2. Abschnitt.wie die wildesten Pferde unter ihm schauderten und zitterten -- L. B. Alberti.denn in drei Dingen wollte er den Menschen untadelhaft erscheinen: im Gehen, im Reiten und im Reden. Die Musik lernte er ohne Meister, und doch wurden seine Com- positionen von Leuten des Faches bewundert. Unter dem Drucke der Dürftigkeit studirte er beide Rechte, viele Jahre hindurch, bis zu schwerer Krankheit durch Erschöpfung; und als er im 24sten Jahre sein Wort-Gedächtniß ge- schwächt, seinen Sachensinn aber unversehrt fand, legte er sich auf Physik und Mathematik und lernte daneben alle Fertigkeiten der Welt, indem er Künstler, Gelehrte und Handwerker jeder Art bis auf die Schuster um ihre Ge- heimnisse und Erfahrungen befragte. Das Malen und Modelliren -- namentlich äußerst kenntlicher Bildnisse, auch aus dem bloßen Gedächtniß -- ging nebenein. Besondere Bewunderung erregte der geheimnißvolle Guckkasten, in welchem er bald die Gestirne und den nächtlichen Mond- aufgang über Felsgebirgen erscheinen ließ, bald weite Land- schaften mit Bergen und Meeresbuchten bis in duftige Fernen hinein, mit heranfahrenden Flotten, im Sonnenglanz wie im Wolkenschatten. Aber auch was Andere schufen, erkannte er freudig an und hielt überhaupt jede menschliche Hervorbringung, die irgend dem Gesetze der Schönheit folgte, beinah für etwas Göttliches 1). Dazu kam eine schrift- stellerische Thätigkeit zunächst über die Kunst selber, Mark- steine und Hauptzeugnisse für die Renaissance der Form, zumal der Architectur. Dann lateinische Prosadichtungen, Novellen u. dgl., von welchen man Einzelnes für antik gehalten hat, auch scherzhafte Tischreden, Elegien und Eclo- gen; ferner ein italienisches Werk "vom Hauswesen" in vier Büchern 2), ja eine Leichenrede auf seinen Hund. Seine
1)Quicquid ingenio esset hominum cum quadam effectum ele- gantia, id prope divinum ducebat.
2) Dieses verlorene Werk ist es (vgl. S. 135 Anm.), welches von
2. Abſchnitt.wie die wildeſten Pferde unter ihm ſchauderten und zitterten — L. B. Alberti.denn in drei Dingen wollte er den Menſchen untadelhaft erſcheinen: im Gehen, im Reiten und im Reden. Die Muſik lernte er ohne Meiſter, und doch wurden ſeine Com- poſitionen von Leuten des Faches bewundert. Unter dem Drucke der Dürftigkeit ſtudirte er beide Rechte, viele Jahre hindurch, bis zu ſchwerer Krankheit durch Erſchöpfung; und als er im 24ſten Jahre ſein Wort-Gedächtniß ge- ſchwächt, ſeinen Sachenſinn aber unverſehrt fand, legte er ſich auf Phyſik und Mathematik und lernte daneben alle Fertigkeiten der Welt, indem er Künſtler, Gelehrte und Handwerker jeder Art bis auf die Schuſter um ihre Ge- heimniſſe und Erfahrungen befragte. Das Malen und Modelliren — namentlich äußerſt kenntlicher Bildniſſe, auch aus dem bloßen Gedächtniß — ging nebenein. Beſondere Bewunderung erregte der geheimnißvolle Guckkaſten, in welchem er bald die Geſtirne und den nächtlichen Mond- aufgang über Felsgebirgen erſcheinen ließ, bald weite Land- ſchaften mit Bergen und Meeresbuchten bis in duftige Fernen hinein, mit heranfahrenden Flotten, im Sonnenglanz wie im Wolkenſchatten. Aber auch was Andere ſchufen, erkannte er freudig an und hielt überhaupt jede menſchliche Hervorbringung, die irgend dem Geſetze der Schönheit folgte, beinah für etwas Göttliches 1). Dazu kam eine ſchrift- ſtelleriſche Thätigkeit zunächſt über die Kunſt ſelber, Mark- ſteine und Hauptzeugniſſe für die Renaiſſance der Form, zumal der Architectur. Dann lateiniſche Proſadichtungen, Novellen u. dgl., von welchen man Einzelnes für antik gehalten hat, auch ſcherzhafte Tiſchreden, Elegien und Eclo- gen; ferner ein italieniſches Werk „vom Hausweſen“ in vier Büchern 2), ja eine Leichenrede auf ſeinen Hund. Seine
1)Quicquid ingenio esset hominum cum quadam effectum ele- gantia, id prope divinum ducebat.
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wie die wildeſten Pferde unter ihm ſchauderten und zitterten —
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Muſik lernte er ohne Meiſter, und doch wurden ſeine Com-
poſitionen von Leuten des Faches bewundert. Unter dem
Drucke der Dürftigkeit ſtudirte er beide Rechte, viele Jahre
hindurch, bis zu ſchwerer Krankheit durch Erſchöpfung;
und als er im 24ſten Jahre ſein Wort-Gedächtniß ge-
ſchwächt, ſeinen Sachenſinn aber unverſehrt fand, legte er
ſich auf Phyſik und Mathematik und lernte daneben alle
Fertigkeiten der Welt, indem er Künſtler, Gelehrte und
Handwerker jeder Art bis auf die Schuſter um ihre Ge-
heimniſſe und Erfahrungen befragte. Das Malen und
Modelliren — namentlich äußerſt kenntlicher Bildniſſe, auch
aus dem bloßen Gedächtniß — ging nebenein. Beſondere
Bewunderung erregte der geheimnißvolle Guckkaſten, in
welchem er bald die Geſtirne und den nächtlichen Mond-
aufgang über Felsgebirgen erſcheinen ließ, bald weite Land-
ſchaften mit Bergen und Meeresbuchten bis in duftige
Fernen hinein, mit heranfahrenden Flotten, im Sonnenglanz
wie im Wolkenſchatten. Aber auch was Andere ſchufen,
erkannte er freudig an und hielt überhaupt jede menſchliche
Hervorbringung, die irgend dem Geſetze der Schönheit folgte,
beinah für etwas Göttliches 1). Dazu kam eine ſchrift-
ſtelleriſche Thätigkeit zunächſt über die Kunſt ſelber, Mark-
ſteine und Hauptzeugniſſe für die Renaiſſance der Form,
zumal der Architectur. Dann lateiniſche Proſadichtungen,
Novellen u. dgl., von welchen man Einzelnes für antik
gehalten hat, auch ſcherzhafte Tiſchreden, Elegien und Eclo-
gen; ferner ein italieniſches Werk „vom Hausweſen“ in
vier Büchern 2), ja eine Leichenrede auf ſeinen Hund. Seine
2. Abſchnitt.
L. B. Alberti.
1) Quicquid ingenio esset hominum cum quadam effectum ele-
gantia, id prope divinum ducebat.
2) Dieſes verlorene Werk iſt es (vgl. S. 135 Anm.), welches von
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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/150>, abgerufen am 24.11.2024.
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