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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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Brief "an die Nachwelt" 1) ist die Rechenschaft des alten,2. Abschnitt.
hochberühmten Mannes, der die öffentliche Neugier zufrie-
den stellen muß; bei der Nachwelt möchte er wohl Ruhm
genießen, bei den Zeitgenossen aber sich lieber denselben
verbitten 2); in seinen Dialogen von Glück und Unglück 3)
hat bei Anlaß des Ruhmes der Gegenredner, welcher dessen
Nichtigkeit beweist, den stärkern Accent für sich. Soll man
es aber strenge nehmen, wenn es Petrarca noch immer
freut, daß der paläologische Autokrator von Byzanz 4) ihn
durch seine Schriften so genau kennt wie Kaiser Carl IV.
ihn kennt? Denn in der That ging sein Ruf schon bei
Lebzeiten über Italien hinaus. Und empfand er nicht eine
gerechte Rührung als ihn bei einem Besuch in seiner Hei-
math Arezzo die Freunde zu seinem Geburtshaus führtenCultus der Ge-
burtshäuser.

und ihm meldeten, die Stadt sorge dafür, daß nichts daran
verändert werden dürfe? 5) Früher feierte und conservirte
man die Wohnungen einzelner großer Heiligen, wie z. B.
die Zelle des S. Thomas von Aquino bei den Domini-
canern in Neapel, die Portiuncula des S. Franciscus bei
Assisi; höchstens genossen noch einzelne große Rechtsgelehrte
jenes halbmythische Ansehen, welches zu dieser Ehre führte;
so benannte das Volk noch gegen Ende des XIV. Jahr-
hunderts zu Bagnolo unweit Florenz ein altes Gebäude

1) Epistola de origine et vita etc., am Eingang der Opera:
"Franc. Petrarca Posteritati salutem"
. Gewisse neuere Tadler
von P.'s Eitelkeit würden an seiner Stelle schwerlich so viele Güte
und Offenheit behalten haben wie er.
2) Opera, p. 177: de celebritate nominis importuna.
3) De remediis utriusque fortunae, passim.
4) Epist. seniles III, 5. Einen Maßstab von Petrarca's Ruhm giebt
z. B. Blondus (Italia illustrata, p. 416) hundert Jahre nachher,
durch seine Versicherung, daß auch kaum ein Gelehrter mehr etwas
von König Robert dem Guten wüßte, wenn Petrarca seiner nicht
so oft und freundlich gedacht hätte.
5) Epist. seniles XIII, 3. p. 918.
Cultur der Renaissance. 10

Brief „an die Nachwelt“ 1) iſt die Rechenſchaft des alten,2. Abſchnitt.
hochberühmten Mannes, der die öffentliche Neugier zufrie-
den ſtellen muß; bei der Nachwelt möchte er wohl Ruhm
genießen, bei den Zeitgenoſſen aber ſich lieber denſelben
verbitten 2); in ſeinen Dialogen von Glück und Unglück 3)
hat bei Anlaß des Ruhmes der Gegenredner, welcher deſſen
Nichtigkeit beweist, den ſtärkern Accent für ſich. Soll man
es aber ſtrenge nehmen, wenn es Petrarca noch immer
freut, daß der paläologiſche Autokrator von Byzanz 4) ihn
durch ſeine Schriften ſo genau kennt wie Kaiſer Carl IV.
ihn kennt? Denn in der That ging ſein Ruf ſchon bei
Lebzeiten über Italien hinaus. Und empfand er nicht eine
gerechte Rührung als ihn bei einem Beſuch in ſeiner Hei-
math Arezzo die Freunde zu ſeinem Geburtshaus führtenCultus der Ge-
burtshäuſer.

