6. Abschnitt.eine Nachahmung der Bundeslade 1), wie sie einst das Volk Israel um die Mauern von Jericho trug. So erinnerte das gequälte Volk von Mailand den alten Gott an seinen alten Bund mit den Menschen, und als die Procession wieder in den Dom einzog und es schien, als müsse von dem Jammerruf misericordia! der Riesenbau einstürzen, da mochte wohl Mancher glauben, der Himmel müsse in die Gesetze der Natur und der Geschichte eingreifen durch irgend ein rettendes Wunder.
Verhalten der Regierung von Ferrara.Es gab aber eine Regierung in Italien, welche sich in solchen Zeiten sogar an die Spitze der allgemeinen Stim- mung stellte und die vorhandene Bußfertigkeit polizeilich ordnete: die des Herzogs Ercole I. von Ferrara 2). Als Savonarola in Florenz mächtig war und Weissagung und Buße in weiten Kreisen, auch über den Apennin hinaus, das Volk zu ergreifen begannen, kam auch über Ferrara großes freiwilliges Fasten (Anfang 1496); ein Lazarist ver- kündete nämlich von der Kanzel den baldigen Eintritt der schrecklichsten Krieges- und Hungersnoth, welche die Welt gesehen; wer jetzt faste, könne diesem Unheil entgehen, so habe es die Madonna einem frommen Ehepaar verkündigt. Darauf konnte auch der Hof nicht umhin zu fasten, aber er ergriff nun selber die Leitung der Devotion. Am 3. April (Ostertag) erschien ein Sitten- und Andachtsedict gegen Lästerung Gottes und der h.. Jungfrau, verbotene Spiele, Sodomie, Concubinat, Häuservermiethen an Huren und deren Wirthe, Oeffnung der Buden an Festtagen mit Aus- nahme der Becker und Gemüsehändler u. s. w.; die Juden und Maranen, deren viele aus Spanien hergeflüchtet waren, sollten wieder ihr gelbes O auf der Brust genäht tragen.
1) Man nannte es auch l'arca del testimonio, und war sich bewußt, die Sache sei conzado (eingerichtet) con gran misterio.
6. Abſchnitt.eine Nachahmung der Bundeslade 1), wie ſie einſt das Volk Israel um die Mauern von Jericho trug. So erinnerte das gequälte Volk von Mailand den alten Gott an ſeinen alten Bund mit den Menſchen, und als die Proceſſion wieder in den Dom einzog und es ſchien, als müſſe von dem Jammerruf misericordia! der Rieſenbau einſtürzen, da mochte wohl Mancher glauben, der Himmel müſſe in die Geſetze der Natur und der Geſchichte eingreifen durch irgend ein rettendes Wunder.
Verhalten der Regierung von Ferrara.Es gab aber eine Regierung in Italien, welche ſich in ſolchen Zeiten ſogar an die Spitze der allgemeinen Stim- mung ſtellte und die vorhandene Bußfertigkeit polizeilich ordnete: die des Herzogs Ercole I. von Ferrara 2). Als Savonarola in Florenz mächtig war und Weiſſagung und Buße in weiten Kreiſen, auch über den Apennin hinaus, das Volk zu ergreifen begannen, kam auch über Ferrara großes freiwilliges Faſten (Anfang 1496); ein Lazariſt ver- kündete nämlich von der Kanzel den baldigen Eintritt der ſchrecklichſten Krieges- und Hungersnoth, welche die Welt geſehen; wer jetzt faſte, könne dieſem Unheil entgehen, ſo habe es die Madonna einem frommen Ehepaar verkündigt. Darauf konnte auch der Hof nicht umhin zu faſten, aber er ergriff nun ſelber die Leitung der Devotion. Am 3. April (Oſtertag) erſchien ein Sitten- und Andachtsedict gegen Läſterung Gottes und der h.. Jungfrau, verbotene Spiele, Sodomie, Concubinat, Häuſervermiethen an Huren und deren Wirthe, Oeffnung der Buden an Feſttagen mit Aus- nahme der Becker und Gemüſehändler u. ſ. w.; die Juden und Maranen, deren viele aus Spanien hergeflüchtet waren, ſollten wieder ihr gelbes O auf der Bruſt genäht tragen.
