvollkommen verwirklichen und in <hi rendition="#g">verschiedene</hi> Maximen<lb/> überführen, jeder nach seiner beschränkten Einsicht. Zu einer<lb/><hi rendition="#g">einheitlichen</hi> Ordnung ist auf diesem Wege der gesonderten<lb/> Entscheidung darüber, welche Normen der Gerechtigkeit ent-<lb/> sprechen, nicht zu gelangen (vgl. oben S. 182). Es muß <hi rendition="#g">ein</hi> Weg,<lb/><hi rendition="#g">ein</hi> Verfahren gewiesen sein, auf dem das verbindliche, einheitliche<lb/> Recht bestimmt wird. Dieser Weg führt notwendig durch die<lb/> staatliche Organisation. Ihre erste Aufgabe ist es, zu entscheiden,<lb/> welche von verschiedenen denkbaren Normen die gültigen sein<lb/> sollen<note place="foot" n="1">Damit, daß ein Rechtssatz bestimmten <hi rendition="#g">Inhalts</hi> gesetzt wird, ist<lb/> die Positivität des gesetzten Rechts gegeben (im Gegensatz zu dem sach-<lb/> lich richtigen Recht, wie es durch die Rechtsidee postuliert würde); mit<lb/> der <hi rendition="#g">Form</hi> des Rechtssatzes, in die das gesetzte Recht gekleidet wird, ist<lb/> seine logische Form gegeben (im Gegensatz zur Form eines bloßen Postulates,<lb/> wie es die Rechtsidee darstellt). Von dieser Form ist später die Rede.</note>.</p><lb/> <p>Im modernen Staat fällt diese Aufgabe grundsätzlich den ge-<lb/> setzgebenden Organen zu: sie sollen in bestimmte Formeln fassen,<lb/> was die Gerechtigkeit jeweilen erheischt, in Sätze, die nun in dieser<lb/> Fassung gelten sollen<note place="foot" n="2">Das Recht muß durch jemand das Siegel der Form erhalten, wie<lb/> Justus <hi rendition="#g">Möser</hi> einmal sagte (in der Sammlung: Gesellschaft und Staat [1921]<lb/> 216); die Positivität des Inhalts; <hi rendition="#g">Stahl,</hi> Philosophie des Rechts II 221.</note>. In früheren Jahrhunderten, und zum Teil<lb/> noch heute, war dafür kein besonderes Organ bestellt, weil man das<lb/> Recht, die Grundsätze rechtlichen Verhaltens, als etwas Fest-<lb/> stehendes, Unabänderliches betrachtete, das anzuwenden sei, wie<lb/> es ist, nämlich wie es in der Überlieferung bestand. Diese ewige,<lb/><note xml:id="seg2pn_36_2" prev="#seg2pn_36_1" place="foot" n="1">rechtigkeit notwendig entgegen. Der Rechtssatz (und die Rechtsordnung,<lb/> die sich aus Rechtssätzen zusammensetzt) ist notwendig ein Kompromiß<lb/> zwischen der Forderung der Gerechtigkeit und der der Rechtssicherheit.<lb/> Die erste ist die ideale, die zweite die praktische Forderung an das positive<lb/> Recht.</note><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [238/0253]
II. Teil. Die staatliche Verfassung.
eine Rechtsordnung, dieselbe für alle, zu gelten hat, genügt es
nicht, daß alle das Bestreben haben, die Maximen ihres Verhaltens
nach der Idee des Gerechten zu richten; diese Regeln müssen auch
durch eine für alle zuständige Instanz bestimmt werden. Denn
die Unvollkommenheit und zufällige Bestimmtheit der Menschen
durch historische Antezedenzien führt notwendig dazu, daß sie,
auch bei vollkommen gutem Willen, das Postulat der Rechtsidee
nur unvollkommen verwirklichen und in verschiedene Maximen
überführen, jeder nach seiner beschränkten Einsicht. Zu einer
einheitlichen Ordnung ist auf diesem Wege der gesonderten
Entscheidung darüber, welche Normen der Gerechtigkeit ent-
sprechen, nicht zu gelangen (vgl. oben S. 182). Es muß ein Weg,
ein Verfahren gewiesen sein, auf dem das verbindliche, einheitliche
Recht bestimmt wird. Dieser Weg führt notwendig durch die
staatliche Organisation. Ihre erste Aufgabe ist es, zu entscheiden,
welche von verschiedenen denkbaren Normen die gültigen sein
sollen 1.
Im modernen Staat fällt diese Aufgabe grundsätzlich den ge-
setzgebenden Organen zu: sie sollen in bestimmte Formeln fassen,
was die Gerechtigkeit jeweilen erheischt, in Sätze, die nun in dieser
Fassung gelten sollen 2. In früheren Jahrhunderten, und zum Teil
noch heute, war dafür kein besonderes Organ bestellt, weil man das
Recht, die Grundsätze rechtlichen Verhaltens, als etwas Fest-
stehendes, Unabänderliches betrachtete, das anzuwenden sei, wie
es ist, nämlich wie es in der Überlieferung bestand. Diese ewige,
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1 Damit, daß ein Rechtssatz bestimmten Inhalts gesetzt wird, ist
die Positivität des gesetzten Rechts gegeben (im Gegensatz zu dem sach-
lich richtigen Recht, wie es durch die Rechtsidee postuliert würde); mit
der Form des Rechtssatzes, in die das gesetzte Recht gekleidet wird, ist
seine logische Form gegeben (im Gegensatz zur Form eines bloßen Postulates,
wie es die Rechtsidee darstellt). Von dieser Form ist später die Rede.
2 Das Recht muß durch jemand das Siegel der Form erhalten, wie
Justus Möser einmal sagte (in der Sammlung: Gesellschaft und Staat [1921]
216); die Positivität des Inhalts; Stahl, Philosophie des Rechts II 221.
1 rechtigkeit notwendig entgegen. Der Rechtssatz (und die Rechtsordnung,
die sich aus Rechtssätzen zusammensetzt) ist notwendig ein Kompromiß
zwischen der Forderung der Gerechtigkeit und der der Rechtssicherheit.
Die erste ist die ideale, die zweite die praktische Forderung an das positive
Recht.
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