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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung.
herbeizuführen in der Macht der Rechtsgenossen selbst stehe.
Gewiß! Aber sie normiert auch selbst diese Voraussetzungen, die
für jene anderen Normen präjudizierlich sind; sie ordnet, sie
schafft das Recht des Einzel- und des Kollektivunternehmers und
auch die fiskalischen, polizeilichen und sozialen Pflichten eines je-
den von ihnen; sie ordnet das Familienrecht und die rechtlichen
Folgen des Familienstandes außerhalb der Familie, z. B. in be-
zug auf Berufsausübung oder Steuerpflicht usw. Sie ordnet das
Ganze, und jeden Teil der Rechtsordnung im Hinblick auf die
anderen1. Die Mitglieder der Völkerrechtsgemeinschaft aber, die
Staaten, ordnen das Recht ihres engeren Verbandes selbst, und
zwar zunächst vollständig frei. Denn wenn das Völkerrecht seine
Normen mit Rücksicht auf die in den Staaten bestehende Gesetz-
gebung erst bilden soll, kann es diese Gesetzgebung nicht wieder
vorschreiben. Und wenn es dies letztere wollte, müßte es sie
(grundsätzlich) in allem beistimmen; denn keine landesrechtliche
Einrichtung ist ohne Einfluß und ohne Rückwirkung auf das inter-
nationale Verhältnis, wie die obigen Beispiele zeigen.

Wollte aber das Völkerrecht auch das Landesrecht normieren,
so würde es die Grenzen seiner Aufgabe überschreiten; denn die
besteht bloß darin, zwischen staatliches Recht aufzustellen. Es
wäre auch ein Widerspruch, von einer (internationalen) Instanz
das Landesrecht anordnen zu lassen, und einer anderen (der na-
tionalen) die endgültige Befugnis zu geben, über die Ausführung
dieser Anordnungen zu entscheiden; und wenn die supponierte
internationale Instanz darüber zu entscheiden hätte, wären die
Staaten keine Staaten mehr, sondern nur noch Provinzen (wie
oben, S. 149 ausgeführt). Gewiß wäre diese vollständige Ord-
nung vom Ganzen aus bis hinab in alle Teile folgerichtig, und
dem Begriff des Rechts, das eine einheitliche Ordnung sein muß2,

1 Auf die notwendige Einheit der Rechtsordnung haben wir bereits im
Zusammenhang mit dem Bundesstaat hingewiesen (S. 156).
2 Wie das Völkerrecht, um eine widerspruchslose und positive Ord-
nung zu sein, auch das Landesrecht mitbestimmen müßte, so weist auch
das staatliche Recht über sich selbst hinaus, worauf Fricker in dem ge-
dankenreichen Aufsatz über das Problem des Völkerrechts (Zeitschrift für
die ges. Staatswissenschaft [1872] 90 ff., 347 ff.) hingewiesen hat; wider-
spruchslos könnte eben nur die für die ganze Menschheit positiv geltende
Rechtsordnung sein; ihr müßte aber auch eine, und zwar eine staatliche

III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung.
herbeizuführen in der Macht der Rechtsgenossen selbst stehe.
Gewiß! Aber sie normiert auch selbst diese Voraussetzungen, die
für jene anderen Normen präjudizierlich sind; sie ordnet, sie
schafft das Recht des Einzel- und des Kollektivunternehmers und
auch die fiskalischen, polizeilichen und sozialen Pflichten eines je-
den von ihnen; sie ordnet das Familienrecht und die rechtlichen
Folgen des Familienstandes außerhalb der Familie, z. B. in be-
zug auf Berufsausübung oder Steuerpflicht usw. Sie ordnet das
Ganze, und jeden Teil der Rechtsordnung im Hinblick auf die
anderen1. Die Mitglieder der Völkerrechtsgemeinschaft aber, die
Staaten, ordnen das Recht ihres engeren Verbandes selbst, und
zwar zunächst vollständig frei. Denn wenn das Völkerrecht seine
Normen mit Rücksicht auf die in den Staaten bestehende Gesetz-
gebung erst bilden soll, kann es diese Gesetzgebung nicht wieder
vorschreiben. Und wenn es dies letztere wollte, müßte es sie
(grundsätzlich) in allem beistimmen; denn keine landesrechtliche
Einrichtung ist ohne Einfluß und ohne Rückwirkung auf das inter-
nationale Verhältnis, wie die obigen Beispiele zeigen.

