Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

Bild:
<< vorherige Seite

5. Abschnittmäßigkeit und dem Anstand richtet und das gerade Gegen-
theil von aller bloßen Etikette ist. In derbern Lebenskreisen,
wo dergleichen den Character einer dauernden Corporation
annahm, gab es Statuten und förmlichen Eintritt, wie
z. B. bei jenen tollen Gesellschaften florentinischer Künstler,
von welchen Vasari erzählt 1); ein solches Beisammenbleiben
machte denn auch die Aufführung der wichtigsten damaligen
Comödien möglich. Die leichtere Geselligkeit des Augen-
blickes dagegen nahm gerne die Vorschriften an, welche etwa
die namhafteste Dame aussprach. Alle Welt kennt den
Eingang von Boccaccio's Decamerone und hält das König-
thum der Pampinea über die Gesellschaft für eine ange-
nehme Fiction; um eine solche handelt es sich auch gewiß
in diesem Falle, allein dieselbe beruht auf einer häufig
vorkommenden wirklichen Uebung. Firenzuola, der fast
zwei Jahrhunderte später seine Novellensammlung auf
ähnliche Weise einleitet, kommt gewiß der Wirklichkeit noch
viel näher, indem er seiner Gesellschaftskönigin eine förmliche
Thronrede in den Mund legt, über die Eintheilung der
Zeit während des bevorstehenden gemeinsamen Landaufent-
haltes: zuerst eine philosophische Morgenstunde während
man nach einer Anhöhe spaziert; dann die Tafel 2) mit
Lautenspiel und Gesang; darauf, in einem kühlen Raum,
Die Novellisten
und ihre
Zuhörerschaft.
die Recitation einer frischen Canzone deren Thema jedes-
mal am Vorabend aufgegeben wird; ein abendlicher Spa-
ziergang zu einer Quelle, wo man Platz nimmt und Jedermann

1) Vasari XII, p. 9 und 11, Vita di Rustici. -- Dazu die me-
disante Clique von verlumpten Künstlern, XI, 216, s. Vita
d'Aristotele.
-- Macchiavell's Capitoli für eine Vergnügensgesell-
schaft (in den opere minori p. 407) sind eine komische Caricatur
von Gesellschaftsstatuten, im Styl der verkehrten Welt. -- Unver-
gleichlich ist und bleibt die bekannte Schilderung jenes römischen
Künstlerabends bei Benvenuto Cellini, I, cap. 30.
2) Die man sich wohl Vormittags um 10--11 Uhr zu denken hat.
Vgl. Bandello, Parte II, Nov. 10.

5. Abſchnittmäßigkeit und dem Anſtand richtet und das gerade Gegen-
theil von aller bloßen Etikette iſt. In derbern Lebenskreiſen,
wo dergleichen den Character einer dauernden Corporation
annahm, gab es Statuten und förmlichen Eintritt, wie
z. B. bei jenen tollen Geſellſchaften florentiniſcher Künſtler,
von welchen Vaſari erzählt 1); ein ſolches Beiſammenbleiben
machte denn auch die Aufführung der wichtigſten damaligen
Comödien möglich. Die leichtere Geſelligkeit des Augen-
blickes dagegen nahm gerne die Vorſchriften an, welche etwa
die namhafteſte Dame ausſprach. Alle Welt kennt den
Eingang von Boccaccio's Decamerone und hält das König-
thum der Pampinea über die Geſellſchaft für eine ange-
nehme Fiction; um eine ſolche handelt es ſich auch gewiß
in dieſem Falle, allein dieſelbe beruht auf einer häufig
vorkommenden wirklichen Uebung. Firenzuola, der faſt
zwei Jahrhunderte ſpäter ſeine Novellenſammlung auf
ähnliche Weiſe einleitet, kommt gewiß der Wirklichkeit noch
viel näher, indem er ſeiner Geſellſchaftskönigin eine förmliche
Thronrede in den Mund legt, über die Eintheilung der
Zeit während des bevorſtehenden gemeinſamen Landaufent-
haltes: zuerſt eine philoſophiſche Morgenſtunde während
man nach einer Anhöhe ſpaziert; dann die Tafel 2) mit
Lautenſpiel und Geſang; darauf, in einem kühlen Raum,
Die Novelliſten
und ihre
Zuhörerſchaft.
die Recitation einer friſchen Canzone deren Thema jedes-
mal am Vorabend aufgegeben wird; ein abendlicher Spa-
ziergang zu einer Quelle, wo man Platz nimmt und Jedermann

1) Vasari XII, p. 9 und 11, Vita di Rustici. — Dazu die me-
diſante Clique von verlumpten Künſtlern, XI, 216, s. Vita
d'Aristotele.
— Macchiavell's Capitoli für eine Vergnügensgeſell-
ſchaft (in den opere minori p. 407) ſind eine komiſche Caricatur
von Geſellſchaftsſtatuten, im Styl der verkehrten Welt. — Unver-
gleichlich iſt und bleibt die bekannte Schilderung jenes römiſchen
Künſtlerabends bei Benvenuto Cellini, I, cap. 30.
2) Die man ſich wohl Vormittags um 10—11 Uhr zu denken hat.
Vgl. Bandello, Parte II, Nov. 10.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0390" n="380"/><note place="left"><hi rendition="#b"><hi rendition="#u">5. Ab&#x017F;chnitt</hi></hi></note>mäßigkeit und dem An&#x017F;tand richtet und das gerade Gegen-<lb/>
theil von aller bloßen Etikette i&#x017F;t. In derbern Lebenskrei&#x017F;en,<lb/>
wo dergleichen den Character einer dauernden Corporation<lb/>
annahm, gab es Statuten und förmlichen Eintritt, wie<lb/>
z. B. bei jenen tollen Ge&#x017F;ell&#x017F;chaften florentini&#x017F;cher Kün&#x017F;tler,<lb/>
von welchen Va&#x017F;ari erzählt <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#aq">Vasari XII, p.</hi> 9 und 11, <hi rendition="#aq">Vita di Rustici.</hi> &#x2014; Dazu die me-<lb/>
di&#x017F;ante Clique von verlumpten Kün&#x017F;tlern, <hi rendition="#aq">XI, 216, s. Vita<lb/>
d'Aristotele.</hi> &#x2014; Macchiavell's Capitoli für eine Vergnügensge&#x017F;ell-<lb/>
&#x017F;chaft (in den <hi rendition="#aq">opere minori p.</hi> 407) &#x017F;ind eine komi&#x017F;che Caricatur<lb/>
von Ge&#x017F;ell&#x017F;chafts&#x017F;tatuten, im Styl der verkehrten Welt. &#x2014; Unver-<lb/>
gleichlich i&#x017F;t und bleibt die bekannte Schilderung jenes römi&#x017F;chen<lb/>
Kün&#x017F;tlerabends bei Benvenuto Cellini, <hi rendition="#aq">I, cap.</hi> 30.</note>; ein &#x017F;olches Bei&#x017F;ammenbleiben<lb/>
machte denn auch die Aufführung der wichtig&#x017F;ten damaligen<lb/>
Comödien möglich. Die leichtere Ge&#x017F;elligkeit des Augen-<lb/>
blickes dagegen nahm gerne die Vor&#x017F;chriften an, welche etwa<lb/>
die namhafte&#x017F;te Dame aus&#x017F;prach. Alle Welt kennt den<lb/>
Eingang von Boccaccio's Decamerone und hält das König-<lb/>
thum der Pampinea über die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft für eine ange-<lb/>
nehme Fiction; um eine &#x017F;olche handelt es &#x017F;ich auch gewiß<lb/>
in die&#x017F;em Falle, allein die&#x017F;elbe beruht auf einer häufig<lb/>
vorkommenden wirklichen Uebung. Firenzuola, der fa&#x017F;t<lb/>
zwei Jahrhunderte &#x017F;päter &#x017F;eine Novellen&#x017F;ammlung auf<lb/>
ähnliche Wei&#x017F;e einleitet, kommt gewiß der Wirklichkeit noch<lb/>
viel näher, indem er &#x017F;einer Ge&#x017F;ell&#x017F;chaftskönigin eine förmliche<lb/>
Thronrede in den Mund legt, über die Eintheilung der<lb/>
Zeit während des bevor&#x017F;tehenden gemein&#x017F;amen Landaufent-<lb/>
