Die Rechtskraft im privaten und im öffentlichen Recht.
Im Verwaltungsrecht kommt in der Tat nicht selten die Be- stimmung vor, daß die einmal getroffene Verfügung, ungeachtet ihrer materiellen Gesetzwidrigkeit, unabänderlich sein solle; z. B. eine Naturalisation, eine Baubewilligung, eine Steuerveranlagung oder eine Beamtenernennung. Die Verfügung hat dann insofern dieselbe Wirkung wie ein rechtskräftiges Urteil. Allein der Grund dieser Rechtsbeständigkeit ist doch ein anderer: nicht weil es dem Zwecke der Anordnung zuwider wäre, neuerdings in Frage gestellt zu werden, soll sie unangefochten und unwiderruflich bleiben, sondern weil durch die nachträgliche Wiederaufhebung andere, inzwischen begründete Interessen verletzt würden, die ebenso schutzwürdig sind wie die von der Anordnung verkannten: der wieder Ausgebürgerte und seine Familie würden vielleicht heimatlos, das Haus müßte niedergerissen werden, die nach- träglich erhöhte Steuerschuld würde die Bilanz in Frage stellen, der Beamte würde brotlos usw. Die richtige Vollziehung des Einbürgerungs-, Bau-, Steuer- und Beamtengesetzes würde das eigentlich verlangen; aber ein anderes wichtiges Interesse stellt sich ihm entgegen.
Und deshalb ergibt sich nicht aus der formellen Natur des Verwaltungsaktes, daß er abänderlich oder unabänderlich ist, sondern aus dem Gewicht der sich gerade gegenüberstehenden Interessen; die Steuerveranlagung ist so wenig wie die Naturali- sation oder die Baubewilligung ihrer Natur nach rechtsbeständig; aber die vernünftige Abwägung der Interessen mag es fordern, und wo der Gesetzgeber diese Abwägung nicht vorgenommen hat, muß sie der Richter vornehmen. Man wird unter Umständen dieselbe (berechtigende) Verfügung als abänderlich oder unab- änderlich erklären, je nachdem von ihr schon Gebrauch gemacht worden ist oder nicht; dieselbe Verpflichtung je nach der ver- flossenen Zeit oder je nach dem subjektiven Verhalten des Pflichtigen.
Also nicht, daß der subjektive Wille der handelnden Amts- personen nicht nachträglich entstellt werde1, ist hier die Erwägung, sondern daß diejenigen, die sich auf das einmal Gesprochene ver- lassen, nicht getäuscht und geschädigt werden. Wie groß und
1 Wie Lasalle, System der wohlerworbenen Rechte 1 57, in einer andern, aber verwandten Frage sagte.
Die Rechtskraft im privaten und im öffentlichen Recht.
Im Verwaltungsrecht kommt in der Tat nicht selten die Be- stimmung vor, daß die einmal getroffene Verfügung, ungeachtet ihrer materiellen Gesetzwidrigkeit, unabänderlich sein solle; z. B. eine Naturalisation, eine Baubewilligung, eine Steuerveranlagung oder eine Beamtenernennung. Die Verfügung hat dann insofern dieselbe Wirkung wie ein rechtskräftiges Urteil. Allein der Grund dieser Rechtsbeständigkeit ist doch ein anderer: nicht weil es dem Zwecke der Anordnung zuwider wäre, neuerdings in Frage gestellt zu werden, soll sie unangefochten und unwiderruflich bleiben, sondern weil durch die nachträgliche Wiederaufhebung andere, inzwischen begründete Interessen verletzt würden, die ebenso schutzwürdig sind wie die von der Anordnung verkannten: der wieder Ausgebürgerte und seine Familie würden vielleicht heimatlos, das Haus müßte niedergerissen werden, die nach- träglich erhöhte Steuerschuld würde die Bilanz in Frage stellen, der Beamte würde brotlos usw. Die richtige Vollziehung des Einbürgerungs-, Bau-, Steuer- und Beamtengesetzes würde das eigentlich verlangen; aber ein anderes wichtiges Interesse stellt sich ihm entgegen.
