1. Abschnitt.um dort weiter zu herrschen. Trügt uns nicht Alles, so ist dieß der wesentliche Grund der geheimen Sympathie, womit Macchiavell den großen Verbrecher behandelt; von Cesare oder von Niemand durfte er hoffen, daß er "das Eisen aus der Wunde ziehe", d. h. das Papstthum, die Quelle aller Intervention und aller Zersplitterung Italiens zernichte. -- Die Intriganten, welche Cesare zu errathen glaubten, wenn sie ihm das Königthum von Toscana spie- gelten, wies er, scheint es mit Verachtung von sich 1).
Doch alle logischen Schlüsse aus seinen Prämissen sind vielleicht eitel -- nicht wegen einer sonderlichen dämonischen Genialität, die ihm so wenig innewohnte als z. B. dem Herzog von Friedland -- sondern weil die Mittel, die er anwandte, überhaupt mit keiner völlig consequenten Hand- lungsweise im Großen verträglich sind. Vielleicht hätte in dem Uebermaß von Bosheit sich wieder eine Aussicht der Rettung für das Papstthum aufgethan, auch ohne jenen Zufall, der seiner Herrschaft ein Ende machte.
Die irrationel- len Mittel.Wenn man auch annimmt, daß die Zernichtung aller Zwischenherrscher im Kirchenstaate dem Cesare nichts als Sympathie eingetragen hätte, wenn man auch die Schaar die 1503 seinem Glücke folgte -- die besten Soldaten und Offiziere Italiens mit Lionardo da Vinci als Ober-Inge- nieur -- als Beweis seiner großen Aussichten gelten läßt, so gehört doch Anderes wieder ins Gebiet des Irrationellen, so daß unser Urtheil darob irre wird wie das der Zeit- genossen. Von dieser Art ist besonders die Verheerung und Mißhandlung des eben gewonnenen Staates 2), den
anzunehmen, obschon er (laut Macchiav. a a O. S. 285) auf einen baldigen Tod seines Vaters rechnen mußte.
1) Macchiavelli, a. a. O. S. 334. Pläne auf Siena und eventuell auf ganz Toscana waren vorhanden aber noch nicht ganz gereift; die Zustimmung Frankreichs war dazu nothwendig.
2) Macchiavelli, a. a. O. S. 326. 351. 414. -- Matarazzo, cro- naca di Perugia, arch. stor. XVI, II. p. 157 und 221: "Er
1. Abſchnitt.um dort weiter zu herrſchen. Trügt uns nicht Alles, ſo iſt dieß der weſentliche Grund der geheimen Sympathie, womit Macchiavell den großen Verbrecher behandelt; von Ceſare oder von Niemand durfte er hoffen, daß er „das Eiſen aus der Wunde ziehe“, d. h. das Papſtthum, die Quelle aller Intervention und aller Zerſplitterung Italiens zernichte. — Die Intriganten, welche Ceſare zu errathen glaubten, wenn ſie ihm das Königthum von Toscana ſpie- gelten, wies er, ſcheint es mit Verachtung von ſich 1).
Doch alle logiſchen Schlüſſe aus ſeinen Prämiſſen ſind vielleicht eitel — nicht wegen einer ſonderlichen dämoniſchen Genialität, die ihm ſo wenig innewohnte als z. B. dem Herzog von Friedland — ſondern weil die Mittel, die er anwandte, überhaupt mit keiner völlig conſequenten Hand- lungsweiſe im Großen verträglich ſind. Vielleicht hätte in dem Uebermaß von Bosheit ſich wieder eine Ausſicht der Rettung für das Papſtthum aufgethan, auch ohne jenen Zufall, der ſeiner Herrſchaft ein Ende machte.
Die irrationel- len Mittel.Wenn man auch annimmt, daß die Zernichtung aller Zwiſchenherrſcher im Kirchenſtaate dem Ceſare nichts als Sympathie eingetragen hätte, wenn man auch die Schaar die 1503 ſeinem Glücke folgte — die beſten Soldaten und Offiziere Italiens mit Lionardo da Vinci als Ober-Inge- nieur — als Beweis ſeiner großen Ausſichten gelten läßt, ſo gehört doch Anderes wieder ins Gebiet des Irrationellen, ſo daß unſer Urtheil darob irre wird wie das der Zeit- genoſſen. Von dieſer Art iſt beſonders die Verheerung und Mißhandlung des eben gewonnenen Staates 2), den
anzunehmen, obſchon er (laut Macchiav. a a O. S. 285) auf einen baldigen Tod ſeines Vaters rechnen mußte.
1) Macchiavelli, a. a. O. S. 334. Pläne auf Siena und eventuell auf ganz Toscana waren vorhanden aber noch nicht ganz gereift; die Zuſtimmung Frankreichs war dazu nothwendig.
2) Macchiavelli, a. a. O. S. 326. 351. 414. — Matarazzo, cro- naca di Perugia, arch. stor. XVI, II. p. 157 und 221: „Er
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Ceſare oder von Niemand durfte er hoffen, daß er „das
Eiſen aus der Wunde ziehe“, d. h. das Papſtthum, die
Quelle aller Intervention und aller Zerſplitterung Italiens
zernichte. — Die Intriganten, welche Ceſare zu errathen
glaubten, wenn ſie ihm das Königthum von Toscana ſpie-
gelten, wies er, ſcheint es mit Verachtung von ſich 1).
1. Abſchnitt.
Doch alle logiſchen Schlüſſe aus ſeinen Prämiſſen ſind
vielleicht eitel — nicht wegen einer ſonderlichen dämoniſchen
Genialität, die ihm ſo wenig innewohnte als z. B. dem
Herzog von Friedland — ſondern weil die Mittel, die er
anwandte, überhaupt mit keiner völlig conſequenten Hand-
lungsweiſe im Großen verträglich ſind. Vielleicht hätte in
dem Uebermaß von Bosheit ſich wieder eine Ausſicht der
Rettung für das Papſtthum aufgethan, auch ohne jenen
Zufall, der ſeiner Herrſchaft ein Ende machte.
Wenn man auch annimmt, daß die Zernichtung aller
Zwiſchenherrſcher im Kirchenſtaate dem Ceſare nichts als
Sympathie eingetragen hätte, wenn man auch die Schaar
die 1503 ſeinem Glücke folgte — die beſten Soldaten und
Offiziere Italiens mit Lionardo da Vinci als Ober-Inge-
nieur — als Beweis ſeiner großen Ausſichten gelten läßt,
ſo gehört doch Anderes wieder ins Gebiet des Irrationellen,
ſo daß unſer Urtheil darob irre wird wie das der Zeit-
genoſſen. Von dieſer Art iſt beſonders die Verheerung
und Mißhandlung des eben gewonnenen Staates 2), den
4)
Die irrationel-
len Mittel.
1) Macchiavelli, a. a. O. S. 334. Pläne auf Siena und eventuell
auf ganz Toscana waren vorhanden aber noch nicht ganz gereift;
die Zuſtimmung Frankreichs war dazu nothwendig.
2) Macchiavelli, a. a. O. S. 326. 351. 414. — Matarazzo, cro-
naca di Perugia, arch. stor. XVI, II. p. 157 und 221: „Er
4) anzunehmen, obſchon er (laut Macchiav. a a O. S. 285) auf
einen baldigen Tod ſeines Vaters rechnen mußte.
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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/126>, abgerufen am 26.11.2024.
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