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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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die Rede gewesen ist, versteht sich bei dem gläubigen Theil6. Abschnitt.
des Volkes von selbst; bei den Emancipirten bedeutet und
bezeugt sie die Stärke der Jugendeindrücke und die enorme,
magische Kraft altgewohnter Symbole. Das Verlangen
des Sterbenden -- wer er auch sein mochte -- nach prie-
sterlicher Absolution beweist einen Rest von Höllenfurcht,
selbst bei einem Menschen wie jener Vitellozzo (a. a. O.)
war. Ein belehrenderes Beispiel als das seinige wird schwer
zu finden sein. Die kirchliche Lehre von dem Character
indelebilis
des Priesters, woneben seine Persönlichkeit in-
different wird, hat so weit Früchte getragen, daß man
wirklich den Priester verabscheuen und doch seine geistlichen
Spenden begehren kann. Freilich gab es auch Trotzköpfe
wie z. B. Fürst Galeotto von Mirandola 1), der 1499 in
einer bereits sechszehnjährigen Excommunication starb.
Während dieser ganzen Zeit war auch die Stadt um seinet-
willen im Interdict gewesen, so daß weder Messe noch ge-
weihtes Begräbniß stattfand.

Glänzend tritt endlich neben all diesen ZweideutigkeitenDie
Bußprediger.

hervor das Verhältniß der Nation zu ihren großen Buß-
predigern. Das ganze übrige Abendland ließ sich von Zeit
zu Zeit durch die Rede heiliger Mönche rühren, allein was
wollte dieß heißen neben der periodischen Erschütterung der
italienischen Städte und Landschaften? Zudem ist z. B. der
einzige, der während des XV. Jahrhunderts in Deutsch-
land eine ähnliche Wirkung hervorbrachte 2), ein Abruzzese
von Geburt gewesen, nämlich Giovanni Capistrano. Die-
jenigen Gemüther, welche einen so gewaltigen Ernst und
einen solchen religiösen Beruf in sich tragen, sind damals
im Norden intuitiv, mystisch; im Süden expansiv, practisch,
verbündet mit der hohen Achtung der Nation vor Sprache

1) Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV, Col. 362.
2) Er hatte einen deutschen und einen slavischen Dolmetscher bei sich.
Auch S. Bernhard hatte einst am Rhein desselben Mittels bedurft.
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die Rede geweſen iſt, verſteht ſich bei dem gläubigen Theil6. Abſchnitt.
des Volkes von ſelbſt; bei den Emancipirten bedeutet und
bezeugt ſie die Stärke der Jugendeindrücke und die enorme,
magiſche Kraft altgewohnter Symbole. Das Verlangen
des Sterbenden — wer er auch ſein mochte — nach prie-
ſterlicher Abſolution beweist einen Reſt von Höllenfurcht,
ſelbſt bei einem Menſchen wie jener Vitellozzo (a. a. O.)
war. Ein belehrenderes Beiſpiel als das ſeinige wird ſchwer
zu finden ſein. Die kirchliche Lehre von dem Character
indelebilis
des Prieſters, woneben ſeine Perſönlichkeit in-
different wird, hat ſo weit Früchte getragen, daß man
wirklich den Prieſter verabſcheuen und doch ſeine geiſtlichen
Spenden begehren kann. Freilich gab es auch Trotzköpfe
wie z. B. Fürſt Galeotto von Mirandola 1), der 1499 in
einer bereits ſechszehnjährigen Excommunication ſtarb.
Während dieſer ganzen Zeit war auch die Stadt um ſeinet-
willen im Interdict geweſen, ſo daß weder Meſſe noch ge-
weihtes Begräbniß ſtattfand.

Glänzend tritt endlich neben all dieſen ZweideutigkeitenDie
Bußprediger.

hervor das Verhältniß der Nation zu ihren großen Buß-
predigern. Das ganze übrige Abendland ließ ſich von Zeit
zu Zeit durch die Rede heiliger Mönche rühren, allein was
wollte dieß heißen neben der periodiſchen Erſchütterung der
italieniſchen Städte und Landſchaften? Zudem iſt z. B. der
einzige, der während des XV. Jahrhunderts in Deutſch-
land eine ähnliche Wirkung hervorbrachte 2), ein Abruzzeſe
von Geburt geweſen, nämlich Giovanni Capiſtrano. Die-
jenigen Gemüther, welche einen ſo gewaltigen Ernſt und
einen ſolchen religiöſen Beruf in ſich tragen, ſind damals
im Norden intuitiv, myſtiſch; im Süden expanſiv, practiſch,
verbündet mit der hohen Achtung der Nation vor Sprache

1) Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV, Col. 362.
2) Er hatte einen deutſchen und einen ſlaviſchen Dolmetſcher bei ſich.
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[467/0477] die Rede geweſen iſt, verſteht ſich bei dem gläubigen Theil des Volkes von ſelbſt; bei den Emancipirten bedeutet und bezeugt ſie die Stärke der Jugendeindrücke und die enorme, magiſche Kraft altgewohnter Symbole. Das Verlangen des Sterbenden — wer er auch ſein mochte — nach prie- ſterlicher Abſolution beweist einen Reſt von Höllenfurcht, ſelbſt bei einem Menſchen wie jener Vitellozzo (a. a. O.) war. Ein belehrenderes Beiſpiel als das ſeinige wird ſchwer zu finden ſein. Die kirchliche Lehre von dem Character indelebilis des Prieſters, woneben ſeine Perſönlichkeit in- different wird, hat ſo weit Früchte getragen, daß man wirklich den Prieſter verabſcheuen und doch ſeine geiſtlichen Spenden begehren kann. Freilich gab es auch Trotzköpfe wie z. B. Fürſt Galeotto von Mirandola 1), der 1499 in einer bereits ſechszehnjährigen Excommunication ſtarb. Während dieſer ganzen Zeit war auch die Stadt um ſeinet- willen im Interdict geweſen, ſo daß weder Meſſe noch ge- weihtes Begräbniß ſtattfand. 6. Abſchnitt. Glänzend tritt endlich neben all dieſen Zweideutigkeiten hervor das Verhältniß der Nation zu ihren großen Buß- predigern. Das ganze übrige Abendland ließ ſich von Zeit zu Zeit durch die Rede heiliger Mönche rühren, allein was wollte dieß heißen neben der periodiſchen Erſchütterung der italieniſchen Städte und Landſchaften? Zudem iſt z. B. der einzige, der während des XV. Jahrhunderts in Deutſch- land eine ähnliche Wirkung hervorbrachte 2), ein Abruzzeſe von Geburt geweſen, nämlich Giovanni Capiſtrano. Die- jenigen Gemüther, welche einen ſo gewaltigen Ernſt und einen ſolchen religiöſen Beruf in ſich tragen, ſind damals im Norden intuitiv, myſtiſch; im Süden expanſiv, practiſch, verbündet mit der hohen Achtung der Nation vor Sprache Die Bußprediger. 1) Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV, Col. 362. 2) Er hatte einen deutſchen und einen ſlaviſchen Dolmetſcher bei ſich. Auch S. Bernhard hatte einſt am Rhein deſſelben Mittels bedurft. 30*

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 467. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/477>, abgerufen am 26.11.2024.