Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

Bild:
<< vorherige Seite

also vor dem Eintreten der Siphylis -- zählte 1), kaum5. Abschnitt.
irgend ein Weib von Geist und höherm Talent hervortritt;
die oben genannten sind erst aus der nächstfolgenden Zeit.
Die Lebensweise, Moral und Philosophie der öffentlichen
Weiber, namentlich den raschen Wechsel von Genuß, Ge-
winnsucht und tieferer Leidenschaft, sowie die Heuchelei und
Teufelei Einzelner im spätern Alter schildert vielleicht am
besten Giraldi in den Novellen, welche die Einleitung zu
seinen Hecatommithi ausmachen; Pietro Aretino dagegen in
seinen Ragionamenti zeichnet wohl mehr sein eigenes In-
neres als das jener unglücklichen Classe, wie sie wirklich war.

Die Maitressen der Fürsten, wie schon oben (S. 53)Fürstliche
Maitressen.

bei Anlaß des Fürstenthums erörtert wurde, sind der Ge-
genstand von Dichtern und Künstlern und daher der Mit-
und Nachwelt persönlich bekannt, während man von einer
Alice Perries, einer Clara Dettin (Maitresse Friedrichs
des Siegreichen) kaum mehr als den Namen und von
Agnes Sorel eine eher fingirte als wahre Minnesage übrig hat.


Nach der Geselligkeit verdient auch das Hauswesen derDas
Hauswesen.

Renaissance einen Blick. Man ist im Allgemeinen geneigt,
das Familienleben der damaligen Italiener wegen der großen
Sittenlosigkeit als ein verlorenes zu betrachten, und diese
Seite der Frage wird im nächsten Abschnitt behandelt wer-
den. Einstweilen genügt es darauf hinzuweisen, daß die
eheliche Untreue dort bei Weitem nicht so zerstörend auf
die Familie wirkt wie im Norden, so lange dabei nur ge-
wisse Schranken nicht überschritten werden.

1) Infessura, bei Eccard, scriptores, II, Col. 1997. Es sind nur
die öffentlichen Weiber, nicht die Concubinen mitgerechnet. Die
Zahl ist übrigens im Verhältniß zur vermuthlichen Bevölkerung von
Rom enorm hoch, vielleicht durch einen Schreibfehler.

alſo vor dem Eintreten der Siphylis — zählte 1), kaum5. Abſchnitt.
irgend ein Weib von Geiſt und höherm Talent hervortritt;
die oben genannten ſind erſt aus der nächſtfolgenden Zeit.
Die Lebensweiſe, Moral und Philoſophie der öffentlichen
Weiber, namentlich den raſchen Wechſel von Genuß, Ge-
winnſucht und tieferer Leidenſchaft, ſowie die Heuchelei und
Teufelei Einzelner im ſpätern Alter ſchildert vielleicht am
beſten Giraldi in den Novellen, welche die Einleitung zu
ſeinen Hecatommithi ausmachen; Pietro Aretino dagegen in
ſeinen Ragionamenti zeichnet wohl mehr ſein eigenes In-
neres als das jener unglücklichen Claſſe, wie ſie wirklich war.

Die Maitreſſen der Fürſten, wie ſchon oben (S. 53)Fürſtliche
Maitreſſen.

bei Anlaß des Fürſtenthums erörtert wurde, ſind der Ge-
genſtand von Dichtern und Künſtlern und daher der Mit-
und Nachwelt perſönlich bekannt, während man von einer
Alice Perries, einer Clara Dettin (Maitreſſe Friedrichs
des Siegreichen) kaum mehr als den Namen und von
Agnes Sorel eine eher fingirte als wahre Minneſage übrig hat.


Nach der Geſelligkeit verdient auch das Hausweſen derDas
Hausweſen.

Renaiſſance einen Blick. Man iſt im Allgemeinen geneigt,
das Familienleben der damaligen Italiener wegen der großen
Sittenloſigkeit als ein verlorenes zu betrachten, und dieſe
Seite der Frage wird im nächſten Abſchnitt behandelt wer-
den. Einſtweilen genügt es darauf hinzuweiſen, daß die
eheliche Untreue dort bei Weitem nicht ſo zerſtörend auf
die Familie wirkt wie im Norden, ſo lange dabei nur ge-
wiſſe Schranken nicht überſchritten werden.

1) Infessura, bei Eccard, scriptores, II, Col. 1997. Es ſind nur
die öffentlichen Weiber, nicht die Concubinen mitgerechnet. Die
Zahl iſt übrigens im Verhältniß zur vermuthlichen Bevölkerung von
Rom enorm hoch, vielleicht durch einen Schreibfehler.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0407" n="397"/>
al&#x017F;o vor dem Eintreten der Siphylis &#x2014; zählte <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#aq">Infessura,</hi> bei <hi rendition="#aq">Eccard, scriptores, II, Col.</hi> 1997. Es &#x017F;ind nur<lb/>
die öffentlichen Weiber, nicht die Concubinen mitgerechnet. Die<lb/>
Zahl i&#x017F;t übrigens im Verhältniß zur vermuthlichen Bevölkerung von<lb/>
Rom enorm hoch, vielleicht durch einen Schreibfehler.</note>, kaum<note place="right"><hi rendition="#b"><hi rendition="#u">5. Ab&#x017F;chnitt.</hi></hi></note><lb/>
irgend ein Weib von Gei&#x017F;t und höherm Talent hervortritt;<lb/>
die oben genannten &#x017F;ind er&#x017F;t aus der näch&#x017F;tfolgenden Zeit.<lb/>
Die Lebenswei&#x017F;e, Moral und Philo&#x017F;ophie der öffentlichen<lb/>
Weiber, namentlich den ra&#x017F;chen Wech&#x017F;el von Genuß, Ge-<lb/>
winn&#x017F;ucht und tieferer Leiden&#x017F;chaft, &#x017F;owie die Heuchelei und<lb/>
Teufelei Einzelner im &#x017F;pätern Alter &#x017F;childert vielleicht am<lb/>
be&#x017F;ten Giraldi in den Novellen, welche die Einleitung zu<lb/>
&#x017F;einen Hecatommithi ausmachen; Pietro Aretino dagegen in<lb/>
&#x017F;einen Ragionamenti zeichnet wohl mehr &#x017F;ein eigenes In-<lb/>
neres als das jener unglücklichen Cla&#x017F;&#x017F;e, wie &#x017F;ie wirklich war.</p><lb/>
        <p>Die Maitre&#x017F;&#x017F;en der Für&#x017F;ten, wie &#x017F;chon oben (S. 53)<note place="right">Für&#x017F;tliche<lb/>
Maitre&#x017F;&#x017F;en.</note><lb/>
bei Anlaß des Für&#x017F;tenthums erörtert wurde, &#x017F;ind der Ge-<lb/>
gen&#x017F;tand von Dichtern und Kün&#x017F;tlern und daher der Mit-<lb/>
und Nachwelt per&#x017F;önlich bekannt, während man von einer<lb/>
Alice Perries, einer Clara Dettin (Maitre&#x017F;&#x017F;e Friedrichs<lb/>
des Siegreichen) kaum mehr als den Namen und von<lb/>
Agnes Sorel eine eher fingirte als wahre Minne&#x017F;age übrig hat.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>Nach der Ge&#x017F;elligkeit verdient auch das Hauswe&#x017F;en der<note place="right">Das<lb/>
Hauswe&#x017F;en.</note><lb/>
Renai&#x017F;&#x017F;ance einen Blick. Man i&#x017F;t im Allgemeinen geneigt,<lb/>
das Familienleben der damaligen Italiener wegen der großen<lb/>
Sittenlo&#x017F;igkeit als ein verlorenes zu betrachten, und die&#x017F;e<lb/>
Seite der Frage wird im näch&#x017F;ten Ab&#x017F;chnitt behandelt wer-<lb/>
den. Ein&#x017F;tweilen genügt es darauf hinzuwei&#x017F;en, daß die<lb/>
eheliche Untreue dort bei Weitem nicht &#x017F;o zer&#x017F;törend auf<lb/>
die Familie wirkt wie im Norden, &#x017F;o lange dabei nur ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;e Schranken nicht über&#x017F;chritten werden.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[397/0407] alſo vor dem Eintreten der Siphylis — zählte 1), kaum irgend ein Weib von Geiſt und höherm Talent hervortritt; die oben genannten ſind erſt aus der nächſtfolgenden Zeit. Die Lebensweiſe, Moral und Philoſophie der öffentlichen Weiber, namentlich den raſchen Wechſel von Genuß, Ge- winnſucht und tieferer Leidenſchaft, ſowie die Heuchelei und Teufelei Einzelner im ſpätern Alter ſchildert vielleicht am beſten Giraldi in den Novellen, welche die Einleitung zu ſeinen Hecatommithi ausmachen; Pietro Aretino dagegen in ſeinen Ragionamenti zeichnet wohl mehr ſein eigenes In- neres als das jener unglücklichen Claſſe, wie ſie wirklich war. 5. Abſchnitt. Die Maitreſſen der Fürſten, wie ſchon oben (S. 53) bei Anlaß des Fürſtenthums erörtert wurde, ſind der Ge- genſtand von Dichtern und Künſtlern und daher der Mit- und Nachwelt perſönlich bekannt, während man von einer Alice Perries, einer Clara Dettin (Maitreſſe Friedrichs des Siegreichen) kaum mehr als den Namen und von Agnes Sorel eine eher fingirte als wahre Minneſage übrig hat. Fürſtliche Maitreſſen. Nach der Geſelligkeit verdient auch das Hausweſen der Renaiſſance einen Blick. Man iſt im Allgemeinen geneigt, das Familienleben der damaligen Italiener wegen der großen Sittenloſigkeit als ein verlorenes zu betrachten, und dieſe Seite der Frage wird im nächſten Abſchnitt behandelt wer- den. Einſtweilen genügt es darauf hinzuweiſen, daß die eheliche Untreue dort bei Weitem nicht ſo zerſtörend auf die Familie wirkt wie im Norden, ſo lange dabei nur ge- wiſſe Schranken nicht überſchritten werden. Das Hausweſen. 1) Infessura, bei Eccard, scriptores, II, Col. 1997. Es ſind nur die öffentlichen Weiber, nicht die Concubinen mitgerechnet. Die Zahl iſt übrigens im Verhältniß zur vermuthlichen Bevölkerung von Rom enorm hoch, vielleicht durch einen Schreibfehler.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/407
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/407>, abgerufen am 22.11.2024.