Wollte aber das Völkerrecht auch das Landesrecht normieren,
so würde es die Grenzen seiner Aufgabe überschreiten; denn die
besteht bloß darin, zwischen staatliches Recht aufzustellen. Es
wäre auch ein Widerspruch, von einer (internationalen) Instanz
das Landesrecht anordnen zu lassen, und einer anderen (der na-
tionalen) die endgültige Befugnis zu geben, über die Ausführung
dieser Anordnungen zu entscheiden; und wenn die supponierte
internationale Instanz darüber zu entscheiden hätte, wären die
Staaten keine Staaten mehr, sondern nur noch Provinzen (wie
oben, S. 149 ausgeführt). Gewiß wäre diese vollständige Ord-
nung vom Ganzen aus bis hinab in alle Teile folgerichtig, und
dem Begriff des Rechts, das eine einheitliche Ordnung sein muß2,

1 Auf die notwendige Einheit der Rechtsordnung haben wir bereits im
Zusammenhang mit dem Bundesstaat hingewiesen (S. 156).
2 Wie das Völkerrecht, um eine widerspruchslose und positive Ord-
nung zu sein, auch das Landesrecht mitbestimmen müßte, so weist auch
das staatliche Recht über sich selbst hinaus, worauf Fricker in dem ge-
dankenreichen Aufsatz über das Problem des Völkerrechts (Zeitschrift für
die ges. Staatswissenschaft [1872] 90 ff., 347 ff.) hingewiesen hat; wider-
spruchslos könnte eben nur die für die ganze Menschheit positiv geltende
Rechtsordnung sein; ihr müßte aber auch eine, und zwar eine staatliche
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[404/0419] III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung. herbeizuführen in der Macht der Rechtsgenossen selbst stehe. Gewiß! Aber sie normiert auch selbst diese Voraussetzungen, die für jene anderen Normen präjudizierlich sind; sie ordnet, sie schafft das Recht des Einzel- und des Kollektivunternehmers und auch die fiskalischen, polizeilichen und sozialen Pflichten eines je- den von ihnen; sie ordnet das Familienrecht und die rechtlichen Folgen des Familienstandes außerhalb der Familie, z. B. in be- zug auf Berufsausübung oder Steuerpflicht usw. Sie ordnet das Ganze, und jeden Teil der Rechtsordnung im Hinblick auf die anderen 1. Die Mitglieder der Völkerrechtsgemeinschaft aber, die Staaten, ordnen das Recht ihres engeren Verbandes selbst, und zwar zunächst vollständig frei. Denn wenn das Völkerrecht seine Normen mit Rücksicht auf die in den Staaten bestehende Gesetz- gebung erst bilden soll, kann es diese Gesetzgebung nicht wieder vorschreiben. Und wenn es dies letztere wollte, müßte es sie (grundsätzlich) in allem beistimmen; denn keine landesrechtliche Einrichtung ist ohne Einfluß und ohne Rückwirkung auf das inter- nationale Verhältnis, wie die obigen Beispiele zeigen. Wollte aber das Völkerrecht auch das Landesrecht normieren, so würde es die Grenzen seiner Aufgabe überschreiten; denn die besteht bloß darin, zwischen staatliches Recht aufzustellen. Es wäre auch ein Widerspruch, von einer (internationalen) Instanz das Landesrecht anordnen zu lassen, und einer anderen (der na- tionalen) die endgültige Befugnis zu geben, über die Ausführung dieser Anordnungen zu entscheiden; und wenn die supponierte internationale Instanz darüber zu entscheiden hätte, wären die Staaten keine Staaten mehr, sondern nur noch Provinzen (wie oben, S. 149 ausgeführt). Gewiß wäre diese vollständige Ord- nung vom Ganzen aus bis hinab in alle Teile folgerichtig, und dem Begriff des Rechts, das eine einheitliche Ordnung sein muß 2, 1 Auf die notwendige Einheit der Rechtsordnung haben wir bereits im Zusammenhang mit dem Bundesstaat hingewiesen (S. 156). 2 Wie das Völkerrecht, um eine widerspruchslose und positive Ord- nung zu sein, auch das Landesrecht mitbestimmen müßte, so weist auch das staatliche Recht über sich selbst hinaus, worauf Fricker in dem ge- dankenreichen Aufsatz über das Problem des Völkerrechts (Zeitschrift für die ges. Staatswissenschaft [1872] 90 ff., 347 ff.) hingewiesen hat; wider- spruchslos könnte eben nur die für die ganze Menschheit positiv geltende Rechtsordnung sein; ihr müßte aber auch eine, und zwar eine staatliche

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/419>, abgerufen am 21.11.2024.