das Bankhaus für die Steuerhinterziehung des Kunden, der Unter- nehmer für die Polizeiübertretung des Angestellten, der Eigentümer für den Zustand des Gebäudes, die juristische Person für die Ver- geßlichkeit des Vorstandes mit Buße bestraft werden. Eine be- liebige Person, die mit der wirklich schuldigen in keinemZu- sammenhang steht, zu bestrafen, wenn auch nur mit Geld, hätte keinen Sinn. Wegen dieser Vernachlässigung der Schuld hat auch die Polizeistrafe im Vergleich zur eigentlichen Strafe (und bei gleicher Höhe) eine geringere ethische Bedeutung: Das Verschulden des Bestraften ist damit nicht festgestellt und abgemessen.
Man kann vielleicht noch einwenden, daß die Strafe nicht die einzige Reaktion gegen Unrecht sei, daß (abgesehen von dem unmittelbaren Zwang, der, wie wir annehmen, versagt) auch die privatrechtliche Schadenersatzpflicht auf der Voraussetzung einer Rechtswidrigkeit beruht und daher das Verhalten, welches die Voraussetzung der Entschädigungspflicht bildet, als rechtswidrig charakterisiert. Das ist nicht unrichtig: Wer wegen schuldhafter Körperverletzung zu Schadenersatz an den Verletzten verurteilt wird, ist damit auch als der verantwortliche Urheber einer Rechts- widrigkeit gekennzeichnet. Aber doch nur einer Rechtswidrigkeit gegenüber dem Verletzten, die also nur geltend gemacht wird, wenn der Verletzte es haben will (und es tun kann); zufällig also, nach der subjektiven Entschließung des Verletzten, und nicht unbedingt und notwendig, wie es die Folge der Verletzung eines unbedingt und notwendig verpflichtenden Rechtssatzes des öffent- lichen Rechtes sein muß. Wenn der Gesetzgeber das Verbot formell in zwingender Weise ohne Rücksicht auf die Entschließung einer Privatperson verbindlich machen will, kann er die Antwort auf die Übertretung nicht von einer solchen zufälligen Entschließung ab- hängig machen. -- Und ferner: Wenn es die Antwort der Rechts- ordnung auf die Schuld sein soll, kann die Wiedergutmachung des Täters nicht nach dem Schaden des Verletzten abgemessen werden; das ist keine Strafe mehr. Wird aber der Schuldige verpflichtet, dem Verletzten mehr zu leisten nach der Schwere seines Vergehens (etwa wie im Wergeld-System), so mag das eine Strafe sein; aber es bleibt widerspruchsvoll, daß die Übertretung eines Satzes, der ohne Rücksicht auf den Willen der Beteiligten (auch der Ver- letzten) gelten soll, durch eine Leistung an den Verletzten, die der
II. Teil. Die staatliche Verfassung.
das Bankhaus für die Steuerhinterziehung des Kunden, der Unter- nehmer für die Polizeiübertretung des Angestellten, der Eigentümer für den Zustand des Gebäudes, die juristische Person für die Ver- geßlichkeit des Vorstandes mit Buße bestraft werden. Eine be- liebige Person, die mit der wirklich schuldigen in keinemZu- sammenhang steht, zu bestrafen, wenn auch nur mit Geld, hätte keinen Sinn. Wegen dieser Vernachlässigung der Schuld hat auch die Polizeistrafe im Vergleich zur eigentlichen Strafe (und bei gleicher Höhe) eine geringere ethische Bedeutung: Das Verschulden des Bestraften ist damit nicht festgestellt und abgemessen.
Man kann vielleicht noch einwenden, daß die Strafe nicht die einzige Reaktion gegen Unrecht sei, daß (abgesehen von dem unmittelbaren Zwang, der, wie wir annehmen, versagt) auch die privatrechtliche Schadenersatzpflicht auf der Voraussetzung einer Rechtswidrigkeit beruht und daher das Verhalten, welches die Voraussetzung der Entschädigungspflicht bildet, als rechtswidrig charakterisiert. Das ist nicht unrichtig: Wer wegen schuldhafter Körperverletzung zu Schadenersatz an den Verletzten verurteilt wird, ist damit auch als der verantwortliche Urheber einer Rechts- widrigkeit gekennzeichnet. Aber doch nur einer Rechtswidrigkeit gegenüber dem Verletzten, die also nur geltend gemacht wird, wenn der Verletzte es haben will (und es tun kann); zufällig also, nach der subjektiven Entschließung des Verletzten, und nicht unbedingt und notwendig, wie es die Folge der Verletzung eines unbedingt und notwendig verpflichtenden Rechtssatzes des öffent- lichen Rechtes sein muß. Wenn der Gesetzgeber das Verbot formell in zwingender Weise ohne Rücksicht auf die Entschließung einer Privatperson verbindlich machen will, kann er die Antwort auf die Übertretung nicht von einer solchen zufälligen Entschließung ab- hängig machen. — Und ferner: Wenn es die Antwort der Rechts- ordnung auf die Schuld sein soll, kann die Wiedergutmachung des Täters nicht nach dem Schaden des Verletzten abgemessen werden; das ist keine Strafe mehr. Wird aber der Schuldige verpflichtet, dem Verletzten mehr zu leisten nach der Schwere seines Vergehens (etwa wie im Wergeld-System), so mag das eine Strafe sein; aber es bleibt widerspruchsvoll, daß die Übertretung eines Satzes, der ohne Rücksicht auf den Willen der Beteiligten (auch der Ver- letzten) gelten soll, durch eine Leistung an den Verletzten, die der
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0313"n="298"/><fwplace="top"type="header">II. Teil. Die staatliche Verfassung.</fw><lb/>
das Bankhaus für die Steuerhinterziehung des Kunden, der Unter-<lb/>
nehmer für die Polizeiübertretung des Angestellten, der Eigentümer<lb/>
für den Zustand des Gebäudes, die juristische Person für die Ver-<lb/>
geßlichkeit des Vorstandes mit Buße bestraft werden. Eine be-<lb/>
liebige Person, die mit der wirklich schuldigen in <hirendition="#g">keinem</hi>Zu-<lb/>
sammenhang steht, zu bestrafen, wenn auch nur mit Geld, hätte<lb/>
keinen Sinn. Wegen dieser Vernachlässigung der Schuld hat auch<lb/>
die Polizeistrafe im Vergleich zur eigentlichen Strafe (und bei<lb/>
gleicher Höhe) eine geringere ethische Bedeutung: Das Verschulden<lb/>
des Bestraften ist damit nicht festgestellt und abgemessen.</p><lb/><p>Man kann vielleicht noch einwenden, daß die Strafe nicht die<lb/>
einzige Reaktion gegen Unrecht sei, daß (abgesehen von dem<lb/>
unmittelbaren Zwang, der, wie wir annehmen, versagt) auch die<lb/>
privatrechtliche Schadenersatzpflicht auf der Voraussetzung einer<lb/>
Rechtswidrigkeit beruht und daher das Verhalten, welches die<lb/>
Voraussetzung der Entschädigungspflicht bildet, als rechtswidrig<lb/>
charakterisiert. Das ist nicht unrichtig: Wer wegen schuldhafter<lb/>
Körperverletzung zu Schadenersatz an den Verletzten verurteilt<lb/>
wird, ist damit auch als der verantwortliche Urheber einer Rechts-<lb/>
widrigkeit gekennzeichnet. Aber doch nur einer Rechtswidrigkeit<lb/>
gegenüber dem Verletzten, die also nur geltend gemacht wird,<lb/>
wenn der Verletzte es haben will (und es tun kann); zufällig also,<lb/>
nach der subjektiven Entschließung des Verletzten, und nicht<lb/>
unbedingt und notwendig, wie es die Folge der Verletzung eines<lb/>
unbedingt und notwendig verpflichtenden Rechtssatzes des öffent-<lb/>
lichen Rechtes sein muß. Wenn der Gesetzgeber das Verbot formell<lb/>
in zwingender Weise ohne Rücksicht auf die Entschließung einer<lb/>
Privatperson verbindlich machen will, kann er die Antwort auf die<lb/>
Übertretung nicht von einer solchen zufälligen Entschließung ab-<lb/>
hängig machen. — Und ferner: Wenn es die Antwort der Rechts-<lb/>
ordnung auf die Schuld sein soll, kann die Wiedergutmachung des<lb/>
Täters nicht nach dem Schaden des Verletzten abgemessen werden;<lb/>
das ist keine Strafe mehr. Wird aber der Schuldige verpflichtet,<lb/>
dem Verletzten mehr zu leisten nach der Schwere seines Vergehens<lb/>
(etwa wie im Wergeld-System), so mag das eine Strafe sein; aber<lb/>
es bleibt widerspruchsvoll, daß die Übertretung eines Satzes, der<lb/>
ohne Rücksicht auf den Willen der Beteiligten (auch der Ver-<lb/>
letzten) gelten soll, durch eine Leistung an den Verletzten, die der<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[298/0313]
