Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.Das Völkerrecht. Will man aber billigkeitshalber diese Abgrenzung treffen, so der zivilrechtlichen Entscheidung ist. Es wäre ein nackter Widerspruch,
wenn das Gericht des A (nach einem Recht) den B verurteilte, eine Erb- schaftssache dem A herauszugeben, das Gericht des B aber diesen berech- tigt erklärte, die Sache zu behalten. Um diesen Widerspruch zu vermeiden, versucht jeder Richter, eine Entscheidung zu fällen, die auch vom anderen anerkannt werden müsse, und er beruft sich dazu auf Regeln des inter- nationalen Privatrechts, die richtigerweise auch durch den anderen an- erkannt werden müßten. Regeln des internationalen Privatrechts erheben ihrer Bestimmung nach immer Anspruch auf allgemeine Anerkennung, auch wenn sie durch ein Landesgesetz aufgestellt und formell nur für die Be- hörden dieses Landes verbindlich sind. -- Wenn aber ein Staat den auf seinem Gebiet wohnenden Erben A zur Erbschaftssteuer heranzieht und der Staat des letzten Wohnsitzes des Erblassers den A ebenfalls besteuert, so können diese beiden Steuererkenntnisse sehr wohl beide vollzogen werden; sie stehen nicht in einem logischen Widerspruch zueinander, sondern nur in einem sachlichen; es ist unbillig, daß der Erbe wegen dieser zufälligen Verschiedenheit der Steuergesetze zwei Steuern bezahle, ebenso wie es un- billig ist, daß ein Verbrecher zweimal bestraft oder ein Militärpflichtiger zweimal Militärdienst tue; ebenso wie es unbillig wäre, daß infolge negativer Gesetzeskonflikte der Erbe nirgends Erbschaftssteuer bezahlte, der Ver- brecher nirgends bestraft würde und der Militärtaugliche nirgends einbezogen würde. Das öffentliche Recht ist eben nicht ein System korrelativer Rechts- verhältnisse, sondern absoluter Pflichten, die sehr wohl kumuliert werden können. Vgl. meine Monographie "Die Lücken des Gesetzes und die Gesetzes- auslegung" (Bern 1925), und oben S. 108. Das Völkerrecht. Will man aber billigkeitshalber diese Abgrenzung treffen, so der zivilrechtlichen Entscheidung ist. Es wäre ein nackter Widerspruch,
wenn das Gericht des A (nach einem Recht) den B verurteilte, eine Erb- schaftssache dem A herauszugeben, das Gericht des B aber diesen berech- tigt erklärte, die Sache zu behalten. Um diesen Widerspruch zu vermeiden, versucht jeder Richter, eine Entscheidung zu fällen, die auch vom anderen anerkannt werden müsse, und er beruft sich dazu auf Regeln des inter- nationalen Privatrechts, die richtigerweise auch durch den anderen an- erkannt werden müßten. Regeln des internationalen Privatrechts erheben ihrer Bestimmung nach immer Anspruch auf allgemeine Anerkennung, auch wenn sie durch ein Landesgesetz aufgestellt und formell nur für die Be- hörden dieses Landes verbindlich sind. — Wenn aber ein Staat den auf seinem Gebiet wohnenden Erben A zur Erbschaftssteuer heranzieht und der Staat des letzten Wohnsitzes des Erblassers den A ebenfalls besteuert, so können diese beiden Steuererkenntnisse sehr wohl beide vollzogen werden; sie stehen nicht in einem logischen Widerspruch zueinander, sondern nur in einem sachlichen; es ist unbillig, daß der Erbe wegen dieser zufälligen Verschiedenheit der Steuergesetze zwei Steuern bezahle, ebenso wie es un- billig ist, daß ein Verbrecher zweimal bestraft oder ein Militärpflichtiger zweimal Militärdienst tue; ebenso wie es unbillig wäre, daß infolge negativer Gesetzeskonflikte der Erbe nirgends Erbschaftssteuer bezahlte, der Ver- brecher nirgends bestraft würde und der Militärtaugliche nirgends einbezogen würde. Das öffentliche Recht ist eben nicht ein System korrelativer Rechts- verhältnisse, sondern absoluter Pflichten, die sehr wohl kumuliert werden können. Vgl. meine Monographie „Die Lücken des Gesetzes und die Gesetzes- auslegung“ (Bern 1925), und oben S. 108. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0428" n="413"/> <fw place="top" type="header">Das Völkerrecht.</fw><lb/> <p>Will man aber billigkeitshalber diese Abgrenzung treffen, so<lb/> stößt man auf dieselbe Schwierigkeit, die dem internationalen<lb/> Privatrecht anhaftet: die Unmöglichkeit, zwei verschiedene Be-<lb/> griffssysteme durch <hi rendition="#g">eine</hi> begriffliche Regel abzugrenzen. Man<lb/> kann z. B. im Steuerrecht, ähnlich wie im Privatrecht, dem Staate<lb/> der gelegenen Sache die Besteuerung der Grundstücke, dem<lb/> Staat des Wohnsitzes die Besteuerung des beweglichen Vermögens<lb/> zuweisen. Man kommt aber mit dieser Regel nicht aus, wenn der<lb/> eine Staat nur das (gesamte) reine Vermögen besteuert während<lb/> der andere das Grundeigentum als solches besteuert; oder wenn<lb/> der eine Staat den Mehrwert des Grundstückes als unbewegliches,<lb/> der andere als bewegliches Vermögen oder als besonderes Steuer-<lb/> objekt besteuert. Und wenn etwa die Abgrenzungsnorm, statt<lb/> von unbeweglichem und beweglichem, von reinem Vermögen oder<lb/> von Mehrwert als besonderem Steuerobjekt sprechen wollte, so<lb/> würde sie wieder eine Sprache reden, die der Staat mit Grund-<lb/><note xml:id="seg2pn_59_2" prev="#seg2pn_59_1" place="foot" n="1">der zivilrechtlichen Entscheidung ist. Es wäre ein nackter Widerspruch,<lb/> wenn das Gericht des A (nach einem Recht) den B verurteilte, eine Erb-<lb/> schaftssache dem A herauszugeben, das Gericht des B aber diesen berech-<lb/> tigt erklärte, die Sache zu behalten. Um diesen Widerspruch zu vermeiden,<lb/> versucht jeder Richter, eine Entscheidung zu fällen, die auch vom anderen<lb/> anerkannt werden müsse, und er beruft sich dazu auf Regeln des <hi rendition="#g">inter-<lb/> nationalen</hi> Privatrechts, die richtigerweise auch durch den anderen an-<lb/> erkannt werden müßten. Regeln des internationalen Privatrechts erheben<lb/> ihrer Bestimmung nach immer Anspruch auf allgemeine Anerkennung, auch<lb/> wenn sie durch ein Landesgesetz aufgestellt und formell nur für die Be-<lb/> hörden dieses Landes verbindlich sind. — Wenn aber ein Staat den auf<lb/> seinem Gebiet wohnenden Erben A zur Erbschaftssteuer heranzieht und<lb/> der Staat des letzten Wohnsitzes des Erblassers den A ebenfalls besteuert,<lb/> so können diese beiden Steuererkenntnisse sehr wohl beide vollzogen werden;<lb/> sie stehen nicht in einem logischen Widerspruch zueinander, sondern nur<lb/> in einem sachlichen; es ist unbillig, daß der Erbe wegen dieser zufälligen<lb/> Verschiedenheit der Steuergesetze zwei Steuern bezahle, ebenso wie es un-<lb/> billig ist, daß ein Verbrecher zweimal bestraft oder ein Militärpflichtiger<lb/> zweimal Militärdienst tue; ebenso wie es unbillig wäre, daß infolge negativer<lb/> Gesetzeskonflikte der Erbe nirgends Erbschaftssteuer bezahlte, der Ver-<lb/> brecher nirgends bestraft würde und der Militärtaugliche nirgends einbezogen<lb/> würde. Das öffentliche Recht ist eben nicht ein System korrelativer Rechts-<lb/> verhältnisse, sondern absoluter Pflichten, die sehr wohl kumuliert werden<lb/> können. Vgl. meine Monographie „Die Lücken des Gesetzes und die Gesetzes-<lb/> auslegung“ (Bern 1925), und oben S. 108.</note><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [413/0428]
Das Völkerrecht.
Will man aber billigkeitshalber diese Abgrenzung treffen, so
stößt man auf dieselbe Schwierigkeit, die dem internationalen
Privatrecht anhaftet: die Unmöglichkeit, zwei verschiedene Be-
griffssysteme durch eine begriffliche Regel abzugrenzen. Man
kann z. B. im Steuerrecht, ähnlich wie im Privatrecht, dem Staate
der gelegenen Sache die Besteuerung der Grundstücke, dem
Staat des Wohnsitzes die Besteuerung des beweglichen Vermögens
zuweisen. Man kommt aber mit dieser Regel nicht aus, wenn der
eine Staat nur das (gesamte) reine Vermögen besteuert während
der andere das Grundeigentum als solches besteuert; oder wenn
der eine Staat den Mehrwert des Grundstückes als unbewegliches,
der andere als bewegliches Vermögen oder als besonderes Steuer-
objekt besteuert. Und wenn etwa die Abgrenzungsnorm, statt
von unbeweglichem und beweglichem, von reinem Vermögen oder
von Mehrwert als besonderem Steuerobjekt sprechen wollte, so
würde sie wieder eine Sprache reden, die der Staat mit Grund-
1
1 der zivilrechtlichen Entscheidung ist. Es wäre ein nackter Widerspruch,
wenn das Gericht des A (nach einem Recht) den B verurteilte, eine Erb-
schaftssache dem A herauszugeben, das Gericht des B aber diesen berech-
tigt erklärte, die Sache zu behalten. Um diesen Widerspruch zu vermeiden,
versucht jeder Richter, eine Entscheidung zu fällen, die auch vom anderen
anerkannt werden müsse, und er beruft sich dazu auf Regeln des inter-
nationalen Privatrechts, die richtigerweise auch durch den anderen an-
erkannt werden müßten. Regeln des internationalen Privatrechts erheben
ihrer Bestimmung nach immer Anspruch auf allgemeine Anerkennung, auch
wenn sie durch ein Landesgesetz aufgestellt und formell nur für die Be-
hörden dieses Landes verbindlich sind. — Wenn aber ein Staat den auf
seinem Gebiet wohnenden Erben A zur Erbschaftssteuer heranzieht und
der Staat des letzten Wohnsitzes des Erblassers den A ebenfalls besteuert,
so können diese beiden Steuererkenntnisse sehr wohl beide vollzogen werden;
sie stehen nicht in einem logischen Widerspruch zueinander, sondern nur
in einem sachlichen; es ist unbillig, daß der Erbe wegen dieser zufälligen
Verschiedenheit der Steuergesetze zwei Steuern bezahle, ebenso wie es un-
billig ist, daß ein Verbrecher zweimal bestraft oder ein Militärpflichtiger
zweimal Militärdienst tue; ebenso wie es unbillig wäre, daß infolge negativer
Gesetzeskonflikte der Erbe nirgends Erbschaftssteuer bezahlte, der Ver-
brecher nirgends bestraft würde und der Militärtaugliche nirgends einbezogen
würde. Das öffentliche Recht ist eben nicht ein System korrelativer Rechts-
verhältnisse, sondern absoluter Pflichten, die sehr wohl kumuliert werden
können. Vgl. meine Monographie „Die Lücken des Gesetzes und die Gesetzes-
auslegung“ (Bern 1925), und oben S. 108.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |