Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

Bild:
<< vorherige Seite

auch Schriftsteller auf, welche sämmtliche wichtigere Städte4. Abschnitt.
und Bevölkerungen theils ernsthaft neben einander beschrie-
ben, theils witzig verspotteten, auch wohl so besprachen, daß
Ernst und Spott nicht scharf von einander zu trennen sind.

Nächst einigen berühmten Stellen in der Divina Com-Dittamondo.
media kommt der Dittamondo des Uberti in Betracht (um
1360). Hier werden hauptsächlich nur einzelne auffallende
Erscheinungen und Wahrzeichen namhaft gemacht: das
Krähenfest zu St. Apollinare in Ravenna, die Brunnen in
Treviso, der große Keller bei Vicenza, die hohen Zölle von
Mantua, der Wald von Thürmen in Lucca; doch finden
sich dazwischen auch Lobeserhebungen und anzügliche Kriti-
ken anderer Art; Arezzo figurirt bereits mit dem subtilen
Ingenium seiner Stadtkinder, Genua mit den künstlich ge-
schwärzten Augen und Zähnen (?) der Weiber, Bologna
mit dem Geldverthun, Bergamo mit dem groben Dialect
und den gescheidten Köpfen u. dgl. 1). Im XV. Jahr-
hundert rühmt dann Jeder seine eigene Heimath auch auf
Kosten anderer Städte. Michele Savonarola z. B. läßt
neben seinem Padua nur Venedig und Rom als herrlicher,
Florenz höchstens als fröhlicher gelten 2), womit denn na-
türlich der objectiven Erkenntniß wenig gedient war. Am
Ende des Jahrhunderts schildert Jovianus Pontanus in
seinem "Antonius" eine fingirte Reise durch Italien nur
um boshafte Bemerkungen dabei vorbringen zu können.Schilderungen
des
XVI. Jahrh.

Aber mit dem XVI. Jahrhundert beginnt eine Reihe
wahrer und tiefer Characteristiken 3) wie sie damals wohl

Murat. X.) den merkwürdigen Auonymus De laudibus Papiae,
aus dem XIV. Jahrh.
1) Ueber Paris, welches damals noch dem Italiener vom Mittelalter
her weit mehr galt als hundert Jahre später, s. Dittamondo IV,
cap. 18
.
2) Savonarola, bei Murat. XXIV, Col. 1186. -- Ueber Venedig
s. oben S. 62.
3) Der Character der rastlos thätigen Bergamasken voll Argwohn
22*

auch Schriftſteller auf, welche ſämmtliche wichtigere Städte4. Abſchnitt.
und Bevölkerungen theils ernſthaft neben einander beſchrie-
ben, theils witzig verſpotteten, auch wohl ſo beſprachen, daß
Ernſt und Spott nicht ſcharf von einander zu trennen ſind.

Nächſt einigen berühmten Stellen in der Divina Com-Dittamondo.
media kommt der Dittamondo des Uberti in Betracht (um
1360). Hier werden hauptſächlich nur einzelne auffallende
Erſcheinungen und Wahrzeichen namhaft gemacht: das
Krähenfeſt zu St. Apollinare in Ravenna, die Brunnen in
Treviſo, der große Keller bei Vicenza, die hohen Zölle von
Mantua, der Wald von Thürmen in Lucca; doch finden
ſich dazwiſchen auch Lobeserhebungen und anzügliche Kriti-
ken anderer Art; Arezzo figurirt bereits mit dem ſubtilen
Ingenium ſeiner Stadtkinder, Genua mit den künſtlich ge-
ſchwärzten Augen und Zähnen (?) der Weiber, Bologna
mit dem Geldverthun, Bergamo mit dem groben Dialect
und den geſcheidten Köpfen u. dgl. 1). Im XV. Jahr-
hundert rühmt dann Jeder ſeine eigene Heimath auch auf
Koſten anderer Städte. Michele Savonarola z. B. läßt
neben ſeinem Padua nur Venedig und Rom als herrlicher,
Florenz höchſtens als fröhlicher gelten 2), womit denn na-
türlich der objectiven Erkenntniß wenig gedient war. Am
Ende des Jahrhunderts ſchildert Jovianus Pontanus in
ſeinem „Antonius“ eine fingirte Reiſe durch Italien nur
um boshafte Bemerkungen dabei vorbringen zu können.Schilderungen
des
XVI. Jahrh.