II. Teil. Die staatliche Verfassung.
das Bankhaus für die Steuerhinterziehung des Kunden, der Unter-
nehmer für die Polizeiübertretung des Angestellten, der Eigentümer
für den Zustand des Gebäudes, die juristische Person für die Ver-
geßlichkeit des Vorstandes mit Buße bestraft werden. Eine be-
liebige Person, die mit der wirklich schuldigen in keinemZu-
sammenhang steht, zu bestrafen, wenn auch nur mit Geld, hätte
keinen Sinn. Wegen dieser Vernachlässigung der Schuld hat auch
die Polizeistrafe im Vergleich zur eigentlichen Strafe (und bei
gleicher Höhe) eine geringere ethische Bedeutung: Das Verschulden
des Bestraften ist damit nicht festgestellt und abgemessen.
Man kann vielleicht noch einwenden, daß die Strafe nicht die
einzige Reaktion gegen Unrecht sei, daß (abgesehen von dem
unmittelbaren Zwang, der, wie wir annehmen, versagt) auch die
privatrechtliche Schadenersatzpflicht auf der Voraussetzung einer
Rechtswidrigkeit beruht und daher das Verhalten, welches die
Voraussetzung der Entschädigungspflicht bildet, als rechtswidrig
charakterisiert. Das ist nicht unrichtig: Wer wegen schuldhafter
Körperverletzung zu Schadenersatz an den Verletzten verurteilt
wird, ist damit auch als der verantwortliche Urheber einer Rechts-
widrigkeit gekennzeichnet. Aber doch nur einer Rechtswidrigkeit
gegenüber dem Verletzten, die also nur geltend gemacht wird,
wenn der Verletzte es haben will (und es tun kann); zufällig also,
nach der subjektiven Entschließung des Verletzten, und nicht
unbedingt und notwendig, wie es die Folge der Verletzung eines
unbedingt und notwendig verpflichtenden Rechtssatzes des öffent-
lichen Rechtes sein muß. Wenn der Gesetzgeber das Verbot formell
in zwingender Weise ohne Rücksicht auf die Entschließung einer
Privatperson verbindlich machen will, kann er die Antwort auf die
Übertretung nicht von einer solchen zufälligen Entschließung ab-
hängig machen. — Und ferner: Wenn es die Antwort der Rechts-
ordnung auf die Schuld sein soll, kann die Wiedergutmachung des
Täters nicht nach dem Schaden des Verletzten abgemessen werden;
das ist keine Strafe mehr. Wird aber der Schuldige verpflichtet,
dem Verletzten mehr zu leisten nach der Schwere seines Vergehens
(etwa wie im Wergeld-System), so mag das eine Strafe sein; aber
es bleibt widerspruchsvoll, daß die Übertretung eines Satzes, der
ohne Rücksicht auf den Willen der Beteiligten (auch der Ver-
letzten) gelten soll, durch eine Leistung an den Verletzten, die der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/313>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.