Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung. Man muß sich vergegenwärtigen, was das bedeuten würde. Nicht nur die Logik (wie vorhin S. 393 ausgeführt), auch die sind (also nicht zum voraus wegbedungen werden können). Nicht aber ge- hören hierher die Regeln der Auslegung und der Ergänzung der (gültigen) Verträge; denn sie setzen die Möglichkeit vertraglicher Abrede voraus und lösen nur die Zweifel, die bei unvollständiger Ausübung dieses Rechtes (der Vertragsschließung) entstehen (vgl. oben S. 225). 1 Vgl. Giraud in der Revue generale du droit international public
(1924) 25, der meint, ungerechte Verträge unter Staaten brauchten nicht gehalten zu werden. III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung. Man muß sich vergegenwärtigen, was das bedeuten würde. Nicht nur die Logik (wie vorhin S. 393 ausgeführt), auch die sind (also nicht zum voraus wegbedungen werden können). Nicht aber ge- hören hierher die Regeln der Auslegung und der Ergänzung der (gültigen) Verträge; denn sie setzen die Möglichkeit vertraglicher Abrede voraus und lösen nur die Zweifel, die bei unvollständiger Ausübung dieses Rechtes (der Vertragsschließung) entstehen (vgl. oben S. 225). 1 Vgl. Giraud in der Revue générale du droit international public
(1924) 25, der meint, ungerechte Verträge unter Staaten brauchten nicht gehalten zu werden. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0409" n="394"/> <fw place="top" type="header">III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung.</fw><lb/> <p>Man muß sich vergegenwärtigen, was das bedeuten würde.<lb/> Nicht nur die Erwägung ist entscheidend, daß jeder Vertragsinhalt,<lb/> auch der ungerechteste, so wie die Parteien es gerade gewollt haben,<lb/> verbindlich wäre; denn wieviel ungerechte Verträge stipuliert wer-<lb/> den, untersuchen wir hier nicht, und es sind auch unter einem<lb/> positiven (mangelhaften) Vertragsrecht recht ungerechte Verträge<lb/> möglich. Entscheidend ist vielmehr die Erwägung, daß dann an-<lb/> zunehmen wäre, eine <hi rendition="#g">Rechts</hi>ordnung bestimme, daß alles, was<lb/> die ihr unterstellten Staaten irgendwie (äußerlich) vereinbaren,<lb/> rechtsverbindlich sein soll. Die Rechtsordnung würde dann nur<lb/> in nachgiebigem Recht bestehen, und zwar würde diese Ordnung<lb/> lauten, daß es ganz dem Zufall individueller Entschließung der<lb/> Rechtsunterworfenen, also dem subjektiven Belieben derjenigen,<lb/> für die das <hi rendition="#g">Recht</hi> geschaffen sein soll, überlassen bleibt, zu ent-<lb/> scheiden, welches ihre gegenseitigen Pflichten sein sollen. Man kann<lb/> sich vergegenwärtigen, daß eine staatliche Rechtsordnung der<lb/> Privatwillkür in gewissen wohlerwogenen Schranken freien Lauf<lb/> lasse; aber man kann sich vernünftigerweise nicht vorstellen, daß<lb/> sie <hi rendition="#g">alles</hi> dieser Willkür überlasse, denn <hi rendition="#g">dazu</hi> eine Rechtsordnung<lb/> zu schaffen, hätte keinen Sinn; das wäre schlechterdings keine<lb/> rechtliche Ordnung mehr, die <hi rendition="#g">Anspruch</hi> auf Geltung, auf Berech-<lb/> tigung erheben könnte, weil die Willkür das Gegenteil der Rechts-<lb/> idee ist.</p><lb/> <p>Nicht nur die Logik (wie vorhin S. 393 ausgeführt), auch die<lb/> Gerechtigkeit verlangt also, daß diese Frage der inhaltlichen Zu-<lb/> lässigkeit der völkerrechtlichen Verträge, wie die ihrer formellen<lb/> Gültigkeit, offen bleibe, wie alle grundsätzlichen Fragen des Völker-<lb/> rechts<note place="foot" n="1">Vgl. <hi rendition="#g">Giraud</hi> in der Revue générale du droit international public<lb/> (1924) 25, der meint, ungerechte Verträge unter Staaten brauchten nicht<lb/> gehalten zu werden.</note>. Hier liegt die grundsätzliche Berechtigung der Zweifel,<lb/> die so viele, namentlich Geschichtsschreiber und Politiker, aber<lb/> auch Juristen, in die Verbindlichkeit und Heiligkeit der Staats-<lb/><note xml:id="seg2pn_55_2" prev="#seg2pn_55_1" place="foot" n="1">sind (also nicht zum voraus wegbedungen werden können). Nicht aber ge-<lb/> hören hierher die Regeln der Auslegung und der Ergänzung der (gültigen)<lb/> Verträge; denn sie setzen die Möglichkeit vertraglicher Abrede voraus und<lb/> lösen nur die Zweifel, die bei unvollständiger Ausübung dieses Rechtes (der<lb/> Vertragsschließung) entstehen (vgl. oben S. 225).</note><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [394/0409]
III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung.
