Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

Bild:
<< vorherige Seite

3. Abschnitt.gesponnene Schicksal, die Götterverheißungen würden sich
aber erfüllen durch das Kind vom Hause Este-Borgia 1);
nachdem er die abenteuerliche Urgeschichte beider Familien
erzählt, betheuert er, dem Cesare so wenig die Unvergäng-
lichkeit schenken zu können als einst -- trotz großer Für-
bitten -- einem Memnon oder Achill; endlich schließt er
mit dem Troste, Cesare werde vorher noch im Krieg viele
Leute umbringen. Nun geht Mars nach Neapel und be-
reitet Krieg und Streit, Pallas aber eilt nach Nepi und
erscheint dort dem kranken Cesare unter der Gestalt Alexan-
ders VI.; nach einigen Vermahnungen, sich zu schicken und
sich mit dem Ruhme seines Namens zu begnügen, ver-
schwindet die päpstliche Göttinn "wie ein Vogel".

Man verzichtet indeß unnützer Weise auf einen bis-
weilen großen Genuß, wenn man Alles perhorrescirt, worein
antike Mythologie wohl oder übel verwoben ist; bisweilen
hat die Kunst diesen an sich conventionellen Bestandtheil
so sehr geadelt als in Malerei und Sculptur. Auch fehlt
es sogar für den Liebhaber nicht an Anfängen der Parodie
(S. 160) z. B. in der Macaroneide, wozu dann das komische
Götterfest des Giovanni Bellini bereits eine Parallele
bildet.

Berechtigung d.
poetischen
Form für Zeit-
geschichte.
Manche erzählende Gedichte in Hexametern sind auch
bloße Exercitien oder Bearbeitungen von Relationen in
Prosa, welche letztere der Leser vorziehen wird, wo er sie
findet. Am Ende wurde bekanntlich Alles, jede Fehde und
jede Ceremonie besungen, auch von den deutschen Huma-
nisten der Reformationszeit 2). Indeß würde man Unrecht
thun, dieß bloß dem Müssiggang und der übergroßen Leich-
tigkeit im Versemachen zuzuschreiben. Bei den Italienern

1) Es ist der spätere Ercole II. von Ferrara, geb. 4. April 1508,
wahrscheinlich kurz vor oder nach Abfassung dieses Gedichtes. Nas-
cere magne puer matri exspectate patrique,
heißt es gegen
Ende.
2) Vgl. die Sammlungen der Scriptores von Schardius, Freher etc.

3. Abſchnitt.geſponnene Schickſal, die Götterverheißungen würden ſich
aber erfüllen durch das Kind vom Hauſe Eſte-Borgia 1);
nachdem er die abenteuerliche Urgeſchichte beider Familien
erzählt, betheuert er, dem Ceſare ſo wenig die Unvergäng-
lichkeit ſchenken zu können als einſt — trotz großer Für-
bitten — einem Memnon oder Achill; endlich ſchließt er
mit dem Troſte, Ceſare werde vorher noch im Krieg viele
Leute umbringen. Nun geht Mars nach Neapel und be-
reitet Krieg und Streit, Pallas aber eilt nach Nepi und
erſcheint dort dem kranken Ceſare unter der Geſtalt Alexan-
ders VI.; nach einigen Vermahnungen, ſich zu ſchicken und
ſich mit dem Ruhme ſeines Namens zu begnügen, ver-
ſchwindet die päpſtliche Göttinn „wie ein Vogel“.

Man verzichtet indeß unnützer Weiſe auf einen bis-
weilen großen Genuß, wenn man Alles perhorrescirt, worein
antike Mythologie wohl oder übel verwoben iſt; bisweilen
hat die Kunſt dieſen an ſich conventionellen Beſtandtheil
ſo ſehr geadelt als in Malerei und Sculptur. Auch fehlt
es ſogar für den Liebhaber nicht an Anfängen der Parodie
(S. 160) z. B. in der Macaroneide, wozu dann das komiſche
Götterfeſt des Giovanni Bellini bereits eine Parallele
bildet.