Und deshalb ergibt sich nicht aus der formellen Natur des Verwaltungsaktes, daß er abänderlich oder unabänderlich ist, sondern aus dem Gewicht der sich gerade gegenüberstehenden Interessen; die Steuerveranlagung ist so wenig wie die Naturali- sation oder die Baubewilligung ihrer Natur nach rechtsbeständig; aber die vernünftige Abwägung der Interessen mag es fordern, und wo der Gesetzgeber diese Abwägung nicht vorgenommen hat, muß sie der Richter vornehmen. Man wird unter Umständen dieselbe (berechtigende) Verfügung als abänderlich oder unab- änderlich erklären, je nachdem von ihr schon Gebrauch gemacht worden ist oder nicht; dieselbe Verpflichtung je nach der ver- flossenen Zeit oder je nach dem subjektiven Verhalten des Pflichtigen.
Also nicht, daß der subjektive Wille der handelnden Amts- personen nicht nachträglich entstellt werde1, ist hier die Erwägung, sondern daß diejenigen, die sich auf das einmal Gesprochene ver- lassen, nicht getäuscht und geschädigt werden. Wie groß und
1 Wie Lasalle, System der wohlerworbenen Rechte 1 57, in einer andern, aber verwandten Frage sagte.
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Die Rechtskraft im privaten und im öffentlichen Recht.
Im Verwaltungsrecht kommt in der Tat nicht selten die Be-
stimmung vor, daß die einmal getroffene Verfügung, ungeachtet
ihrer materiellen Gesetzwidrigkeit, unabänderlich sein solle; z. B.
eine Naturalisation, eine Baubewilligung, eine Steuerveranlagung
oder eine Beamtenernennung. Die Verfügung hat dann insofern
dieselbe Wirkung wie ein rechtskräftiges Urteil. Allein der Grund
dieser Rechtsbeständigkeit ist doch ein anderer: nicht weil es
dem Zwecke der Anordnung zuwider wäre, neuerdings in Frage
gestellt zu werden, soll sie unangefochten und unwiderruflich
bleiben, sondern weil durch die nachträgliche Wiederaufhebung
andere, inzwischen begründete Interessen verletzt würden, die
ebenso schutzwürdig sind wie die von der Anordnung verkannten:
der wieder Ausgebürgerte und seine Familie würden vielleicht
heimatlos, das Haus müßte niedergerissen werden, die nach-
träglich erhöhte Steuerschuld würde die Bilanz in Frage stellen,
der Beamte würde brotlos usw. Die richtige Vollziehung des
Einbürgerungs-, Bau-, Steuer- und Beamtengesetzes würde das
eigentlich verlangen; aber ein anderes wichtiges Interesse stellt
sich ihm entgegen.
Und deshalb ergibt sich nicht aus der formellen Natur des
Verwaltungsaktes, daß er abänderlich oder unabänderlich ist,
sondern aus dem Gewicht der sich gerade gegenüberstehenden
Interessen; die Steuerveranlagung ist so wenig wie die Naturali-
sation oder die Baubewilligung ihrer Natur nach rechtsbeständig;
aber die vernünftige Abwägung der Interessen mag es fordern,
und wo der Gesetzgeber diese Abwägung nicht vorgenommen hat,
muß sie der Richter vornehmen. Man wird unter Umständen
dieselbe (berechtigende) Verfügung als abänderlich oder unab-
änderlich erklären, je nachdem von ihr schon Gebrauch gemacht
worden ist oder nicht; dieselbe Verpflichtung je nach der ver-
flossenen Zeit oder je nach dem subjektiven Verhalten des
Pflichtigen.
Also nicht, daß der subjektive Wille der handelnden Amts-
personen nicht nachträglich entstellt werde 1, ist hier die Erwägung,
sondern daß diejenigen, die sich auf das einmal Gesprochene ver-
lassen, nicht getäuscht und geschädigt werden. Wie groß und
1 Wie Lasalle, System der wohlerworbenen Rechte 1 57, in einer
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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/78>, abgerufen am 21.11.2024.
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