6. Abschnitt.traste. Während z. B. an und für Kirchen rastlos gebaut, gemeißelt und gemalt wird, vernehmen wir aus dem Anfang des XVI. Jahrhunderts die bitterste Klage über Erschlaf- fung im Cultus und Vernachlässigung derselben Kirchen: Templa ruunt, passim sordent altaria, cultus Paula- tim divinus abit1)!... Es ist bekannt, wie Luther in Rom durch das weihelose Benehmen der Priester bei der Messe geärgert wurde. Und daneben waren die kirchlichen Feste mit einer Pracht und einem Geschmack ausgestattet, wovon der Norden keinen Begriff hatte. Man wird an- nehmen müssen, daß das Phantasievolk im vorzugsweisen Sinne das Alltägliche gern vernachlässigte um dann von dem Außergewöhnlichen sich hinreißen zu lassen.
Durch die Phantasie erklären sich auch jene Bußepide- mien, von welchen hier noch die Rede sein muß. Sie sind wohl zu unterscheiden von den Wirkungen jener großen Bußprediger; was sie hervorruft sind große allgemeine Calamitäten oder die Furcht vor solchen.
Bußepidemien.Im Mittelalter kam von Zeit zu Zeit über ganz Eu- ropa irgend ein Sturm dieser Art, wobei die Massen sogar in strömende Bewegung geriethen, wie z. B. bei den Kreuz- zügen und Geißelfahrten. Italien betheiligte sich bei beiden; die ersten ganz gewaltigen Geißlerschaaren traten hier auf, gleich nach dem Sturze Ezzelino's und seines Hauses, und zwar in der Gegend desselben Perugia 2), das wir bereits (S. 472, Anm.) als eine Hauptstation der spätern Buß- prediger kennen lernten. Dann folgten die Flagellanten 3) von 1310 und 1334 und dann die große Bußfahrt ohne Geißelung, von welcher Corio 4) zum Jahre 1399 erzählt.
1)Bapt. Mantuan. de sacris diebus, L. V.
2)Monach. Paduani chron. L. III, Anfang. Es heißt von dieser Buße: invasit primitus Perusinos, Romanos postmodum, deinde fere Italiae populos universos.
3)Giov. Villani VIII, 122. XI, 23.
4)Corio, fol. 281.
6. Abſchnitt.traſte. Während z. B. an und für Kirchen raſtlos gebaut, gemeißelt und gemalt wird, vernehmen wir aus dem Anfang des XVI. Jahrhunderts die bitterſte Klage über Erſchlaf- fung im Cultus und Vernachläſſigung derſelben Kirchen: Templa ruunt, passim sordent altaria, cultus Paula- tim divinus abit1)!... Es iſt bekannt, wie Luther in Rom durch das weiheloſe Benehmen der Prieſter bei der Meſſe geärgert wurde. Und daneben waren die kirchlichen Feſte mit einer Pracht und einem Geſchmack ausgeſtattet, wovon der Norden keinen Begriff hatte. Man wird an- nehmen müſſen, daß das Phantaſievolk im vorzugsweiſen Sinne das Alltägliche gern vernachläſſigte um dann von dem Außergewöhnlichen ſich hinreißen zu laſſen.
Durch die Phantaſie erklären ſich auch jene Bußepide- mien, von welchen hier noch die Rede ſein muß. Sie ſind wohl zu unterſcheiden von den Wirkungen jener großen Bußprediger; was ſie hervorruft ſind große allgemeine Calamitäten oder die Furcht vor ſolchen.
Bußepidemien.Im Mittelalter kam von Zeit zu Zeit über ganz Eu- ropa irgend ein Sturm dieſer Art, wobei die Maſſen ſogar in ſtrömende Bewegung geriethen, wie z. B. bei den Kreuz- zügen und Geißelfahrten. Italien betheiligte ſich bei beiden; die erſten ganz gewaltigen Geißlerſchaaren traten hier auf, gleich nach dem Sturze Ezzelino's und ſeines Hauſes, und zwar in der Gegend deſſelben Perugia 2), das wir bereits (S. 472, Anm.) als eine Hauptſtation der ſpätern Buß- prediger kennen lernten. Dann folgten die Flagellanten 3) von 1310 und 1334 und dann die große Bußfahrt ohne Geißelung, von welcher Corio 4) zum Jahre 1399 erzählt.
1)Bapt. Mantuan. de sacris diebus, L. V.
2)Monach. Paduani chron. L. III, Anfang. Es heißt von dieſer Buße: invasit primitus Perusinos, Romanos postmodum, deinde fere Italiæ populos universos.
3)Giov. Villani VIII, 122. XI, 23.
4)Corio, fol. 281.
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des XVI. Jahrhunderts die bitterſte Klage über Erſchlaf-
fung im Cultus und Vernachläſſigung derſelben Kirchen:
Templa ruunt, passim sordent altaria, cultus Paula-
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Rom durch das weiheloſe Benehmen der Prieſter bei der
Meſſe geärgert wurde. Und daneben waren die kirchlichen
Feſte mit einer Pracht und einem Geſchmack ausgeſtattet,
wovon der Norden keinen Begriff hatte. Man wird an-
nehmen müſſen, daß das Phantaſievolk im vorzugsweiſen
Sinne das Alltägliche gern vernachläſſigte um dann von
dem Außergewöhnlichen ſich hinreißen zu laſſen.
6. Abſchnitt.
Durch die Phantaſie erklären ſich auch jene Bußepide-
mien, von welchen hier noch die Rede ſein muß. Sie ſind
wohl zu unterſcheiden von den Wirkungen jener großen
Bußprediger; was ſie hervorruft ſind große allgemeine
Calamitäten oder die Furcht vor ſolchen.
Im Mittelalter kam von Zeit zu Zeit über ganz Eu-
ropa irgend ein Sturm dieſer Art, wobei die Maſſen ſogar
in ſtrömende Bewegung geriethen, wie z. B. bei den Kreuz-
zügen und Geißelfahrten. Italien betheiligte ſich bei beiden;
die erſten ganz gewaltigen Geißlerſchaaren traten hier auf,
gleich nach dem Sturze Ezzelino's und ſeines Hauſes, und
zwar in der Gegend deſſelben Perugia 2), das wir bereits
(S. 472, Anm.) als eine Hauptſtation der ſpätern Buß-
prediger kennen lernten. Dann folgten die Flagellanten 3)
von 1310 und 1334 und dann die große Bußfahrt ohne
Geißelung, von welcher Corio 4) zum Jahre 1399 erzählt.
Bußepidemien.
1) Bapt. Mantuan. de sacris diebus, L. V.
2) Monach. Paduani chron. L. III, Anfang. Es heißt von dieſer
Buße: invasit primitus Perusinos, Romanos postmodum,
deinde fere Italiæ populos universos.
3) Giov. Villani VIII, 122. XI, 23.
4) Corio, fol. 281.
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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 490. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/500>, abgerufen am 24.11.2024.
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