1. Abschnitt.ein großes geistiges Continuum in einzelne scheinbar oft willkürliche Categorien zerlegen muß, um es nur irgendwie zur Darstellung zu bringen. -- Der größten Lücke des Buches gedenken wir in einiger Zeit durch ein besonderes Werk über "die Kunst der Renaissance" abzuhelfen.
Politischer Zu- stand im XIII. Jahrh.Der Kampf zwischen den Päpsten und den Hohenstaufen hinterließ zuletzt Italien in einem politischen Zustande, welcher von dem des übrigen Abendlandes in den wesent- lichsten Dingen abwich. Wenn in Frankreich, Spanien, England das Lehnssystem so geartet war, daß es nach Ab- lauf seiner Lebenszeit dem monarchischen Einheitsstaat in die Arme fallen mußte, wenn es in Deutschland wenigstens die Einheit des Reiches äußerlich festhalten half, so hatte Italien sich ihm fast völlig entzogen. Die Kaiser des XIV. Jahrhunderts wurden im günstigsten Falle nicht mehr als Oberlehnsherrn, sondern als mögliche Häupter und Verstärkungen schon vorhandener Mächte empfangen und geachtet; das Papstthum aber mit seinen Creaturen und Stützpunkten war gerade stark genug, jede künftige Einheit zu verhindern ohne doch selbst eine schaffen zu können. 1) Die nothwen- dige Vielheit.Zwischen den beiden waren eine Menge politischer Gestal- tungen -- Städte und Gewaltherrscher -- theils schon vor- handen theils neu emporgekommen, deren Dasein rein that- sächlicher Art war. 2) In ihnen erscheint der moderne europäische Staatsgeist zum erstenmal frei seinen eigenen Antrieben hingegeben; sie zeigen oft genug die fessellose Selbstsucht in ihren furchtbarsten Zügen, jedes Recht ver- höhnend, jede gesunde Bildung im Keim erstickend; aber
1)Macchiavelli, Discorsi L. I. c. 12.
2) Die Herrschenden und ihr Anhang heißen zusammen lo stato, und dieser Name durfte dann die Bedeutung des gesammten Daseins eines Territoriums usurpiren.
1. Abſchnitt.ein großes geiſtiges Continuum in einzelne ſcheinbar oft willkürliche Categorien zerlegen muß, um es nur irgendwie zur Darſtellung zu bringen. — Der größten Lücke des Buches gedenken wir in einiger Zeit durch ein beſonderes Werk über „die Kunſt der Renaiſſance“ abzuhelfen.
Politiſcher Zu- ſtand im XIII. Jahrh.Der Kampf zwiſchen den Päpſten und den Hohenſtaufen hinterließ zuletzt Italien in einem politiſchen Zuſtande, welcher von dem des übrigen Abendlandes in den weſent- lichſten Dingen abwich. Wenn in Frankreich, Spanien, England das Lehnsſyſtem ſo geartet war, daß es nach Ab- lauf ſeiner Lebenszeit dem monarchiſchen Einheitsſtaat in die Arme fallen mußte, wenn es in Deutſchland wenigſtens die Einheit des Reiches äußerlich feſthalten half, ſo hatte Italien ſich ihm faſt völlig entzogen. Die Kaiſer des XIV. Jahrhunderts wurden im günſtigſten Falle nicht mehr als Oberlehnsherrn, ſondern als mögliche Häupter und Verſtärkungen ſchon vorhandener Mächte empfangen und geachtet; das Papſtthum aber mit ſeinen Creaturen und Stützpunkten war gerade ſtark genug, jede künftige Einheit zu verhindern ohne doch ſelbſt eine ſchaffen zu können. 1) Die nothwen- dige Vielheit.Zwiſchen den beiden waren eine Menge politiſcher Geſtal- tungen — Städte und Gewaltherrſcher — theils ſchon vor- handen theils neu emporgekommen, deren Daſein rein that- ſächlicher Art war. 2) In ihnen erſcheint der moderne europäiſche Staatsgeiſt zum erſtenmal frei ſeinen eigenen Antrieben hingegeben; ſie zeigen oft genug die feſſelloſe Selbſtſucht in ihren furchtbarſten Zügen, jedes Recht ver- höhnend, jede geſunde Bildung im Keim erſtickend; aber
1)Macchiavelli, Discorsi L. I. c. 12.
2) Die Herrſchenden und ihr Anhang heißen zuſammen lo stato, und dieſer Name durfte dann die Bedeutung des geſammten Daſeins eines Territoriums uſurpiren.
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[2/0012]
ein großes geiſtiges Continuum in einzelne ſcheinbar oft
willkürliche Categorien zerlegen muß, um es nur irgendwie
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gedenken wir in einiger Zeit durch ein beſonderes Werk
über „die Kunſt der Renaiſſance“ abzuhelfen.
1. Abſchnitt.
Der Kampf zwiſchen den Päpſten und den Hohenſtaufen
hinterließ zuletzt Italien in einem politiſchen Zuſtande,
welcher von dem des übrigen Abendlandes in den weſent-
lichſten Dingen abwich. Wenn in Frankreich, Spanien,
England das Lehnsſyſtem ſo geartet war, daß es nach Ab-
lauf ſeiner Lebenszeit dem monarchiſchen Einheitsſtaat in
die Arme fallen mußte, wenn es in Deutſchland wenigſtens
die Einheit des Reiches äußerlich feſthalten half, ſo hatte
Italien ſich ihm faſt völlig entzogen. Die Kaiſer des
XIV. Jahrhunderts wurden im günſtigſten Falle nicht mehr
als Oberlehnsherrn, ſondern als mögliche Häupter und
Verſtärkungen ſchon vorhandener Mächte empfangen und
geachtet; das Papſtthum aber mit ſeinen Creaturen und
Stützpunkten war gerade ſtark genug, jede künftige Einheit
zu verhindern ohne doch ſelbſt eine ſchaffen zu können. 1)
Zwiſchen den beiden waren eine Menge politiſcher Geſtal-
tungen — Städte und Gewaltherrſcher — theils ſchon vor-
handen theils neu emporgekommen, deren Daſein rein that-
ſächlicher Art war. 2) In ihnen erſcheint der moderne
europäiſche Staatsgeiſt zum erſtenmal frei ſeinen eigenen
Antrieben hingegeben; ſie zeigen oft genug die feſſelloſe
Selbſtſucht in ihren furchtbarſten Zügen, jedes Recht ver-
höhnend, jede geſunde Bildung im Keim erſtickend; aber
Politiſcher Zu-
ſtand im
XIII. Jahrh.
Die nothwen-
dige Vielheit.
1) Macchiavelli, Discorsi L. I. c. 12.
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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/12>, abgerufen am 21.11.2024.
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