naueste die Stylschattirungen in der Prosa der Alten, und3. Abschnitt. kommt mit tröstlicher Sicherheit immer wieder auf das Er- gebniß, daß Cicero allein das unbedingte Muster sei, oder, wenn man alle Gattungen umfassen wollte: "jenes unsterb- liche und fast himmlische Zeitalter Cicero's" 1). Jetzt wandten Leute wie Pietro Bembo, Pierio Valeriano u. a. ihre besten Kräfte auf dieses Ziel; auch solche, die lange widerstrebt und sich aus den ältesten Autoren eine archaistische Diction zusammengebaut2), gaben endlich nach und knieten vor Cicero; jetzt ließ sich Longolius von Bembo bestimmen, fünf Jahre lang nur Cicero zu lesen; derselbe gelobte sich gar kein Wort zu brauchen, welches nicht in diesem Autor vorkäme, und solche Stimmungen brachen dann zu jenem großen gelehrten Streit aus, in welchem Erasmus und der ältere Scaliger die Schaaren führten.
Denn auch die Bewunderer Cicero's waren doch langeBedingte und unbedingte Ci- ceronianer. nicht alle so einseitig, ihn als die einzige Quelle der Sprache gelten zu lassen. Noch im XV. Jahrhundert wagten Po- liziano und Ermolao Barbaro, mit Bewußtsein nach einer eigenen, individuellen Latinität zu streben 3), natürlich auf der Basis einer "überquellend großen" Gelehrsamkeit, und dieses Ziel hat auch Derjenige verfolgt, welcher uns dieß meldet, Paolo Giovio. Er hat eine Menge moderner Ge- danken, zumal ästhetischer Art, zuerst und mit großer An- strengung lateinisch wiedergegeben, nicht immer glücklich, aber bisweilen mit einer merkwürdigen Kraft und Eleganz. Seine lateinischen Characteristiken der großen Maler und
1)Hadriani (Cornetani) Card. S. Chrysogoni de sermone latino liber. Hauptsächlich die Einleitung. -- Er findet in Cicero und seinen Zeitgenossen die Latinität "an sich".
2)Paul. Jov. Elogia, bei Anlaß des Bapt. Pius.
3)Paul. Jov. Elogia, bei Anlaß des Naugerius. Ihr Ideal sei gewesen: aliquid in stylo proprium, quod peculiarem ex certa nota mentis effigiem referret, ex naturae genio effin-
naueſte die Stylſchattirungen in der Proſa der Alten, und3. Abſchnitt. kommt mit tröſtlicher Sicherheit immer wieder auf das Er- gebniß, daß Cicero allein das unbedingte Muſter ſei, oder, wenn man alle Gattungen umfaſſen wollte: „jenes unſterb- liche und faſt himmliſche Zeitalter Cicero's“ 1). Jetzt wandten Leute wie Pietro Bembo, Pierio Valeriano u. a. ihre beſten Kräfte auf dieſes Ziel; auch ſolche, die lange widerſtrebt und ſich aus den älteſten Autoren eine archaiſtiſche Diction zuſammengebaut2), gaben endlich nach und knieten vor Cicero; jetzt ließ ſich Longolius von Bembo beſtimmen, fünf Jahre lang nur Cicero zu leſen; derſelbe gelobte ſich gar kein Wort zu brauchen, welches nicht in dieſem Autor vorkäme, und ſolche Stimmungen brachen dann zu jenem großen gelehrten Streit aus, in welchem Erasmus und der ältere Scaliger die Schaaren führten.
Denn auch die Bewunderer Cicero's waren doch langeBedingte und unbedingte Ci- ceronianer. nicht alle ſo einſeitig, ihn als die einzige Quelle der Sprache gelten zu laſſen. Noch im XV. Jahrhundert wagten Po- liziano und Ermolao Barbaro, mit Bewußtſein nach einer eigenen, individuellen Latinität zu ſtreben 3), natürlich auf der Baſis einer „überquellend großen“ Gelehrſamkeit, und dieſes Ziel hat auch Derjenige verfolgt, welcher uns dieß meldet, Paolo Giovio. Er hat eine Menge moderner Ge- danken, zumal äſthetiſcher Art, zuerſt und mit großer An- ſtrengung lateiniſch wiedergegeben, nicht immer glücklich, aber bisweilen mit einer merkwürdigen Kraft und Eleganz. Seine lateiniſchen Characteriſtiken der großen Maler und
1)Hadriani (Cornetani) Card. S. Chrysogoni de sermone latino liber. Hauptſächlich die Einleitung. — Er findet in Cicero und ſeinen Zeitgenoſſen die Latinität „an ſich“.
2)Paul. Jov. Elogia, bei Anlaß des Bapt. Pius.
3)Paul. Jov. Elogia, bei Anlaß des Naugerius. Ihr Ideal ſei geweſen: aliquid in stylo proprium, quod peculiarem ex certa nota mentis effigiem referret, ex naturæ genio effin-
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liche und faſt himmliſche Zeitalter Cicero's“ 1). Jetzt wandten
Leute wie Pietro Bembo, Pierio Valeriano u. a. ihre beſten
Kräfte auf dieſes Ziel; auch ſolche, die lange widerſtrebt
und ſich aus den älteſten Autoren eine archaiſtiſche Diction
zuſammengebaut 2), gaben endlich nach und knieten vor
Cicero; jetzt ließ ſich Longolius von Bembo beſtimmen,
fünf Jahre lang nur Cicero zu leſen; derſelbe gelobte ſich
gar kein Wort zu brauchen, welches nicht in dieſem Autor
vorkäme, und ſolche Stimmungen brachen dann zu jenem
großen gelehrten Streit aus, in welchem Erasmus und der
ältere Scaliger die Schaaren führten.
3. Abſchnitt.
Denn auch die Bewunderer Cicero's waren doch lange
nicht alle ſo einſeitig, ihn als die einzige Quelle der Sprache
gelten zu laſſen. Noch im XV. Jahrhundert wagten Po-
liziano und Ermolao Barbaro, mit Bewußtſein nach einer
eigenen, individuellen Latinität zu ſtreben 3), natürlich auf
der Baſis einer „überquellend großen“ Gelehrſamkeit, und
dieſes Ziel hat auch Derjenige verfolgt, welcher uns dieß
meldet, Paolo Giovio. Er hat eine Menge moderner Ge-
danken, zumal äſthetiſcher Art, zuerſt und mit großer An-
ſtrengung lateiniſch wiedergegeben, nicht immer glücklich,
aber bisweilen mit einer merkwürdigen Kraft und Eleganz.
Seine lateiniſchen Characteriſtiken der großen Maler und
Bedingte und
unbedingte Ci-
ceronianer.
1) Hadriani (Cornetani) Card. S. Chrysogoni de sermone latino
liber. Hauptſächlich die Einleitung. — Er findet in Cicero und
ſeinen Zeitgenoſſen die Latinität „an ſich“.
2) Paul. Jov. Elogia, bei Anlaß des Bapt. Pius.
3) Paul. Jov. Elogia, bei Anlaß des Naugerius. Ihr Ideal ſei
geweſen: aliquid in stylo proprium, quod peculiarem ex
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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/259>, abgerufen am 22.11.2024.
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