haltes: zuer&#x017F;t eine philo&#x017F;ophi&#x017F;che Morgen&#x017F;tunde während<lb/>
man nach einer Anhöhe &#x017F;paziert; dann die Tafel <note place="foot" n="2)">Die man &#x017F;ich wohl Vormittags um 10&#x2014;11 Uhr zu denken hat.<lb/>
Vgl. <hi rendition="#aq">Bandello, Parte II, Nov.</hi> 10.</note> mit<lb/>
Lauten&#x017F;piel und Ge&#x017F;ang; darauf, in einem kühlen Raum,<lb/><note place="left">Die Novelli&#x017F;ten<lb/>
und ihre<lb/>
Zuhörer&#x017F;chaft.</note>die Recitation einer fri&#x017F;chen Canzone deren Thema jedes-<lb/>
mal am Vorabend aufgegeben wird; ein abendlicher Spa-<lb/>
ziergang zu einer Quelle, wo man Platz nimmt und Jedermann<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[380/0390] mäßigkeit und dem Anſtand richtet und das gerade Gegen- theil von aller bloßen Etikette iſt. In derbern Lebenskreiſen, wo dergleichen den Character einer dauernden Corporation annahm, gab es Statuten und förmlichen Eintritt, wie z. B. bei jenen tollen Geſellſchaften florentiniſcher Künſtler, von welchen Vaſari erzählt 1); ein ſolches Beiſammenbleiben machte denn auch die Aufführung der wichtigſten damaligen Comödien möglich. Die leichtere Geſelligkeit des Augen- blickes dagegen nahm gerne die Vorſchriften an, welche etwa die namhafteſte Dame ausſprach. Alle Welt kennt den Eingang von Boccaccio's Decamerone und hält das König- thum der Pampinea über die Geſellſchaft für eine ange- nehme Fiction; um eine ſolche handelt es ſich auch gewiß in dieſem Falle, allein dieſelbe beruht auf einer häufig vorkommenden wirklichen Uebung. Firenzuola, der faſt zwei Jahrhunderte ſpäter ſeine Novellenſammlung auf ähnliche Weiſe einleitet, kommt gewiß der Wirklichkeit noch viel näher, indem er ſeiner Geſellſchaftskönigin eine förmliche Thronrede in den Mund legt, über die Eintheilung der Zeit während des bevorſtehenden gemeinſamen Landaufent- haltes: zuerſt eine philoſophiſche Morgenſtunde während man nach einer Anhöhe ſpaziert; dann die Tafel 2) mit Lautenſpiel und Geſang; darauf, in einem kühlen Raum, die Recitation einer friſchen Canzone deren Thema jedes- mal am Vorabend aufgegeben wird; ein abendlicher Spa- ziergang zu einer Quelle, wo man Platz nimmt und Jedermann 5. Abſchnitt Die Novelliſten und ihre Zuhörerſchaft. 1) Vasari XII, p. 9 und 11, Vita di Rustici. — Dazu die me- diſante Clique von verlumpten Künſtlern, XI, 216, s. Vita d'Aristotele. — Macchiavell's Capitoli für eine Vergnügensgeſell- ſchaft (in den opere minori p. 407) ſind eine komiſche Caricatur von Geſellſchaftsſtatuten, im Styl der verkehrten Welt. — Unver- gleichlich iſt und bleibt die bekannte Schilderung jenes römiſchen Künſtlerabends bei Benvenuto Cellini, I, cap. 30. 2) Die man ſich wohl Vormittags um 10—11 Uhr zu denken hat. Vgl. Bandello, Parte II, Nov. 10.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/390
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/390>, abgerufen am 24.11.2024.