1) Man nannte es auch l'arca del testimonio, und war ſich bewußt, die Sache ſei conzado (eingerichtet) con gran misterio.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0502"n="492"/><noteplace="left"><hirendition="#b"><hirendition="#u">6. Abſchnitt.</hi></hi></note>eine Nachahmung der Bundeslade <noteplace="foot"n="1)">Man nannte es auch <hirendition="#aq">l'arca del testimonio,</hi> und war ſich bewußt,<lb/>
die Sache ſei <hirendition="#aq">conzado</hi> (eingerichtet) <hirendition="#aq">con gran misterio.</hi></note>, wie ſie einſt das Volk<lb/>
Israel um die Mauern von Jericho trug. So erinnerte<lb/>
das gequälte Volk von Mailand den alten Gott an ſeinen<lb/>
alten Bund mit den Menſchen, und als die Proceſſion wieder<lb/>
in den Dom einzog und es ſchien, als müſſe von dem<lb/>
Jammerruf <hirendition="#aq">misericordia</hi>! der Rieſenbau einſtürzen, da<lb/>
mochte wohl Mancher glauben, der Himmel müſſe in die<lb/>
Geſetze der Natur und der Geſchichte eingreifen durch irgend<lb/>
ein rettendes Wunder.</p><lb/><p><noteplace="left">Verhalten der<lb/>
Regierung von<lb/>
Ferrara.</note>Es gab aber eine Regierung in Italien, welche ſich in<lb/>ſolchen Zeiten ſogar an die Spitze der allgemeinen Stim-<lb/>
mung ſtellte und die vorhandene Bußfertigkeit polizeilich<lb/>
ordnete: die des Herzogs Ercole <hirendition="#aq">I.</hi> von Ferrara <noteplace="foot"n="2)"><hirendition="#aq">Diario Ferrarese,</hi> bei <hirendition="#aq">Murat. XXIV, Col. 317. 322. 323. 326.<lb/>
386. 401.</hi></note>. Als<lb/>
Savonarola in Florenz mächtig war und Weiſſagung und<lb/>
Buße in weiten Kreiſen, auch über den Apennin hinaus,<lb/>
das Volk zu ergreifen begannen, kam auch über Ferrara<lb/>
großes freiwilliges Faſten (Anfang 1496); ein Lazariſt ver-<lb/>
kündete nämlich von der Kanzel den baldigen Eintritt der<lb/>ſchrecklichſten Krieges- und Hungersnoth, welche die Welt<lb/>
geſehen; wer jetzt faſte, könne dieſem Unheil entgehen, ſo<lb/>
habe es die Madonna einem frommen Ehepaar verkündigt.<lb/>
Darauf konnte auch der Hof nicht umhin zu faſten, aber<lb/>
er ergriff nun ſelber die Leitung der Devotion. Am 3. April<lb/>
(Oſtertag) erſchien ein Sitten- und Andachtsedict gegen<lb/>
Läſterung Gottes und der h.. Jungfrau, verbotene Spiele,<lb/>
Sodomie, Concubinat, Häuſervermiethen an Huren und<lb/>
deren Wirthe, Oeffnung der Buden an Feſttagen mit Aus-<lb/>
nahme der Becker und Gemüſehändler u. ſ. w.; die Juden<lb/>
und Maranen, deren viele aus Spanien hergeflüchtet waren,<lb/>ſollten wieder ihr gelbes <hirendition="#aq">O</hi> auf der Bruſt genäht tragen.<lb/></p></div></body></text></TEI>
[492/0502]
eine Nachahmung der Bundeslade 1), wie ſie einſt das Volk
Israel um die Mauern von Jericho trug. So erinnerte
das gequälte Volk von Mailand den alten Gott an ſeinen
alten Bund mit den Menſchen, und als die Proceſſion wieder
in den Dom einzog und es ſchien, als müſſe von dem
Jammerruf misericordia! der Rieſenbau einſtürzen, da
mochte wohl Mancher glauben, der Himmel müſſe in die
Geſetze der Natur und der Geſchichte eingreifen durch irgend
ein rettendes Wunder.
6. Abſchnitt.
Es gab aber eine Regierung in Italien, welche ſich in
ſolchen Zeiten ſogar an die Spitze der allgemeinen Stim-
mung ſtellte und die vorhandene Bußfertigkeit polizeilich
ordnete: die des Herzogs Ercole I. von Ferrara 2). Als
Savonarola in Florenz mächtig war und Weiſſagung und
Buße in weiten Kreiſen, auch über den Apennin hinaus,
das Volk zu ergreifen begannen, kam auch über Ferrara
großes freiwilliges Faſten (Anfang 1496); ein Lazariſt ver-
kündete nämlich von der Kanzel den baldigen Eintritt der
ſchrecklichſten Krieges- und Hungersnoth, welche die Welt
geſehen; wer jetzt faſte, könne dieſem Unheil entgehen, ſo
habe es die Madonna einem frommen Ehepaar verkündigt.
Darauf konnte auch der Hof nicht umhin zu faſten, aber
er ergriff nun ſelber die Leitung der Devotion. Am 3. April
(Oſtertag) erſchien ein Sitten- und Andachtsedict gegen
Läſterung Gottes und der h.. Jungfrau, verbotene Spiele,
Sodomie, Concubinat, Häuſervermiethen an Huren und
deren Wirthe, Oeffnung der Buden an Feſttagen mit Aus-
nahme der Becker und Gemüſehändler u. ſ. w.; die Juden
und Maranen, deren viele aus Spanien hergeflüchtet waren,
ſollten wieder ihr gelbes O auf der Bruſt genäht tragen.
Verhalten der
Regierung von
Ferrara.
1) Man nannte es auch l'arca del testimonio, und war ſich bewußt,
die Sache ſei conzado (eingerichtet) con gran misterio.
2) Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV, Col. 317. 322. 323. 326.
386. 401.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 492. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/502>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.