Berechtigung d.
poetiſchen
Form für Zeit-
geſchichte.
Manche erzählende Gedichte in Hexametern ſind auch
bloße Exercitien oder Bearbeitungen von Relationen in
Proſa, welche letztere der Leſer vorziehen wird, wo er ſie
findet. Am Ende wurde bekanntlich Alles, jede Fehde und
jede Ceremonie beſungen, auch von den deutſchen Huma-
niſten der Reformationszeit 2). Indeß würde man Unrecht
thun, dieß bloß dem Müſſiggang und der übergroßen Leich-
tigkeit im Verſemachen zuzuſchreiben. Bei den Italienern

1) Es iſt der ſpätere Ercole II. von Ferrara, geb. 4. April 1508,
wahrſcheinlich kurz vor oder nach Abfaſſung dieſes Gedichtes. Nas-
cere magne puer matri exspectate patrique,
heißt es gegen
Ende.
2) Vgl. die Sammlungen der Scriptores von Schardius, Freher ꝛc.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0268" n="258"/><note place="left"><hi rendition="#b"><hi rendition="#u">3. Ab&#x017F;chnitt.</hi></hi></note>ge&#x017F;ponnene Schick&#x017F;al, die Götterverheißungen würden &#x017F;ich<lb/>
aber erfüllen durch das Kind vom Hau&#x017F;e E&#x017F;te-Borgia <note place="foot" n="1)">Es i&#x017F;t der &#x017F;pätere Ercole <hi rendition="#aq">II.</hi> von Ferrara, geb. 4. April 1508,<lb/>
wahr&#x017F;cheinlich kurz vor oder nach Abfa&#x017F;&#x017F;ung die&#x017F;es Gedichtes. <hi rendition="#aq">Nas-<lb/>
cere magne puer matri exspectate patrique,</hi> heißt es gegen<lb/>
Ende.</note>;<lb/>
nachdem er die abenteuerliche Urge&#x017F;chichte beider Familien<lb/>
erzählt, betheuert er, dem Ce&#x017F;are &#x017F;o wenig die Unvergäng-<lb/>
lichkeit &#x017F;chenken zu können als ein&#x017F;t &#x2014; trotz großer Für-<lb/>
bitten &#x2014; einem Memnon oder Achill; endlich &#x017F;chließt er<lb/>
mit dem Tro&#x017F;te, Ce&#x017F;are werde vorher noch im Krieg viele<lb/>
Leute umbringen. Nun geht Mars nach Neapel und be-<lb/>
reitet Krieg und Streit, Pallas aber eilt nach Nepi und<lb/>
er&#x017F;cheint dort dem kranken Ce&#x017F;are unter der Ge&#x017F;talt Alexan-<lb/>
ders <hi rendition="#aq">VI.;</hi> nach einigen Vermahnungen, &#x017F;ich zu &#x017F;chicken und<lb/>
&#x017F;ich mit dem Ruhme &#x017F;eines Namens zu begnügen, ver-<lb/>
&#x017F;chwindet die päp&#x017F;tliche Göttinn &#x201E;wie ein Vogel&#x201C;.</p><lb/>
        <p>Man verzichtet indeß unnützer Wei&#x017F;e auf einen bis-<lb/>
weilen großen Genuß, wenn man Alles perhorrescirt, worein<lb/>
antike Mythologie wohl oder übel verwoben i&#x017F;t; bisweilen<lb/>
hat die Kun&#x017F;t die&#x017F;en an &#x017F;ich conventionellen Be&#x017F;tandtheil<lb/>
&#x017F;o &#x017F;ehr geadelt als in Malerei und Sculptur. Auch fehlt<lb/>
es &#x017F;ogar für den Liebhaber nicht an Anfängen der Parodie<lb/>
(S. 160) z. B. in der Macaroneide, wozu dann das komi&#x017F;che<lb/>
Götterfe&#x017F;t des Giovanni Bellini bereits eine Parallele<lb/>
bildet.</p><lb/>
        <p><note place="left">Berechtigung d.<lb/>
