nur geschehen, daß sein Lehrer auch diese erzog, sondern er3. Abschnitt. scheint es als Ehre für Mantua betrachtet zu haben, daß es die Erziehungsstätte für die vornehme Welt sei. Hier zum erstenmal war mit dem wissenschaftlichen Unterricht auch das Turnen und jede edlere Leibesübung für eine ganze Schule ins Gleichgewicht gesetzt. Dazu aber kam noch eine andere Schaar, in deren Ausbildung Vittorino vielleicht sein höchstes Lebensziel erkannte: die Armen und Talentvollen, die er in seinem Hause nährte und erzog "per l'amore di Dio", neben jenen Vornehmen, die sich hier gewöhnen mußten mit dem bloßen Talent unter einem Dache zu wohnen. Der Gonzaga hatte ihm eigentlich 300 Goldgulden jährlich zu bezahlen, deckte ihm aber den ganzen Ausfall, welcher oft eben soviel betrug. Er wußte, daß Vittorino keinen Heller für sich bei Seite legte und ahnte ohne Zweifel, daß die Miterziehung der Unbemittel- ten die stillschweigende Bedingung sei, unter welcher der wunderbare Mann ihm diente. Die Haltung des Hauses war streng religiös, wie kaum in einem Kloster.
Mehr auf der Gelehrsamkeit liegt der Accent beiGuarino. Guarino von Verona 1), der 1429 von Nicolo d'Este zur Erziehung seines Sohnes Lionello nach Ferrara be- berufen wurde und seit 1436, als sein Zögling nahezu er- wachsen war, auch als Professor der Beredsamkeit und der beiden alten Sprachen an der Universität lehrte. Schon neben Lionello hatte er zahlreiche andere Schüler aus ver- schiedenen Gegenden, und im eigenen Hause eine auserlesene Zahl von Armen, die er theilweise oder ganz unterhielt; seine Abendstunden bis spät waren der Repetition mit diesen gewidmet. Auch hier war eine Stätte strenger Religion und Sittlichkeit; es hat an Guarino so wenig wie an Vittorino gelegen, wenn die meisten Humanisten ihres Jahrhunderts in diesen Beziehungen kein Lob mehr davon-
1)Vespas. Fior. p. 646.
Cultur der Renaissance. 14
nur geſchehen, daß ſein Lehrer auch dieſe erzog, ſondern er3. Abſchnitt. ſcheint es als Ehre für Mantua betrachtet zu haben, daß es die Erziehungsſtätte für die vornehme Welt ſei. Hier zum erſtenmal war mit dem wiſſenſchaftlichen Unterricht auch das Turnen und jede edlere Leibesübung für eine ganze Schule ins Gleichgewicht geſetzt. Dazu aber kam noch eine andere Schaar, in deren Ausbildung Vittorino vielleicht ſein höchſtes Lebensziel erkannte: die Armen und Talentvollen, die er in ſeinem Hauſe nährte und erzog „per l'amore di Dio“, neben jenen Vornehmen, die ſich hier gewöhnen mußten mit dem bloßen Talent unter einem Dache zu wohnen. Der Gonzaga hatte ihm eigentlich 300 Goldgulden jährlich zu bezahlen, deckte ihm aber den ganzen Ausfall, welcher oft eben ſoviel betrug. Er wußte, daß Vittorino keinen Heller für ſich bei Seite legte und ahnte ohne Zweifel, daß die Miterziehung der Unbemittel- ten die ſtillſchweigende Bedingung ſei, unter welcher der wunderbare Mann ihm diente. Die Haltung des Hauſes war ſtreng religiös, wie kaum in einem Kloſter.
Mehr auf der Gelehrſamkeit liegt der Accent beiGuarino. Guarino von Verona 1), der 1429 von Nicolò d'Eſte zur Erziehung ſeines Sohnes Lionello nach Ferrara be- berufen wurde und ſeit 1436, als ſein Zögling nahezu er- wachſen war, auch als Profeſſor der Beredſamkeit und der beiden alten Sprachen an der Univerſität lehrte. Schon neben Lionello hatte er zahlreiche andere Schüler aus ver- ſchiedenen Gegenden, und im eigenen Hauſe eine auserleſene Zahl von Armen, die er theilweiſe oder ganz unterhielt; ſeine Abendſtunden bis ſpät waren der Repetition mit dieſen gewidmet. Auch hier war eine Stätte ſtrenger Religion und Sittlichkeit; es hat an Guarino ſo wenig wie an Vittorino gelegen, wenn die meiſten Humaniſten ihres Jahrhunderts in dieſen Beziehungen kein Lob mehr davon-
1)Vespas. Fior. p. 646.
Cultur der Renaiſſance. 14
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ſcheint es als Ehre für Mantua betrachtet zu haben, daß
es die Erziehungsſtätte für die vornehme Welt ſei. Hier
zum erſtenmal war mit dem wiſſenſchaftlichen Unterricht
auch das Turnen und jede edlere Leibesübung für eine
ganze Schule ins Gleichgewicht geſetzt. Dazu aber kam
noch eine andere Schaar, in deren Ausbildung Vittorino
vielleicht ſein höchſtes Lebensziel erkannte: die Armen und
Talentvollen, die er in ſeinem Hauſe nährte und erzog
„per l'amore di Dio“, neben jenen Vornehmen, die ſich
hier gewöhnen mußten mit dem bloßen Talent unter einem
Dache zu wohnen. Der Gonzaga hatte ihm eigentlich
300 Goldgulden jährlich zu bezahlen, deckte ihm aber den
ganzen Ausfall, welcher oft eben ſoviel betrug. Er wußte,
daß Vittorino keinen Heller für ſich bei Seite legte und
ahnte ohne Zweifel, daß die Miterziehung der Unbemittel-
ten die ſtillſchweigende Bedingung ſei, unter welcher der
wunderbare Mann ihm diente. Die Haltung des Hauſes
war ſtreng religiös, wie kaum in einem Kloſter.
3. Abſchnitt.
Mehr auf der Gelehrſamkeit liegt der Accent bei
Guarino von Verona 1), der 1429 von Nicolò d'Eſte
zur Erziehung ſeines Sohnes Lionello nach Ferrara be-
berufen wurde und ſeit 1436, als ſein Zögling nahezu er-
wachſen war, auch als Profeſſor der Beredſamkeit und der
beiden alten Sprachen an der Univerſität lehrte. Schon
neben Lionello hatte er zahlreiche andere Schüler aus ver-
ſchiedenen Gegenden, und im eigenen Hauſe eine auserleſene
Zahl von Armen, die er theilweiſe oder ganz unterhielt;
ſeine Abendſtunden bis ſpät waren der Repetition mit dieſen
gewidmet. Auch hier war eine Stätte ſtrenger Religion
und Sittlichkeit; es hat an Guarino ſo wenig wie an
Vittorino gelegen, wenn die meiſten Humaniſten ihres
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Guarino.
1) Vespas. Fior. p. 646.
Cultur der Renaiſſance. 14
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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/219>, abgerufen am 23.11.2024.
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