Aber mit dem XVI. Jahrhundert beginnt eine Reihe
wahrer und tiefer Characteriſtiken 3) wie ſie damals wohl

Murat. X.) den merkwürdigen Auonymus De laudibus Papiæ,
aus dem XIV. Jahrh.
1) Ueber Paris, welches damals noch dem Italiener vom Mittelalter
her weit mehr galt als hundert Jahre ſpäter, ſ. Dittamondo IV,
cap. 18
.
2) Savonarola, bei Murat. XXIV, Col. 1186. — Ueber Venedig
ſ. oben S. 62.
3) Der Character der raſtlos thätigen Bergamasken voll Argwohn
22*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0349" n="339"/>
auch Schrift&#x017F;teller auf, welche &#x017F;ämmtliche wichtigere Städte<note place="right"><hi rendition="#b"><hi rendition="#u">4. Ab&#x017F;chnitt.</hi></hi></note><lb/>
und Bevölkerungen theils ern&#x017F;thaft neben einander be&#x017F;chrie-<lb/>
ben, theils witzig ver&#x017F;potteten, auch wohl &#x017F;o be&#x017F;prachen, daß<lb/>
Ern&#x017F;t und Spott nicht &#x017F;charf von einander zu trennen &#x017F;ind.</p><lb/>
        <p>Näch&#x017F;t einigen berühmten Stellen in der Divina Com-<note place="right">Dittamondo.</note><lb/>
media kommt der Dittamondo des Uberti in Betracht (um<lb/>
1360). Hier werden haupt&#x017F;ächlich nur einzelne auffallende<lb/>
Er&#x017F;cheinungen und Wahrzeichen namhaft gemacht: das<lb/>
Krähenfe&#x017F;t zu St. Apollinare in Ravenna, die Brunnen in<lb/>
Trevi&#x017F;o, der große Keller bei Vicenza, die hohen Zölle von<lb/>
Mantua, der Wald von Thürmen in Lucca; doch finden<lb/>
&#x017F;ich dazwi&#x017F;chen auch Lobeserhebungen und anzügliche Kriti-<lb/>
ken anderer Art; Arezzo figurirt bereits mit dem &#x017F;ubtilen<lb/>
Ingenium &#x017F;einer Stadtkinder, Genua mit den kün&#x017F;tlich ge-<lb/>
&#x017F;chwärzten Augen und Zähnen (?) der Weiber, Bologna<lb/>
mit dem Geldverthun, Bergamo mit dem groben Dialect<lb/>
und den ge&#x017F;cheidten Köpfen u. dgl. <note place="foot" n="1)">Ueber Paris, welches damals noch dem Italiener vom Mittelalter<lb/>
her weit mehr galt als hundert Jahre &#x017F;päter, &#x017F;. <hi rendition="#aq">Dittamondo IV,<lb/>
cap. 18</hi>.</note>. Im <hi rendition="#aq">XV.</hi> Jahr-<lb/>
hundert rühmt dann Jeder &#x017F;eine eigene Heimath auch auf<lb/>
Ko&#x017F;ten anderer Städte. Michele Savonarola z. B. läßt<lb/>
neben &#x017F;einem Padua nur Venedig und Rom als herrlicher,<lb/>
Florenz höch&#x017F;tens als fröhlicher gelten <note place="foot" n="2)"><hi rendition="#aq">Savonarola</hi>, bei <hi rendition="#aq">Murat. XXIV, Col. 1186</hi>. &#x2014; Ueber Venedig<lb/>
&#x017F;. oben S. 62.</note>, womit denn na-<lb/>
türlich der objectiven Erkenntniß wenig gedient war. Am<lb/>
Ende des Jahrhunderts &#x017F;childert Jovianus Pontanus in<lb/>
&#x017F;einem &#x201E;Antonius&#x201C; eine fingirte Rei&#x017F;e durch Italien nur<lb/>