poeti&#x017F;chen<lb/>
Form für Zeit-<lb/>
ge&#x017F;chichte.</note>Manche erzählende Gedichte in Hexametern &#x017F;ind auch<lb/>
bloße Exercitien oder Bearbeitungen von Relationen in<lb/>
Pro&#x017F;a, welche letztere der Le&#x017F;er vorziehen wird, wo er &#x017F;ie<lb/>
findet. Am Ende wurde bekanntlich Alles, jede Fehde und<lb/>
jede Ceremonie be&#x017F;ungen, auch von den deut&#x017F;chen Huma-<lb/>
ni&#x017F;ten der Reformationszeit <note place="foot" n="2)">Vgl. die Sammlungen der Scriptores von Schardius, Freher &#xA75B;c.</note>. Indeß würde man Unrecht<lb/>
thun, dieß bloß dem Mü&#x017F;&#x017F;iggang und der übergroßen Leich-<lb/>
tigkeit im Ver&#x017F;emachen zuzu&#x017F;chreiben. Bei den Italienern<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[258/0268] geſponnene Schickſal, die Götterverheißungen würden ſich aber erfüllen durch das Kind vom Hauſe Eſte-Borgia 1); nachdem er die abenteuerliche Urgeſchichte beider Familien erzählt, betheuert er, dem Ceſare ſo wenig die Unvergäng- lichkeit ſchenken zu können als einſt — trotz großer Für- bitten — einem Memnon oder Achill; endlich ſchließt er mit dem Troſte, Ceſare werde vorher noch im Krieg viele Leute umbringen. Nun geht Mars nach Neapel und be- reitet Krieg und Streit, Pallas aber eilt nach Nepi und erſcheint dort dem kranken Ceſare unter der Geſtalt Alexan- ders VI.; nach einigen Vermahnungen, ſich zu ſchicken und ſich mit dem Ruhme ſeines Namens zu begnügen, ver- ſchwindet die päpſtliche Göttinn „wie ein Vogel“. 3. Abſchnitt. Man verzichtet indeß unnützer Weiſe auf einen bis- weilen großen Genuß, wenn man Alles perhorrescirt, worein antike Mythologie wohl oder übel verwoben iſt; bisweilen hat die Kunſt dieſen an ſich conventionellen Beſtandtheil ſo ſehr geadelt als in Malerei und Sculptur. Auch fehlt es ſogar für den Liebhaber nicht an Anfängen der Parodie (S. 160) z. B. in der Macaroneide, wozu dann das komiſche Götterfeſt des Giovanni Bellini bereits eine Parallele bildet. Manche erzählende Gedichte in Hexametern ſind auch bloße Exercitien oder Bearbeitungen von Relationen in Proſa, welche letztere der Leſer vorziehen wird, wo er ſie findet. Am Ende wurde bekanntlich Alles, jede Fehde und jede Ceremonie beſungen, auch von den deutſchen Huma- niſten der Reformationszeit 2). Indeß würde man Unrecht thun, dieß bloß dem Müſſiggang und der übergroßen Leich- tigkeit im Verſemachen zuzuſchreiben. Bei den Italienern Berechtigung d. poetiſchen Form für Zeit- geſchichte. 1) Es iſt der ſpätere Ercole II. von Ferrara, geb. 4. April 1508, wahrſcheinlich kurz vor oder nach Abfaſſung dieſes Gedichtes. Nas- cere magne puer matri exspectate patrique, heißt es gegen Ende. 2) Vgl. die Sammlungen der Scriptores von Schardius, Freher ꝛc.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/268
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/268>, abgerufen am 22.11.2024.