Man muß sich vergegenwärtigen, was das bedeuten würde.
Nicht nur die Erwägung ist entscheidend, daß jeder Vertragsinhalt,
auch der ungerechteste, so wie die Parteien es gerade gewollt haben,
verbindlich wäre; denn wieviel ungerechte Verträge stipuliert wer-
den, untersuchen wir hier nicht, und es sind auch unter einem
positiven (mangelhaften) Vertragsrecht recht ungerechte Verträge
möglich. Entscheidend ist vielmehr die Erwägung, daß dann an-
zunehmen wäre, eine Rechtsordnung bestimme, daß alles, was
die ihr unterstellten Staaten irgendwie (äußerlich) vereinbaren,
rechtsverbindlich sein soll. Die Rechtsordnung würde dann nur
in nachgiebigem Recht bestehen, und zwar würde diese Ordnung
lauten, daß es ganz dem Zufall individueller Entschließung der
Rechtsunterworfenen, also dem subjektiven Belieben derjenigen,
für die das Recht geschaffen sein soll, überlassen bleibt, zu ent-
scheiden, welches ihre gegenseitigen Pflichten sein sollen. Man kann
sich vergegenwärtigen, daß eine staatliche Rechtsordnung der
Privatwillkür in gewissen wohlerwogenen Schranken freien Lauf
lasse; aber man kann sich vernünftigerweise nicht vorstellen, daß
sie alles dieser Willkür überlasse, denn dazu eine Rechtsordnung
zu schaffen, hätte keinen Sinn; das wäre schlechterdings keine
rechtliche Ordnung mehr, die Anspruch auf Geltung, auf Berech-
tigung erheben könnte, weil die Willkür das Gegenteil der Rechts-
idee ist.
Nicht nur die Logik (wie vorhin S. 393 ausgeführt), auch die
Gerechtigkeit verlangt also, daß diese Frage der inhaltlichen Zu-
lässigkeit der völkerrechtlichen Verträge, wie die ihrer formellen
Gültigkeit, offen bleibe, wie alle grundsätzlichen Fragen des Völker-
rechts 1. Hier liegt die grundsätzliche Berechtigung der Zweifel,
die so viele, namentlich Geschichtsschreiber und Politiker, aber
auch Juristen, in die Verbindlichkeit und Heiligkeit der Staats-
1
1 Vgl. Giraud in der Revue générale du droit international public
(1924) 25, der meint, ungerechte Verträge unter Staaten brauchten nicht
gehalten zu werden.
1 sind (also nicht zum voraus wegbedungen werden können). Nicht aber ge-
hören hierher die Regeln der Auslegung und der Ergänzung der (gültigen)
Verträge; denn sie setzen die Möglichkeit vertraglicher Abrede voraus und
lösen nur die Zweifel, die bei unvollständiger Ausübung dieses Rechtes (der
Vertragsschließung) entstehen (vgl. oben S. 225).
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |