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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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seinesgleichen trügen mit die Hauptschuld, wenn die Bildung6. Abschnitt.
den Menschen von der Religion abwendig mache. Daran
aber ist doch nicht zu zweifeln, daß er eine wirkliche Be-
sorgniß wegen der heidnischen Tendenzen in seiner Nähe
verspürte. Was mögen sich vollends die Humanisten am
Hofe des heidnisch ruchlosen Sigismondo Malatesta (S. 499,
Anm.) erlaubt haben? Gewiß kam es bei diesen meist hal-
tungslosen Menschen wesentlich darauf an, wie weit ihre Um-
gebung ihnen zu gehen gestattete. Und wo sie das Christen-
thum anrühren, da paganisiren sie es (S. 255, 261). Man
muß sehen, wie weit z. B. ein Gioviano Pontano die Ver-
mischung treibt; ein Heiliger heißt bei ihm nicht nur Divus,
sondern Deus; die Engel hält er schlechtweg mit den Ge-
nien des Alterthums für identisch 1), und seine Ansicht von
der Unsterblichkeit gleicht einem Schattenreiche. Es kommt
zu einzelnen ganz wunderbaren Excessen in dieser Beziehung.
Als 1526 Siena 2) von der Partei der Ausgetriebenen an-
gegriffen wurde, stand der gute Domherr Tizio, der uns
dieß selber erzählt, am 22. Juli vom Bette auf, gedachte
dessen, was im dritten Buch des Macrobius 3) geschrieben
steht, las eine Messe, und sprach dann die in jenem Autor
aufgezeichnete Devotionsformel gegen die Feinde aus, nur
daß er statt Tellus mater teque Jupiter obtestor sagte:
Tellus teque Christe Deus obtestor. Nachdem er damit
noch an den zwei folgenden Tagen fortgefahren, zogen die
Feinde ab. Von der einen Seite sieht dergleichen aus, wie

1) Während doch die bildende Kunst wenigstens zwischen Engeln und
Putten unterschied und für alle ernsten Zwecke die erstern anwandte.
-- Annal. Estens. bei Murat. XX, Col. 468 heißt der Amorin
oder Putto ganz naiv: instar Cupidinis angelus.
2) Della Valle, lettere sanesi, III, 18.
3) Macrob. Saturnal. III, 9. Ohne Zweifel machte er auch die dort
vorgeschriebenen Gesten dazu.

ſeinesgleichen trügen mit die Hauptſchuld, wenn die Bildung6. Abſchnitt.
den Menſchen von der Religion abwendig mache. Daran
aber iſt doch nicht zu zweifeln, daß er eine wirkliche Be-
ſorgniß wegen der heidniſchen Tendenzen in ſeiner Nähe
verſpürte. Was mögen ſich vollends die Humaniſten am
Hofe des heidniſch ruchloſen Sigismondo Malateſta (S. 499,
Anm.) erlaubt haben? Gewiß kam es bei dieſen meiſt hal-
tungsloſen Menſchen weſentlich darauf an, wie weit ihre Um-
gebung ihnen zu gehen geſtattete. Und wo ſie das Chriſten-
thum anrühren, da paganiſiren ſie es (S. 255, 261). Man
muß ſehen, wie weit z. B. ein Gioviano Pontano die Ver-
miſchung treibt; ein Heiliger heißt bei ihm nicht nur Divus,
ſondern Deus; die Engel hält er ſchlechtweg mit den Ge-
nien des Alterthums für identiſch 1), und ſeine Anſicht von
der Unſterblichkeit gleicht einem Schattenreiche. Es kommt
zu einzelnen ganz wunderbaren Exceſſen in dieſer Beziehung.
Als 1526 Siena 2) von der Partei der Ausgetriebenen an-
gegriffen wurde, ſtand der gute Domherr Tizio, der uns
dieß ſelber erzählt, am 22. Juli vom Bette auf, gedachte
deſſen, was im dritten Buch des Macrobius 3) geſchrieben
ſteht, las eine Meſſe, und ſprach dann die in jenem Autor
aufgezeichnete Devotionsformel gegen die Feinde aus, nur
daß er ſtatt Tellus mater teque Jupiter obtestor ſagte:
Tellus teque Christe Deus obtestor. Nachdem er damit
noch an den zwei folgenden Tagen fortgefahren, zogen die
Feinde ab. Von der einen Seite ſieht dergleichen aus, wie

1) Während doch die bildende Kunſt wenigſtens zwiſchen Engeln und
Putten unterſchied und für alle ernſten Zwecke die erſtern anwandte.
Annal. Estens. bei Murat. XX, Col. 468 heißt der Amorin
oder Putto ganz naiv: instar Cupidinis angelus.
2) Della Valle, lettere sanesi, III, 18.
3) Macrob. Saturnal. III, 9. Ohne Zweifel machte er auch die dort
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[511/0521] ſeinesgleichen trügen mit die Hauptſchuld, wenn die Bildung den Menſchen von der Religion abwendig mache. Daran aber iſt doch nicht zu zweifeln, daß er eine wirkliche Be- ſorgniß wegen der heidniſchen Tendenzen in ſeiner Nähe verſpürte. Was mögen ſich vollends die Humaniſten am Hofe des heidniſch ruchloſen Sigismondo Malateſta (S. 499, Anm.) erlaubt haben? Gewiß kam es bei dieſen meiſt hal- tungsloſen Menſchen weſentlich darauf an, wie weit ihre Um- gebung ihnen zu gehen geſtattete. Und wo ſie das Chriſten- thum anrühren, da paganiſiren ſie es (S. 255, 261). Man muß ſehen, wie weit z. B. ein Gioviano Pontano die Ver- miſchung treibt; ein Heiliger heißt bei ihm nicht nur Divus, ſondern Deus; die Engel hält er ſchlechtweg mit den Ge- nien des Alterthums für identiſch 1), und ſeine Anſicht von der Unſterblichkeit gleicht einem Schattenreiche. Es kommt zu einzelnen ganz wunderbaren Exceſſen in dieſer Beziehung. Als 1526 Siena 2) von der Partei der Ausgetriebenen an- gegriffen wurde, ſtand der gute Domherr Tizio, der uns dieß ſelber erzählt, am 22. Juli vom Bette auf, gedachte deſſen, was im dritten Buch des Macrobius 3) geſchrieben ſteht, las eine Meſſe, und ſprach dann die in jenem Autor aufgezeichnete Devotionsformel gegen die Feinde aus, nur daß er ſtatt Tellus mater teque Jupiter obtestor ſagte: Tellus teque Christe Deus obtestor. Nachdem er damit noch an den zwei folgenden Tagen fortgefahren, zogen die Feinde ab. Von der einen Seite ſieht dergleichen aus, wie 6. Abſchnitt. 1) Während doch die bildende Kunſt wenigſtens zwiſchen Engeln und Putten unterſchied und für alle ernſten Zwecke die erſtern anwandte. — Annal. Estens. bei Murat. XX, Col. 468 heißt der Amorin oder Putto ganz naiv: instar Cupidinis angelus. 2) Della Valle, lettere sanesi, III, 18. 3) Macrob. Saturnal. III, 9. Ohne Zweifel machte er auch die dort vorgeſchriebenen Geſten dazu.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 511. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/521>, abgerufen am 24.11.2024.