um boshafte Bemerkungen dabei vorbringen zu können.<note place="right">Schilderungen<lb/>
des<lb/><hi rendition="#aq">XVI.</hi> Jahrh.</note><lb/>
Aber mit dem <hi rendition="#aq">XVI.</hi> Jahrhundert beginnt eine Reihe<lb/>
wahrer und tiefer Characteri&#x017F;tiken <note xml:id="seg2pn_22_1" next="#seg2pn_22_2" place="foot" n="3)">Der Character der ra&#x017F;tlos thätigen Bergamasken voll Argwohn</note> wie &#x017F;ie damals wohl<lb/><note xml:id="seg2pn_21_2" prev="#seg2pn_21_1" place="foot" n="1)"><hi rendition="#aq">Murat. X.)</hi> den merkwürdigen Auonymus <hi rendition="#aq">De laudibus Papiæ</hi>,<lb/>
aus dem <hi rendition="#aq">XIV.</hi> Jahrh.</note><lb/>
<fw place="bottom" type="sig">22*</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[339/0349] auch Schriftſteller auf, welche ſämmtliche wichtigere Städte und Bevölkerungen theils ernſthaft neben einander beſchrie- ben, theils witzig verſpotteten, auch wohl ſo beſprachen, daß Ernſt und Spott nicht ſcharf von einander zu trennen ſind. 4. Abſchnitt. Nächſt einigen berühmten Stellen in der Divina Com- media kommt der Dittamondo des Uberti in Betracht (um 1360). Hier werden hauptſächlich nur einzelne auffallende Erſcheinungen und Wahrzeichen namhaft gemacht: das Krähenfeſt zu St. Apollinare in Ravenna, die Brunnen in Treviſo, der große Keller bei Vicenza, die hohen Zölle von Mantua, der Wald von Thürmen in Lucca; doch finden ſich dazwiſchen auch Lobeserhebungen und anzügliche Kriti- ken anderer Art; Arezzo figurirt bereits mit dem ſubtilen Ingenium ſeiner Stadtkinder, Genua mit den künſtlich ge- ſchwärzten Augen und Zähnen (?) der Weiber, Bologna mit dem Geldverthun, Bergamo mit dem groben Dialect und den geſcheidten Köpfen u. dgl. 1). Im XV. Jahr- hundert rühmt dann Jeder ſeine eigene Heimath auch auf Koſten anderer Städte. Michele Savonarola z. B. läßt neben ſeinem Padua nur Venedig und Rom als herrlicher, Florenz höchſtens als fröhlicher gelten 2), womit denn na- türlich der objectiven Erkenntniß wenig gedient war. Am Ende des Jahrhunderts ſchildert Jovianus Pontanus in ſeinem „Antonius“ eine fingirte Reiſe durch Italien nur um boshafte Bemerkungen dabei vorbringen zu können. Aber mit dem XVI. Jahrhundert beginnt eine Reihe wahrer und tiefer Characteriſtiken 3) wie ſie damals wohl 1) Dittamondo. Schilderungen des XVI. Jahrh. 1) Ueber Paris, welches damals noch dem Italiener vom Mittelalter her weit mehr galt als hundert Jahre ſpäter, ſ. Dittamondo IV, cap. 18. 2) Savonarola, bei Murat. XXIV, Col. 1186. — Ueber Venedig ſ. oben S. 62. 3) Der Character der raſtlos thätigen Bergamasken voll Argwohn 1) Murat. X.) den merkwürdigen Auonymus De laudibus Papiæ, aus dem XIV. Jahrh. 22*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/349
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/349>, abgerufen am 21.11.2024.