Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.Die Erzwingung des Rechts. werden. Aber ein unvollkommener Mensch kann nicht bean-spruchen, anderen unvollkommenen Menschen gegenüber diese Rolle des vollkommen einsichtigen Erziehers zu spielen; er kann sich bloß zum Sprachrohr der Stimme machen, die allen gemein- sam im Gewissen hörbar ist1. Und er als Mensch soll die Re- habilitation anderen Menschen nicht verweigern, die ihre Fehler aufrichtig bereuen, jedesmal wo sie es tun; wogegen es allerdings keinen Sinn hätte, die sittliche Verurteilung aufzuheben gegen- über demjenigen, der seinen Fehler nicht selbst wirklich verurteilt. Das ist die folgerichtige Haltung des Menschen, der im Namen der Moral, der Gewissenspflicht spricht. Die folgerichtige Haltung des Vertreters der Rechtsordnung, des Staates, gegenüber dem- jenigen, der sie mißachtet, ist aber der Zwang. Das Recht verlangt nur die Konformität des äußeren Verhaltens, deshalb muß es auch dieses Verhalten erzwingen; es würde sonst gar nichts leisten. Es muß die Konformität anerkennen, auch wenn ihr die innere Unterordnung des Willens fehlt. Aber es kann sich auch nicht begnügen mit der inneren Zustimmung und Unterziehung, wenn das äußere Verhalten ihm nicht entspricht oder nicht entsprochen hat. Es muß den äußeren Gehorsam erzwingen oder, wo der unmittelbare Zwang versagt, die Übernahme eines entsprechenden Unrechtes als Strafe erzwingen. Das Wesen der Strafe im Rechtssinne erkennt man erst, wenn Die Leistung der staatlichen Organisation ist also, die Rechts- 1 Vgl. Stahl, Philosophie des Rechts, 5. A., II b 176 ff. Scheler a. a. O. 374. Burckhardt, Organisation. 20
Die Erzwingung des Rechts. werden. Aber ein unvollkommener Mensch kann nicht bean-spruchen, anderen unvollkommenen Menschen gegenüber diese Rolle des vollkommen einsichtigen Erziehers zu spielen; er kann sich bloß zum Sprachrohr der Stimme machen, die allen gemein- sam im Gewissen hörbar ist1. Und er als Mensch soll die Re- habilitation anderen Menschen nicht verweigern, die ihre Fehler aufrichtig bereuen, jedesmal wo sie es tun; wogegen es allerdings keinen Sinn hätte, die sittliche Verurteilung aufzuheben gegen- über demjenigen, der seinen Fehler nicht selbst wirklich verurteilt. Das ist die folgerichtige Haltung des Menschen, der im Namen der Moral, der Gewissenspflicht spricht. Die folgerichtige Haltung des Vertreters der Rechtsordnung, des Staates, gegenüber dem- jenigen, der sie mißachtet, ist aber der Zwang. Das Recht verlangt nur die Konformität des äußeren Verhaltens, deshalb muß es auch dieses Verhalten erzwingen; es würde sonst gar nichts leisten. Es muß die Konformität anerkennen, auch wenn ihr die innere Unterordnung des Willens fehlt. Aber es kann sich auch nicht begnügen mit der inneren Zustimmung und Unterziehung, wenn das äußere Verhalten ihm nicht entspricht oder nicht entsprochen hat. Es muß den äußeren Gehorsam erzwingen oder, wo der unmittelbare Zwang versagt, die Übernahme eines entsprechenden Unrechtes als Strafe erzwingen. Das Wesen der Strafe im Rechtssinne erkennt man erst, wenn Die Leistung der staatlichen Organisation ist also, die Rechts- 1 Vgl. Stahl, Philosophie des Rechts, 5. A., II b 176 ff. Scheler a. a. O. 374. Burckhardt, Organisation. 20
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Die Erzwingung des Rechts.
werden. Aber ein unvollkommener Mensch kann nicht bean-
spruchen, anderen unvollkommenen Menschen gegenüber diese
Rolle des vollkommen einsichtigen Erziehers zu spielen; er kann
sich bloß zum Sprachrohr der Stimme machen, die allen gemein-
sam im Gewissen hörbar ist 1. Und er als Mensch soll die Re-
habilitation anderen Menschen nicht verweigern, die ihre Fehler
aufrichtig bereuen, jedesmal wo sie es tun; wogegen es allerdings
keinen Sinn hätte, die sittliche Verurteilung aufzuheben gegen-
über demjenigen, der seinen Fehler nicht selbst wirklich verurteilt.
Das ist die folgerichtige Haltung des Menschen, der im Namen
der Moral, der Gewissenspflicht spricht. Die folgerichtige Haltung
des Vertreters der Rechtsordnung, des Staates, gegenüber dem-
jenigen, der sie mißachtet, ist aber der Zwang. Das Recht verlangt
nur die Konformität des äußeren Verhaltens, deshalb muß es auch
dieses Verhalten erzwingen; es würde sonst gar nichts leisten.
Es muß die Konformität anerkennen, auch wenn ihr die innere
Unterordnung des Willens fehlt. Aber es kann sich auch nicht
begnügen mit der inneren Zustimmung und Unterziehung, wenn
das äußere Verhalten ihm nicht entspricht oder nicht entsprochen
hat. Es muß den äußeren Gehorsam erzwingen oder, wo der
unmittelbare Zwang versagt, die Übernahme eines entsprechenden
Unrechtes als Strafe erzwingen.
Das Wesen der Strafe im Rechtssinne erkennt man erst, wenn
man sich der Eigenart des Rechtes selbst bewußt wird.
Die Leistung der staatlichen Organisation ist also, die Rechts-
idee in die Wirklichkeit überzuführen. Durch die drei Stufen der
Rechtssetzung, d. h. der Anwendung der Rechtsidee auf eine ge-
gebene Gesellschaft, der Rechtsanwendung, d. h. der Anwendung
der Rechtssätze auf die gegebenen Fälle, und der Rechtsvoll-
streckung, d. h. der Anwendung des Zwanges, gemäß der rechts-
anwendenden Entscheidungen, oder der Strafe. Diese drei Stufen
lassen sich nicht im Verfahren und in der Behördengliederung jedes
Staates erkennen; es kann sein und ist oft gewesen, daß Rechts-
1 Vgl. Stahl, Philosophie des Rechts, 5. A., II b 176 ff. Scheler
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