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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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Die völkerrechtliche Haftung der Staaten.
wie für den Privatverband im Verhältnis zu anderen Privatpersonen
(vgl. oben S. 329, 419).

Aber diese Feststellung bereitet größere Schwierigkeiten im
Völkerrecht als im Landesrecht:

Man kann im Völkerrecht, wie bei Privatkörperschaften des
Landesrechts, unterscheiden zwischen positiven und negativen
Pflichten. Wenn ein Verband zu einer positiven Leistung, einem
dare oder facere, verpflichtet ist, so werden seine Organe dafür
zu sorgen haben, daß das Geschuldete geleistet werde. Die zu
dieser Aufgabe im Verband berufenen Personen, physische Per-
sonen also, müssen handeln, aber der Verband haftet dafür, daß
sie es tun. Wenn z. B. ein Verband, Verein oder Staat, ver-
pflichtet sein soll, ein erhaltenes Darlehen zurückzuzahlen, so
kann das gar nichts anderes heißen, als daß er dafür haftet, daß
seine Organe zur abgemachten Zeit die geschuldete Zahlung
leisten. Tun sie es nicht, so handeln sie zwar auch (objektiv)
rechtswidrig, also nicht in Ausübung ihres Amtes, welches (mit
einer noch zu machenden Einschränkung) nur auf rechtmäßiges
Verhalten gehen kann. Aber, wenn der Verband nicht dafür ein-
zustehen hätte, wäre er nicht wirklich als solcher verpflichtet.
Insofern sind derartige Pflichtverletzungen notwendig dem Ver-
bande zuzurechnen, oder mit anderen Worten: die Verpflichtung
des Verbandes zu zahlen, ist überhaupt nichts anderes als eine
Haftung für die rechtswidrige Unterlassung der Zahlung durch
seine Organspersonen1. Deshalb rechnen wir ihm ohne weiteres
und unbedenklich diese Pflichtwidrigkeiten seiner Organe zu.
Wir sind keinen Augenblick im Zweifel, daß wenn ein Staat sich
verpflichtet hat, ein Grenzgewässer zu verbauen, einen Verbrecher
auszuliefern oder einen Geldbeitrag zu leisten, der Staat auch
verantwortlich ist, wenn diese Pflichten nicht erfüllt werden,
obgleich stets einen Beamten oder eine Behörde des Staates, also
einen oder mehrere physische Personen, zunächst die Schuld treffen
wird. Die Pflicht des Staates kann hier gar keinen anderen Sinn

1 Deshalb kann theoretisch die Frage der Verantwortlichkeit des
Staates für Völkerrechtswidrigkeiten nicht getrennt werden vom Vertrags-
recht, wie es seit Heffter, Europäisches Völkerrecht (1844) §§ 100--103,
meistens geschieht, u. a. auch von v. Liszt, Völkerrecht, 11. A. (1920), § 25;
12. A. von Fleischmann (1926), § 35; vgl. Schön a. a. O. 21.

Die völkerrechtliche Haftung der Staaten.
wie für den Privatverband im Verhältnis zu anderen Privatpersonen
(vgl. oben S. 329, 419).

Aber diese Feststellung bereitet größere Schwierigkeiten im
Völkerrecht als im Landesrecht:

Man kann im Völkerrecht, wie bei Privatkörperschaften des
Landesrechts, unterscheiden zwischen positiven und negativen
Pflichten. Wenn ein Verband zu einer positiven Leistung, einem
dare oder facere, verpflichtet ist, so werden seine Organe dafür
zu sorgen haben, daß das Geschuldete geleistet werde. Die zu
dieser Aufgabe im Verband berufenen Personen, physische Per-
sonen also, müssen handeln, aber der Verband haftet dafür, daß
sie es tun. Wenn z. B. ein Verband, Verein oder Staat, ver-
pflichtet sein soll, ein erhaltenes Darlehen zurückzuzahlen, so
kann das gar nichts anderes heißen, als daß er dafür haftet, daß
seine Organe zur abgemachten Zeit die geschuldete Zahlung
leisten. Tun sie es nicht, so handeln sie zwar auch (objektiv)
rechtswidrig, also nicht in Ausübung ihres Amtes, welches (mit
einer noch zu machenden Einschränkung) nur auf rechtmäßiges
Verhalten gehen kann. Aber, wenn der Verband nicht dafür ein-
zustehen hätte, wäre er nicht wirklich als solcher verpflichtet.
Insofern sind derartige Pflichtverletzungen notwendig dem Ver-
bande zuzurechnen, oder mit anderen Worten: die Verpflichtung
des Verbandes zu zahlen, ist überhaupt nichts anderes als eine
Haftung für die rechtswidrige Unterlassung der Zahlung durch
seine Organspersonen1. Deshalb rechnen wir ihm ohne weiteres
und unbedenklich diese Pflichtwidrigkeiten seiner Organe zu.
Wir sind keinen Augenblick im Zweifel, daß wenn ein Staat sich
verpflichtet hat, ein Grenzgewässer zu verbauen, einen Verbrecher
auszuliefern oder einen Geldbeitrag zu leisten, der Staat auch
verantwortlich ist, wenn diese Pflichten nicht erfüllt werden,
obgleich stets einen Beamten oder eine Behörde des Staates, also
einen oder mehrere physische Personen, zunächst die Schuld treffen
wird. Die Pflicht des Staates kann hier gar keinen anderen Sinn

1 Deshalb kann theoretisch die Frage der Verantwortlichkeit des
Staates für Völkerrechtswidrigkeiten nicht getrennt werden vom Vertrags-
recht, wie es seit Heffter, Europäisches Völkerrecht (1844) §§ 100—103,
meistens geschieht, u. a. auch von v. Liszt, Völkerrecht, 11. A. (1920), § 25;
12. A. von Fleischmann (1926), § 35; vgl. Schön a. a. O. 21.
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[431/0446] Die völkerrechtliche Haftung der Staaten. wie für den Privatverband im Verhältnis zu anderen Privatpersonen (vgl. oben S. 329, 419). Aber diese Feststellung bereitet größere Schwierigkeiten im Völkerrecht als im Landesrecht: Man kann im Völkerrecht, wie bei Privatkörperschaften des Landesrechts, unterscheiden zwischen positiven und negativen Pflichten. Wenn ein Verband zu einer positiven Leistung, einem dare oder facere, verpflichtet ist, so werden seine Organe dafür zu sorgen haben, daß das Geschuldete geleistet werde. Die zu dieser Aufgabe im Verband berufenen Personen, physische Per- sonen also, müssen handeln, aber der Verband haftet dafür, daß sie es tun. Wenn z. B. ein Verband, Verein oder Staat, ver- pflichtet sein soll, ein erhaltenes Darlehen zurückzuzahlen, so kann das gar nichts anderes heißen, als daß er dafür haftet, daß seine Organe zur abgemachten Zeit die geschuldete Zahlung leisten. Tun sie es nicht, so handeln sie zwar auch (objektiv) rechtswidrig, also nicht in Ausübung ihres Amtes, welches (mit einer noch zu machenden Einschränkung) nur auf rechtmäßiges Verhalten gehen kann. Aber, wenn der Verband nicht dafür ein- zustehen hätte, wäre er nicht wirklich als solcher verpflichtet. Insofern sind derartige Pflichtverletzungen notwendig dem Ver- bande zuzurechnen, oder mit anderen Worten: die Verpflichtung des Verbandes zu zahlen, ist überhaupt nichts anderes als eine Haftung für die rechtswidrige Unterlassung der Zahlung durch seine Organspersonen 1. Deshalb rechnen wir ihm ohne weiteres und unbedenklich diese Pflichtwidrigkeiten seiner Organe zu. Wir sind keinen Augenblick im Zweifel, daß wenn ein Staat sich verpflichtet hat, ein Grenzgewässer zu verbauen, einen Verbrecher auszuliefern oder einen Geldbeitrag zu leisten, der Staat auch verantwortlich ist, wenn diese Pflichten nicht erfüllt werden, obgleich stets einen Beamten oder eine Behörde des Staates, also einen oder mehrere physische Personen, zunächst die Schuld treffen wird. Die Pflicht des Staates kann hier gar keinen anderen Sinn 1 Deshalb kann theoretisch die Frage der Verantwortlichkeit des Staates für Völkerrechtswidrigkeiten nicht getrennt werden vom Vertrags- recht, wie es seit Heffter, Europäisches Völkerrecht (1844) §§ 100—103, meistens geschieht, u. a. auch von v. Liszt, Völkerrecht, 11. A. (1920), § 25; 12. A. von Fleischmann (1926), § 35; vgl. Schön a. a. O. 21.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 431. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/446>, abgerufen am 21.11.2024.