Staat nur ein begrenztes Stück Erdoberfläche in den Bereich seiner Wirksamkeit einbezieht, es in Gerichtsbezirke einteilt, mit Ver- waltungsbehörden nach räumlichen Abgrenzungen versieht, so ist zwar die Abgrenzung der Unterabteilungen des staatlichen Re- gierungsapparates (den Gerichtsbezirken, Gemeinden usw.) rechts- erheblich, nämlich für das staatsrechtliche Verhältnis dieser Unter- abteilungen zueinander und zu den Staatsbürgern; außerhalb dieser Bezirke würde die Staatsgewalt von niemand ausgeübt. Aber die Begrenzung des Ganzen auf ein Stück Erdoberfläche wäre eine zufällige Begrenzung der staatlichen Wirksamkeit (des Polizeischutzes, der sozialen Fürsorge usw.) in räumlicher Be- ziehung; sie könnte weder als rechtmäßig noch als rechtswidrig bezeichnet werden; sie wäre eine inhaltliche Bestimmung einer formell (im Raume) unbeschränkten Staatsgewalt und brauchte auch nicht für alle Äußerungen der Staatsgewalt dieselbe zu sein, z. B. für die Fürsorge gleich ausgedehnt wie für den polizeilichen Schutz. Die Beschränkung der staatlichen Wirksamkeit auf ein Stück der Erde wäre dann nicht bloß eine zufällige, sondern eine willkürliche (inhaltliche) Beschränkung. Denn wenn ein Staat nicht auf einen anderen stößt, der ihm als gleichberechtigter Halt ge- bietet, verleugnet er seinen Beruf, der Wahrer des Rechts zu sein, wenn er sich räumliche Grenzen steckt. Er mag, nach der Beschaffen- heit des Ortes und nach der Begrenztheit seiner Mittel, die Inten- sität seiner Wirksamkeit abstufen, wie er sie auch nach den Zeit- umständen abstuft. Aber er kann sie ohne Widerspruch nicht räumlich begrenzen und sagen: was da draußen, jenseits meiner selbstgezogenen Grenze vorgeht, geht micht nichts an; es ist zu weit weg, um als Recht oder Unrcht erkannt zu werden! Der Staat, der das Recht verwirklichen soll, kann sich nicht, ohne seinem Beruf untreu zu werden, entschließen, eine Menschengruppe recht- los zu lassen (siehe oben, S. 362); denn das ist auch ein Entschluß, aber ein Entschluß, der der Bestimmung des Staates widerspricht. Der Staat kann sich nicht selbst räumlich begrenzen, sowenig wie er sich in der Zeit oder in der sachlichen Ausdehnung seiner Tätigkeit eine vorbestimmte Grenze setzen kann, er kann nicht sagen: ich bin lange genug Staat gewesen, jetzt stelle ich meine Tätigkeit ein1;
1 Debet enim constituta sic esse civitas, ut aeterna sit (Cicero, De republica III 23).
Die Staaten als Personen des Völkerrechts.
Staat nur ein begrenztes Stück Erdoberfläche in den Bereich seiner Wirksamkeit einbezieht, es in Gerichtsbezirke einteilt, mit Ver- waltungsbehörden nach räumlichen Abgrenzungen versieht, so ist zwar die Abgrenzung der Unterabteilungen des staatlichen Re- gierungsapparates (den Gerichtsbezirken, Gemeinden usw.) rechts- erheblich, nämlich für das staatsrechtliche Verhältnis dieser Unter- abteilungen zueinander und zu den Staatsbürgern; außerhalb dieser Bezirke würde die Staatsgewalt von niemand ausgeübt. Aber die Begrenzung des Ganzen auf ein Stück Erdoberfläche wäre eine zufällige Begrenzung der staatlichen Wirksamkeit (des Polizeischutzes, der sozialen Fürsorge usw.) in räumlicher Be- ziehung; sie könnte weder als rechtmäßig noch als rechtswidrig bezeichnet werden; sie wäre eine inhaltliche Bestimmung einer formell (im Raume) unbeschränkten Staatsgewalt und brauchte auch nicht für alle Äußerungen der Staatsgewalt dieselbe zu sein, z. B. für die Fürsorge gleich ausgedehnt wie für den polizeilichen Schutz. Die Beschränkung der staatlichen Wirksamkeit auf ein Stück der Erde wäre dann nicht bloß eine zufällige, sondern eine willkürliche (inhaltliche) Beschränkung. Denn wenn ein Staat nicht auf einen anderen stößt, der ihm als gleichberechtigter Halt ge- bietet, verleugnet er seinen Beruf, der Wahrer des Rechts zu sein, wenn er sich räumliche Grenzen steckt. Er mag, nach der Beschaffen- heit des Ortes und nach der Begrenztheit seiner Mittel, die Inten- sität seiner Wirksamkeit abstufen, wie er sie auch nach den Zeit- umständen abstuft. Aber er kann sie ohne Widerspruch nicht räumlich begrenzen und sagen: was da draußen, jenseits meiner selbstgezogenen Grenze vorgeht, geht micht nichts an; es ist zu weit weg, um als Recht oder Unrcht erkannt zu werden! Der Staat, der das Recht verwirklichen soll, kann sich nicht, ohne seinem Beruf untreu zu werden, entschließen, eine Menschengruppe recht- los zu lassen (siehe oben, S. 362); denn das ist auch ein Entschluß, aber ein Entschluß, der der Bestimmung des Staates widerspricht. Der Staat kann sich nicht selbst räumlich begrenzen, sowenig wie er sich in der Zeit oder in der sachlichen Ausdehnung seiner Tätigkeit eine vorbestimmte Grenze setzen kann, er kann nicht sagen: ich bin lange genug Staat gewesen, jetzt stelle ich meine Tätigkeit ein1;
1 Debet enim constituta sic esse civitas, ut aeterna sit (Cicero, De republica III 23).
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Die Staaten als Personen des Völkerrechts.
Staat nur ein begrenztes Stück Erdoberfläche in den Bereich seiner
Wirksamkeit einbezieht, es in Gerichtsbezirke einteilt, mit Ver-
waltungsbehörden nach räumlichen Abgrenzungen versieht, so ist
zwar die Abgrenzung der Unterabteilungen des staatlichen Re-
gierungsapparates (den Gerichtsbezirken, Gemeinden usw.) rechts-
erheblich, nämlich für das staatsrechtliche Verhältnis dieser Unter-
abteilungen zueinander und zu den Staatsbürgern; außerhalb
dieser Bezirke würde die Staatsgewalt von niemand ausgeübt.
Aber die Begrenzung des Ganzen auf ein Stück Erdoberfläche
wäre eine zufällige Begrenzung der staatlichen Wirksamkeit (des
Polizeischutzes, der sozialen Fürsorge usw.) in räumlicher Be-
ziehung; sie könnte weder als rechtmäßig noch als rechtswidrig
bezeichnet werden; sie wäre eine inhaltliche Bestimmung einer
formell (im Raume) unbeschränkten Staatsgewalt und brauchte
auch nicht für alle Äußerungen der Staatsgewalt dieselbe zu sein,
z. B. für die Fürsorge gleich ausgedehnt wie für den polizeilichen
Schutz. Die Beschränkung der staatlichen Wirksamkeit auf ein
Stück der Erde wäre dann nicht bloß eine zufällige, sondern eine
willkürliche (inhaltliche) Beschränkung. Denn wenn ein Staat nicht
auf einen anderen stößt, der ihm als gleichberechtigter Halt ge-
bietet, verleugnet er seinen Beruf, der Wahrer des Rechts zu sein,
wenn er sich räumliche Grenzen steckt. Er mag, nach der Beschaffen-
heit des Ortes und nach der Begrenztheit seiner Mittel, die Inten-
sität seiner Wirksamkeit abstufen, wie er sie auch nach den Zeit-
umständen abstuft. Aber er kann sie ohne Widerspruch nicht
räumlich begrenzen und sagen: was da draußen, jenseits meiner
selbstgezogenen Grenze vorgeht, geht micht nichts an; es ist zu
weit weg, um als Recht oder Unrcht erkannt zu werden! Der Staat,
der das Recht verwirklichen soll, kann sich nicht, ohne seinem
Beruf untreu zu werden, entschließen, eine Menschengruppe recht-
los zu lassen (siehe oben, S. 362); denn das ist auch ein Entschluß,
aber ein Entschluß, der der Bestimmung des Staates widerspricht.
Der Staat kann sich nicht selbst räumlich begrenzen, sowenig wie er
sich in der Zeit oder in der sachlichen Ausdehnung seiner Tätigkeit
eine vorbestimmte Grenze setzen kann, er kann nicht sagen: ich
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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 367. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/382>, abgerufen am 24.11.2024.
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