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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung.

Die soeben gekennzeichnete organmäßige Vertretung des
Privatrechts findet, wie jede eigentliche Vertretung, nur Anwendung
auf rechtsgeschäftliches Handeln; auf die Betätigung der privaten
Autonomie, der Willkür. Man hat aber vielfach geglaubt, sie auch
auf das öffentliche Recht und auf öffentlich-rechtliche Verbände,
insbesondere den Staat selbst, übertragen zu können. Die Ver-
fassung des modernen konstitutionellen Staates ist in der Tat in
ihrer Anlage und ihrer Ideologie (nach der Auffassung ihrer Väter)
die Übertragung der privatrechtlichen Verbandsorganisation auf
den Staat: durch rechtsgeschäftliche Ermächtigung sollen die von
Natur rechtsfähigen Volksgenossen die Volksvertretung bestellen,
und kraft dieser Vertretungsmacht soll die Volksvertretung die
Gesamtheit des Volkes berechtigen und verpflichten, wie der be-
vollmächtigte Vertreter (Mandatar) einer Privatperson diese im
privatrechtlichen Verkehr durch seine rechtsgeschäftlichen Hand-
lungen verpflichtet. Das ist nicht nur unrichtig, weil der Anfang
des Rechts, was die Verfassung im logischen Sinne ist, nicht mit
dieser Ableitung erklärt werden kann (vgl. oben S. 218, 191), sondern

Bemerkung über die begriffliche Möglichkeit zweier koordinierter, in der-
selben Sache zuständiger Organe für privatrechtliche Verbände nicht im
Widerspruch. Denn dort soll, wie wir annehmen, nur ein Organ sein; das
eine Kollegium der Mitgliederversammlung oder des fünf- oder sieben-
gliedrigen Vorstandes soll zur Vertretung berufen sein und einen Willen
äußern; ist das aber gewollt, so muß zur Beschlußfassung eine Stimmenzahl
gefordert werden, welche nicht mehr als einmal erreicht werden kann.
Sollte aber wirklich jedes Drittel der Mitglieder etwas beschließen können,
so wird dieser Bruchteil der Mitgliedschaft zum besonderen Organ; oder
besser: es können sich in der Mitgliederversammlung zwei Willensäußerungen
bilden, die beide für die Gesamtheit maßgebend sind; die Mitgliederversamm-
lung enthält also virtuell zwei Organe. Das ist im Verhältnis der privaten
Gemeinschaft zu Dritten begrifflich sehr wohl möglich, so gut wie von vorn-
herein zwei selbständige Organspersonen. Es fragt sich nur, was die Ver-
fassung des Verbandes gewollt habe. Im Verhältnis der Mitglieder unter-
einander ist es allerdings nicht möglich. Die Mitglieder einer Käserei-
genossenschaft können nicht durch einen gültigen Beschluß verpflichtet
werden, alle Milch abzugeben, und durch einen anderen, gleichfalls gültig,
berechtigt werden, einen Teil zu behalten; aber die Genossenschaft kann
sich zwei Käufern gegenüber verpflichten, alle ihre Käse zu liefern. Die
Beschlüsse sind eben Betätigungen der Gemeinschaftsordnung, die einheit-
lich sein muß; die Kaufvertrage Betätigungen der Vertragsfreiheit, die will-
kürlich sind und unter sich in keinem Zusammenhang stehen.
III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung.

Die soeben gekennzeichnete organmäßige Vertretung des
Privatrechts findet, wie jede eigentliche Vertretung, nur Anwendung
auf rechtsgeschäftliches Handeln; auf die Betätigung der privaten
Autonomie, der Willkür. Man hat aber vielfach geglaubt, sie auch
auf das öffentliche Recht und auf öffentlich-rechtliche Verbände,
insbesondere den Staat selbst, übertragen zu können. Die Ver-
fassung des modernen konstitutionellen Staates ist in der Tat in
ihrer Anlage und ihrer Ideologie (nach der Auffassung ihrer Väter)
die Übertragung der privatrechtlichen Verbandsorganisation auf
den Staat: durch rechtsgeschäftliche Ermächtigung sollen die von
Natur rechtsfähigen Volksgenossen die Volksvertretung bestellen,
und kraft dieser Vertretungsmacht soll die Volksvertretung die
Gesamtheit des Volkes berechtigen und verpflichten, wie der be-
vollmächtigte Vertreter (Mandatar) einer Privatperson diese im
privatrechtlichen Verkehr durch seine rechtsgeschäftlichen Hand-
lungen verpflichtet. Das ist nicht nur unrichtig, weil der Anfang
des Rechts, was die Verfassung im logischen Sinne ist, nicht mit
dieser Ableitung erklärt werden kann (vgl. oben S. 218, 191), sondern

