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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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licher Leidenschaft, um der bloßen Zweckmäßigkeit willen6. Abschnitt.
auftritt, "damit andere Menschen lernen dich unangefochten
"zu lassen 1)". Doch werden solche Fälle eine kleine Minder-
zahl gewesen sein gegenüber von denjenigen, da die Leiden-
schaft Abkühlung suchte. Deutlich scheidet sich hier diese
Rache von der Blutrache; während letztere sich eher noch
innerhalb der Schranken der Vergeltung, des ius talionis
hält, geht die erstere nothwendig darüber hinaus, indem sie
nicht nur die Beistimmung des Rechtsgefühls verlangt, son-
dern die Bewunderer und je nach Umständen die Lacher
auf ihrer Seite haben will.

Hierin liegt denn auch der Grund des oft langen Auf-
schiebens. Zu einer "bella vendetta" gehört in der Regel
ein Zusammentreffen von Umständen, welches durchaus ab-
gewartet werden muß. Mit einer wahren Wonne schildern
die Novellisten hie und da das allmälige Heranreifen solcher
Gelegenheiten.

Ueber die Moralität von Handlungen, wobei KlägerRache u. Dank-
barkeit.

und Richter eine Person sind, braucht es weiter keines Ur-
theils. Wenn diese italienische Rachsucht sich irgendwie
rechtfertigen wollte, so müßte dieß geschehen durch den Nach-
weis einer entsprechenden nationalen Tugend, nämlich der
Dankbarkeit; dieselbe Phantasie, welche das erlittene Un-
recht auffrischt und vergrößert, müßte auch das empfangene
Gute im Andenken erhalten 2). Es wird niemals möglich
sein, einen solchen Nachweis im Namen des ganzen Volkes
zu führen, doch fehlt es nicht an Spuren dieser Art im
jetzigen italienischen Volkscharacter. Dahin gehört bei den
gemeinen Leuten die große Erkenntlichkeit für honette Be-
handlung und bei den höhern Ständen das gute gesell-
schaftliche Gedächtniß.

1) Guicciardini, Ricordi, l. c. N. 74.
2) So schildert sich Cardanus (de propria vita, cap. 13) als äußerst
rachsüchtig, aber auch als verax, memor beneficiorum, amans
justitiae
.

licher Leidenſchaft, um der bloßen Zweckmäßigkeit willen6. Abſchnitt.
auftritt, „damit andere Menſchen lernen dich unangefochten
„zu laſſen 1)“. Doch werden ſolche Fälle eine kleine Minder-
zahl geweſen ſein gegenüber von denjenigen, da die Leiden-
ſchaft Abkühlung ſuchte. Deutlich ſcheidet ſich hier dieſe
Rache von der Blutrache; während letztere ſich eher noch
innerhalb der Schranken der Vergeltung, des ius talionis
hält, geht die erſtere nothwendig darüber hinaus, indem ſie
nicht nur die Beiſtimmung des Rechtsgefühls verlangt, ſon-
dern die Bewunderer und je nach Umſtänden die Lacher
auf ihrer Seite haben will.

Hierin liegt denn auch der Grund des oft langen Auf-
ſchiebens. Zu einer „bella vendetta“ gehört in der Regel
ein Zuſammentreffen von Umſtänden, welches durchaus ab-
gewartet werden muß. Mit einer wahren Wonne ſchildern
die Novelliſten hie und da das allmälige Heranreifen ſolcher
Gelegenheiten.

Ueber die Moralität von Handlungen, wobei KlägerRache u. Dank-
barkeit.

und Richter eine Perſon ſind, braucht es weiter keines Ur-
theils. Wenn dieſe italieniſche Rachſucht ſich irgendwie
rechtfertigen wollte, ſo müßte dieß geſchehen durch den Nach-
weis einer entſprechenden nationalen Tugend, nämlich der
Dankbarkeit; dieſelbe Phantaſie, welche das erlittene Un-
recht auffriſcht und vergrößert, müßte auch das empfangene
Gute im Andenken erhalten 2). Es wird niemals möglich
ſein, einen ſolchen Nachweis im Namen des ganzen Volkes
zu führen, doch fehlt es nicht an Spuren dieſer Art im
jetzigen italieniſchen Volkscharacter. Dahin gehört bei den
gemeinen Leuten die große Erkenntlichkeit für honette Be-
handlung und bei den höhern Ständen das gute geſell-
ſchaftliche Gedächtniß.

1) Guicciardini, Ricordi, l. c. N. 74.
2) So ſchildert ſich Cardanus (de propria vita, cap. 13) als äußerſt
rachſüchtig, aber auch als verax, memor beneficiorum, amans
justitiæ
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[437/0447] licher Leidenſchaft, um der bloßen Zweckmäßigkeit willen auftritt, „damit andere Menſchen lernen dich unangefochten „zu laſſen 1)“. Doch werden ſolche Fälle eine kleine Minder- zahl geweſen ſein gegenüber von denjenigen, da die Leiden- ſchaft Abkühlung ſuchte. Deutlich ſcheidet ſich hier dieſe Rache von der Blutrache; während letztere ſich eher noch innerhalb der Schranken der Vergeltung, des ius talionis hält, geht die erſtere nothwendig darüber hinaus, indem ſie nicht nur die Beiſtimmung des Rechtsgefühls verlangt, ſon- dern die Bewunderer und je nach Umſtänden die Lacher auf ihrer Seite haben will. 6. Abſchnitt. Hierin liegt denn auch der Grund des oft langen Auf- ſchiebens. Zu einer „bella vendetta“ gehört in der Regel ein Zuſammentreffen von Umſtänden, welches durchaus ab- gewartet werden muß. Mit einer wahren Wonne ſchildern die Novelliſten hie und da das allmälige Heranreifen ſolcher Gelegenheiten. Ueber die Moralität von Handlungen, wobei Kläger und Richter eine Perſon ſind, braucht es weiter keines Ur- theils. Wenn dieſe italieniſche Rachſucht ſich irgendwie rechtfertigen wollte, ſo müßte dieß geſchehen durch den Nach- weis einer entſprechenden nationalen Tugend, nämlich der Dankbarkeit; dieſelbe Phantaſie, welche das erlittene Un- recht auffriſcht und vergrößert, müßte auch das empfangene Gute im Andenken erhalten 2). Es wird niemals möglich ſein, einen ſolchen Nachweis im Namen des ganzen Volkes zu führen, doch fehlt es nicht an Spuren dieſer Art im jetzigen italieniſchen Volkscharacter. Dahin gehört bei den gemeinen Leuten die große Erkenntlichkeit für honette Be- handlung und bei den höhern Ständen das gute geſell- ſchaftliche Gedächtniß. Rache u. Dank- barkeit. 1) Guicciardini, Ricordi, l. c. N. 74. 2) So ſchildert ſich Cardanus (de propria vita, cap. 13) als äußerſt rachſüchtig, aber auch als verax, memor beneficiorum, amans justitiæ.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 437. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/447>, abgerufen am 22.11.2024.