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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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Bekannte wieder und lerne immer Vieles was mir dient,4. Abschnitt.
in und an Palästen, Gärten, Alterthümern, Stadtanlagen,Luigi Cornaro.
Kirchen und Festungswerken. Vor Allem aber entzückt mich
auf der Reise die Schönheit der Gegenden und der Ort-
schaften, wie sie bald in der Ebene, bald auf Hügeln, an
Flüssen und Bächen mit ihren Landhäusern und Gärten
ringsum da liegen. Und diese meine Genüsse werden mir
nicht geschmälert durch Abnahme des Auges oder des
Ohres; alle meine Sinne sind Gott sei Dank in vollkom-
men gutem Zustande, auch der Geschmack, indem mir jetzt
das Wenige und Einfache, was ich zu mir nehme, besser
schmeckt, als einst die Leckerbissen zur Zeit da ich unordent-
lich lebte."

Nachdem er hierauf die von ihm für die Republik
betriebenen Entsumpfungsarbeiten und die von ihm beharr-
lich vorgeschlagenen Projecte zur Erhaltung der Lagunen
erwähnt hat, schließt er: "Dieß sind die wahren Erholungen
eines durch Gottes Hülfe gesunden Alters, das von jenen
geistigen und körperlichen Leiden frei ist, welchen so manche
jüngere Leute und so manche hinsiechende Greise unterliegen.
Und wenn es erlaubt ist, zum Großen das Geringe, zum
Ernst den Scherz hinzuzufügen, so ist auch das eine Frucht
meines mäßigen Lebens, daß ich in diesem meinem 83sten
Altersjahre noch eine sehr ergötzliche Comödie voll ehrbarer
Spaßhaftigkeit geschrieben habe. Dergleichen ist sonst Sache
der Jugend, wie die Tragödie Sache des Alters; wenn
man es nun jenem berühmten Griechen zum Ruhm an-
rechnet, daß er noch im 73sten Jahre eine Tragödie ge-
dichtet, muß ich nicht mit zehn Jahren darüber gesunder und
heiterer sein als Jener damals war? -- Und damit der
Fülle meines Alters kein Trost fehle, sehe ich eine Art leib-
licher Unsterblichkeit in Gestalt meiner Nachkommenschaft
vor Augen. Wenn ich nach Hause komme, habe ich nicht
einen oder zwei, sondern eilf Enkel vor mir, zwischen zwei
und achtzehn Jahren, alle von einem Vater und einer

Cultur der Renaissance. 22

Bekannte wieder und lerne immer Vieles was mir dient,4. Abſchnitt.
in und an Paläſten, Gärten, Alterthümern, Stadtanlagen,Luigi Cornaro.
Kirchen und Feſtungswerken. Vor Allem aber entzückt mich
auf der Reiſe die Schönheit der Gegenden und der Ort-
ſchaften, wie ſie bald in der Ebene, bald auf Hügeln, an
Flüſſen und Bächen mit ihren Landhäuſern und Gärten
ringsum da liegen. Und dieſe meine Genüſſe werden mir
nicht geſchmälert durch Abnahme des Auges oder des
Ohres; alle meine Sinne ſind Gott ſei Dank in vollkom-
men gutem Zuſtande, auch der Geſchmack, indem mir jetzt
das Wenige und Einfache, was ich zu mir nehme, beſſer
ſchmeckt, als einſt die Leckerbiſſen zur Zeit da ich unordent-
lich lebte.“

Nachdem er hierauf die von ihm für die Republik
betriebenen Entſumpfungsarbeiten und die von ihm beharr-
lich vorgeſchlagenen Projecte zur Erhaltung der Lagunen
erwähnt hat, ſchließt er: „Dieß ſind die wahren Erholungen
eines durch Gottes Hülfe geſunden Alters, das von jenen
geiſtigen und körperlichen Leiden frei iſt, welchen ſo manche
jüngere Leute und ſo manche hinſiechende Greiſe unterliegen.
Und wenn es erlaubt iſt, zum Großen das Geringe, zum
Ernſt den Scherz hinzuzufügen, ſo iſt auch das eine Frucht
meines mäßigen Lebens, daß ich in dieſem meinem 83ſten
Altersjahre noch eine ſehr ergötzliche Comödie voll ehrbarer
Spaßhaftigkeit geſchrieben habe. Dergleichen iſt ſonſt Sache
der Jugend, wie die Tragödie Sache des Alters; wenn
man es nun jenem berühmten Griechen zum Ruhm an-
rechnet, daß er noch im 73ſten Jahre eine Tragödie ge-
dichtet, muß ich nicht mit zehn Jahren darüber geſunder und
heiterer ſein als Jener damals war? — Und damit der
Fülle meines Alters kein Troſt fehle, ſehe ich eine Art leib-
licher Unſterblichkeit in Geſtalt meiner Nachkommenſchaft
vor Augen. Wenn ich nach Hauſe komme, habe ich nicht
einen oder zwei, ſondern eilf Enkel vor mir, zwiſchen zwei
und achtzehn Jahren, alle von einem Vater und einer

Cultur der Renaiſſance. 22
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[337/0347] Bekannte wieder und lerne immer Vieles was mir dient, in und an Paläſten, Gärten, Alterthümern, Stadtanlagen, Kirchen und Feſtungswerken. Vor Allem aber entzückt mich auf der Reiſe die Schönheit der Gegenden und der Ort- ſchaften, wie ſie bald in der Ebene, bald auf Hügeln, an Flüſſen und Bächen mit ihren Landhäuſern und Gärten ringsum da liegen. Und dieſe meine Genüſſe werden mir nicht geſchmälert durch Abnahme des Auges oder des Ohres; alle meine Sinne ſind Gott ſei Dank in vollkom- men gutem Zuſtande, auch der Geſchmack, indem mir jetzt das Wenige und Einfache, was ich zu mir nehme, beſſer ſchmeckt, als einſt die Leckerbiſſen zur Zeit da ich unordent- lich lebte.“ 4. Abſchnitt. Luigi Cornaro. Nachdem er hierauf die von ihm für die Republik betriebenen Entſumpfungsarbeiten und die von ihm beharr- lich vorgeſchlagenen Projecte zur Erhaltung der Lagunen erwähnt hat, ſchließt er: „Dieß ſind die wahren Erholungen eines durch Gottes Hülfe geſunden Alters, das von jenen geiſtigen und körperlichen Leiden frei iſt, welchen ſo manche jüngere Leute und ſo manche hinſiechende Greiſe unterliegen. Und wenn es erlaubt iſt, zum Großen das Geringe, zum Ernſt den Scherz hinzuzufügen, ſo iſt auch das eine Frucht meines mäßigen Lebens, daß ich in dieſem meinem 83ſten Altersjahre noch eine ſehr ergötzliche Comödie voll ehrbarer Spaßhaftigkeit geſchrieben habe. Dergleichen iſt ſonſt Sache der Jugend, wie die Tragödie Sache des Alters; wenn man es nun jenem berühmten Griechen zum Ruhm an- rechnet, daß er noch im 73ſten Jahre eine Tragödie ge- dichtet, muß ich nicht mit zehn Jahren darüber geſunder und heiterer ſein als Jener damals war? — Und damit der Fülle meines Alters kein Troſt fehle, ſehe ich eine Art leib- licher Unſterblichkeit in Geſtalt meiner Nachkommenſchaft vor Augen. Wenn ich nach Hauſe komme, habe ich nicht einen oder zwei, ſondern eilf Enkel vor mir, zwiſchen zwei und achtzehn Jahren, alle von einem Vater und einer Cultur der Renaiſſance. 22

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/347>, abgerufen am 21.11.2024.