und ihm meldeten, die Stadt ſorge dafür, daß nichts daran
verändert werden dürfe? 5) Früher feierte und conſervirte
man die Wohnungen einzelner großer Heiligen, wie z. B.
die Zelle des S. Thomas von Aquino bei den Domini-
canern in Neapel, die Portiuncula des S. Franciscus bei
Aſſiſi; höchſtens genoſſen noch einzelne große Rechtsgelehrte
jenes halbmythiſche Anſehen, welches zu dieſer Ehre führte;
ſo benannte das Volk noch gegen Ende des XIV. Jahr-
hunderts zu Bagnolo unweit Florenz ein altes Gebäude

1) Epistola de origine et vita etc., am Eingang der Opera:
„Franc. Petrarca Posteritati salutem“
. Gewiſſe neuere Tadler
von P.'s Eitelkeit würden an ſeiner Stelle ſchwerlich ſo viele Güte
und Offenheit behalten haben wie er.
2) Opera, p. 177: de celebritate nominis importuna.
3) De remediis utriusque fortunæ, passim.
4) Epist. seniles III, 5. Einen Maßſtab von Petrarca's Ruhm giebt
z. B. Blondus (Italia illustrata, p. 416) hundert Jahre nachher,
durch ſeine Verſicherung, daß auch kaum ein Gelehrter mehr etwas
von König Robert dem Guten wüßte, wenn Petrarca ſeiner nicht
ſo oft und freundlich gedacht hätte.
5) Epist. seniles XIII, 3. p. 918.
Cultur der Renaiſſance. 10
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[145/0155] Brief „an die Nachwelt“ 1) iſt die Rechenſchaft des alten, hochberühmten Mannes, der die öffentliche Neugier zufrie- den ſtellen muß; bei der Nachwelt möchte er wohl Ruhm genießen, bei den Zeitgenoſſen aber ſich lieber denſelben verbitten 2); in ſeinen Dialogen von Glück und Unglück 3) hat bei Anlaß des Ruhmes der Gegenredner, welcher deſſen Nichtigkeit beweist, den ſtärkern Accent für ſich. Soll man es aber ſtrenge nehmen, wenn es Petrarca noch immer freut, daß der paläologiſche Autokrator von Byzanz 4) ihn durch ſeine Schriften ſo genau kennt wie Kaiſer Carl IV. ihn kennt? Denn in der That ging ſein Ruf ſchon bei Lebzeiten über Italien hinaus. Und empfand er nicht eine gerechte Rührung als ihn bei einem Beſuch in ſeiner Hei- math Arezzo die Freunde zu ſeinem Geburtshaus führten und ihm meldeten, die Stadt ſorge dafür, daß nichts daran verändert werden dürfe? 5) Früher feierte und conſervirte man die Wohnungen einzelner großer Heiligen, wie z. B. die Zelle des S. Thomas von Aquino bei den Domini- canern in Neapel, die Portiuncula des S. Franciscus bei Aſſiſi; höchſtens genoſſen noch einzelne große Rechtsgelehrte jenes halbmythiſche Anſehen, welches zu dieſer Ehre führte; ſo benannte das Volk noch gegen Ende des XIV. Jahr- hunderts zu Bagnolo unweit Florenz ein altes Gebäude 2. Abſchnitt. Cultus der Ge- burtshäuſer. 1) Epistola de origine et vita etc., am Eingang der Opera: „Franc. Petrarca Posteritati salutem“. Gewiſſe neuere Tadler von P.'s Eitelkeit würden an ſeiner Stelle ſchwerlich ſo viele Güte und Offenheit behalten haben wie er. 2) Opera, p. 177: de celebritate nominis importuna. 3) De remediis utriusque fortunæ, passim. 4) Epist. seniles III, 5. Einen Maßſtab von Petrarca's Ruhm giebt z. B. Blondus (Italia illustrata, p. 416) hundert Jahre nachher, durch ſeine Verſicherung, daß auch kaum ein Gelehrter mehr etwas von König Robert dem Guten wüßte, wenn Petrarca ſeiner nicht ſo oft und freundlich gedacht hätte. 5) Epist. seniles XIII, 3. p. 918. Cultur der Renaiſſance. 10

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/155>, abgerufen am 21.11.2024.