Bemerkung über die begriffliche Möglichkeit zweier koordinierter, in der-
selben Sache zuständiger Organe für privatrechtliche Verbände nicht im
Widerspruch. Denn dort soll, wie wir annehmen, nur ein Organ sein; das
eine Kollegium der Mitgliederversammlung oder des fünf- oder sieben-
gliedrigen Vorstandes soll zur Vertretung berufen sein und einen Willen
äußern; ist das aber gewollt, so muß zur Beschlußfassung eine Stimmenzahl
gefordert werden, welche nicht mehr als einmal erreicht werden kann.
Sollte aber wirklich jedes Drittel der Mitglieder etwas beschließen können,
so wird dieser Bruchteil der Mitgliedschaft zum besonderen Organ; oder
besser: es können sich in der Mitgliederversammlung zwei Willensäußerungen
bilden, die beide für die Gesamtheit maßgebend sind; die Mitgliederversamm-
lung enthält also virtuell zwei Organe. Das ist im Verhältnis der privaten
Gemeinschaft zu Dritten begrifflich sehr wohl möglich, so gut wie von vorn-
herein zwei selbständige Organspersonen. Es fragt sich nur, was die Ver-
fassung des Verbandes gewollt habe. Im Verhältnis der Mitglieder unter-
einander ist es allerdings nicht möglich. Die Mitglieder einer Käserei-
genossenschaft können nicht durch einen gültigen Beschluß verpflichtet
werden, alle Milch abzugeben, und durch einen anderen, gleichfalls gültig,
berechtigt werden, einen Teil zu behalten; aber die Genossenschaft kann
sich zwei Käufern gegenüber verpflichten, alle ihre Käse zu liefern. Die
Beschlüsse sind eben Betätigungen der Gemeinschaftsordnung, die einheit-
lich sein muß; die Kaufvertrage Betätigungen der Vertragsfreiheit, die will-
kürlich sind und unter sich in keinem Zusammenhang stehen.
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[316/0331] III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung. Die soeben gekennzeichnete organmäßige Vertretung des Privatrechts findet, wie jede eigentliche Vertretung, nur Anwendung auf rechtsgeschäftliches Handeln; auf die Betätigung der privaten Autonomie, der Willkür. Man hat aber vielfach geglaubt, sie auch auf das öffentliche Recht und auf öffentlich-rechtliche Verbände, insbesondere den Staat selbst, übertragen zu können. Die Ver- fassung des modernen konstitutionellen Staates ist in der Tat in ihrer Anlage und ihrer Ideologie (nach der Auffassung ihrer Väter) die Übertragung der privatrechtlichen Verbandsorganisation auf den Staat: durch rechtsgeschäftliche Ermächtigung sollen die von Natur rechtsfähigen Volksgenossen die Volksvertretung bestellen, und kraft dieser Vertretungsmacht soll die Volksvertretung die Gesamtheit des Volkes berechtigen und verpflichten, wie der be- vollmächtigte Vertreter (Mandatar) einer Privatperson diese im privatrechtlichen Verkehr durch seine rechtsgeschäftlichen Hand- lungen verpflichtet. Das ist nicht nur unrichtig, weil der Anfang des Rechts, was die Verfassung im logischen Sinne ist, nicht mit dieser Ableitung erklärt werden kann (vgl. oben S. 218, 191), sondern 2 2 Bemerkung über die begriffliche Möglichkeit zweier koordinierter, in der- selben Sache zuständiger Organe für privatrechtliche Verbände nicht im Widerspruch. Denn dort soll, wie wir annehmen, nur ein Organ sein; das eine Kollegium der Mitgliederversammlung oder des fünf- oder sieben- gliedrigen Vorstandes soll zur Vertretung berufen sein und einen Willen äußern; ist das aber gewollt, so muß zur Beschlußfassung eine Stimmenzahl gefordert werden, welche nicht mehr als einmal erreicht werden kann. Sollte aber wirklich jedes Drittel der Mitglieder etwas beschließen können, so wird dieser Bruchteil der Mitgliedschaft zum besonderen Organ; oder besser: es können sich in der Mitgliederversammlung zwei Willensäußerungen bilden, die beide für die Gesamtheit maßgebend sind; die Mitgliederversamm- lung enthält also virtuell zwei Organe. Das ist im Verhältnis der privaten Gemeinschaft zu Dritten begrifflich sehr wohl möglich, so gut wie von vorn- herein zwei selbständige Organspersonen. Es fragt sich nur, was die Ver- fassung des Verbandes gewollt habe. Im Verhältnis der Mitglieder unter- einander ist es allerdings nicht möglich. Die Mitglieder einer Käserei- genossenschaft können nicht durch einen gültigen Beschluß verpflichtet werden, alle Milch abzugeben, und durch einen anderen, gleichfalls gültig, berechtigt werden, einen Teil zu behalten; aber die Genossenschaft kann sich zwei Käufern gegenüber verpflichten, alle ihre Käse zu liefern. Die Beschlüsse sind eben Betätigungen der Gemeinschaftsordnung, die einheit- lich sein muß; die Kaufvertrage Betätigungen der Vertragsfreiheit, die will- kürlich sind und unter sich in keinem Zusammenhang stehen.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/331>, abgerufen am 21.11.2024.