1. Abschnitt.bauen. Neben Herrschern wie jene ist er von Anfang an ein armer verlorener Thor.
Herrscher des XV. Jahrh.Die Gewaltherrschaft im XV. Jahrhundert zeigt einen veränderten Character. Viele von den kleinen Tyrannen und auch einige von den größern, wie die Scala und Car- rara, sind untergegangen; die mächtigen haben sich arron- dirt und innerlich characteristischer ausgebildet; Neapel er- hält durch die neue aragonesische Dynastie eine kräftigere Richtung. Vorzüglich bezeichnend aber ist für dieses Jahr- hundert das Streben der Condottieren nach unabhängiger Herrschaft, ja nach Kronen; ein weiterer Schritt auf der Bahn des rein Thatsächlichen, und eine hohe Prämie für das Talent wie für die Ruchlosigkeit. Die kleinern Tyrannen, um sich einen Rückhalt zu sichern, gehen jetzt gern in Dienste der größern Staaten und werden Condottieren derselben, was ihnen etwas Geld und auch wohl Straflosigkeit für manche Missethaten verschafft, vielleicht sogar Vergrößerung ihres Gebietes. Im Ganzen genommen mußten Große und Kleine sich mehr anstrengen, besonnener und berechneter ver- fahren und sich der gar zu massenhaften Gräuel enthalten; sie durften überhaupt nur so viel Böses üben als nach- weisbar zu ihren Zwecken diente -- so viel verzieh ihnen auch die Meinung der Unbetheiligten. Von dem Capital von Pietät, welches den legitimen abendländischen Fürsten- häusern zu Statten kam, ist hier keine Spur, höchstens eine Art von hauptstädtischer Popularität; was den Fürsten Italiens wesentlich weiter helfen muß, ist immer Talent Contrast mit Carl d. Kühnen.und kühle Berechnung. Ein Character wie derjenige Carls des Kühnen, der sich mit wüthender Leidenschaft in völlig unpractische Zwecke hinein verbiß, war den Italienern ein wahres Räthsel. "Die Schweizer seien ja lauter Bauern, und wenn man sie auch alle tödte, so sei dieß ja keine Ge- nugthuung für die burgundischen Magnaten, die im Kampfe
1. Abſchnitt.bauen. Neben Herrſchern wie jene iſt er von Anfang an ein armer verlorener Thor.
Herrſcher des XV. Jahrh.Die Gewaltherrſchaft im XV. Jahrhundert zeigt einen veränderten Character. Viele von den kleinen Tyrannen und auch einige von den größern, wie die Scala und Car- rara, ſind untergegangen; die mächtigen haben ſich arron- dirt und innerlich characteriſtiſcher ausgebildet; Neapel er- hält durch die neue aragoneſiſche Dynaſtie eine kräftigere Richtung. Vorzüglich bezeichnend aber iſt für dieſes Jahr- hundert das Streben der Condottieren nach unabhängiger Herrſchaft, ja nach Kronen; ein weiterer Schritt auf der Bahn des rein Thatſächlichen, und eine hohe Prämie für das Talent wie für die Ruchloſigkeit. Die kleinern Tyrannen, um ſich einen Rückhalt zu ſichern, gehen jetzt gern in Dienſte der größern Staaten und werden Condottieren derſelben, was ihnen etwas Geld und auch wohl Strafloſigkeit für manche Miſſethaten verſchafft, vielleicht ſogar Vergrößerung ihres Gebietes. Im Ganzen genommen mußten Große und Kleine ſich mehr anſtrengen, beſonnener und berechneter ver- fahren und ſich der gar zu maſſenhaften Gräuel enthalten; ſie durften überhaupt nur ſo viel Böſes üben als nach- weisbar zu ihren Zwecken diente — ſo viel verzieh ihnen auch die Meinung der Unbetheiligten. Von dem Capital von Pietät, welches den legitimen abendländiſchen Fürſten- häuſern zu Statten kam, iſt hier keine Spur, höchſtens eine Art von hauptſtädtiſcher Popularität; was den Fürſten Italiens weſentlich weiter helfen muß, iſt immer Talent Contraſt mit Carl d. Kühnen.und kühle Berechnung. Ein Character wie derjenige Carls des Kühnen, der ſich mit wüthender Leidenſchaft in völlig unpractiſche Zwecke hinein verbiß, war den Italienern ein wahres Räthſel. „Die Schweizer ſeien ja lauter Bauern, und wenn man ſie auch alle tödte, ſo ſei dieß ja keine Ge- nugthuung für die burgundiſchen Magnaten, die im Kampfe
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bauen. Neben Herrſchern wie jene iſt er von Anfang an
ein armer verlorener Thor.
1. Abſchnitt.
Die Gewaltherrſchaft im XV. Jahrhundert zeigt einen
veränderten Character. Viele von den kleinen Tyrannen
und auch einige von den größern, wie die Scala und Car-
rara, ſind untergegangen; die mächtigen haben ſich arron-
dirt und innerlich characteriſtiſcher ausgebildet; Neapel er-
hält durch die neue aragoneſiſche Dynaſtie eine kräftigere
Richtung. Vorzüglich bezeichnend aber iſt für dieſes Jahr-
hundert das Streben der Condottieren nach unabhängiger
Herrſchaft, ja nach Kronen; ein weiterer Schritt auf der
Bahn des rein Thatſächlichen, und eine hohe Prämie für
das Talent wie für die Ruchloſigkeit. Die kleinern Tyrannen,
um ſich einen Rückhalt zu ſichern, gehen jetzt gern in Dienſte
der größern Staaten und werden Condottieren derſelben,
was ihnen etwas Geld und auch wohl Strafloſigkeit für
manche Miſſethaten verſchafft, vielleicht ſogar Vergrößerung
ihres Gebietes. Im Ganzen genommen mußten Große und
Kleine ſich mehr anſtrengen, beſonnener und berechneter ver-
fahren und ſich der gar zu maſſenhaften Gräuel enthalten;
ſie durften überhaupt nur ſo viel Böſes üben als nach-
weisbar zu ihren Zwecken diente — ſo viel verzieh ihnen
auch die Meinung der Unbetheiligten. Von dem Capital
von Pietät, welches den legitimen abendländiſchen Fürſten-
häuſern zu Statten kam, iſt hier keine Spur, höchſtens eine
Art von hauptſtädtiſcher Popularität; was den Fürſten
Italiens weſentlich weiter helfen muß, iſt immer Talent
und kühle Berechnung. Ein Character wie derjenige Carls
des Kühnen, der ſich mit wüthender Leidenſchaft in völlig
unpractiſche Zwecke hinein verbiß, war den Italienern ein
wahres Räthſel. „Die Schweizer ſeien ja lauter Bauern,
und wenn man ſie auch alle tödte, ſo ſei dieß ja keine Ge-
nugthuung für die burgundiſchen Magnaten, die im Kampfe
Herrſcher des
XV. Jahrh.
Contraſt mit
Carl d. Kühnen.
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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/24>, abgerufen am 21.11.2024.
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