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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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6. Abschnitt.ganz deutlich die uralte Erinnerung an einen Telesten fort,
dessen Name im Laufe der Zeit durch den des Virgil ver-
drängt wurde. So ist das Einschließen des geheimnißvollen
Bildes der Stadt in ein Gefäß nichts anderes als ein
echtes antikes Telesma; so ist Virgil der Mauerngründer
von Neapel nur eine Umbildung des bei der Gründung
anwesenden Weihepriesters. Die Volksphantasie spann mit
wucherndem Reichthum an diesen Dingen weiter bis Virgil
auch der Urheber des ehernen Pferdes, der Köpfe am No-
laner Thor, der ehernen Fliege über irgend einem andern
Thore, ja der Grotte des Posilipp u. s. w. geworden war --
lauter Dinge, welche das Schicksal in einzelnen Beziehungen
magisch binden, während jene beiden Züge das Fatum von
Neapel überhaupt zu bestimmen scheinen. Auch das mittel-
alterliche Rom hatte verworrene Erinnerungen dieser Art.
in Mailand;In S. Ambrogio zu Mailand befand sich ein antiker mar-
morner Hercules; so lange derselbe an seiner Stelle stehe,
hieß es, werde auch das Reich dauern, wahrscheinlich das
der deutschen Kaiser, deren Krönungskirche S. Ambrogio
in Florenz;war 1). Die Florentiner waren überzeugt 2), daß ihr (später
zum Baptisterium umgebauter) Marstempel stehen werde
bis ans Ende der Tage, gemäß der Constellation, unter
welcher er zur Zeit des Augustus erbaut war; die mar-
morne Reiterstatue des Mars hatten sie allerdings daraus
entfernt als sie Christen wurden, weil aber die Zertrüm-
merung derselben großes Unheil über die Stadt gebracht
haben würde -- ebenfalls wegen einer Constellation -- so

gilius", in Pfeiffer's Germania, IV. -- Das Aufkommen Virgils
an der Stelle des ältern Telesten mag sich am ehesten dadurch er-
klären, daß etwa die häufigen Besuche an seinem Grabe schon wäh-
rend der Kaiserzeit dem Volk zu denken gaben.
1) Uberti: Dittamondo L. III, cap. 4.
2) Das Folgende s. bei Gio. Villani I, 42. 60. II, 1. III, 1. V, 38.
XI,
1. Er selber glaubt an solche gottlose Sachen nicht. -- Vgl.
Dante, Inferno XIII, 146.

6. Abſchnitt.ganz deutlich die uralte Erinnerung an einen Teleſten fort,
deſſen Name im Laufe der Zeit durch den des Virgil ver-
drängt wurde. So iſt das Einſchließen des geheimnißvollen
Bildes der Stadt in ein Gefäß nichts anderes als ein
echtes antikes Telesma; ſo iſt Virgil der Mauerngründer
von Neapel nur eine Umbildung des bei der Gründung
anweſenden Weiheprieſters. Die Volksphantaſie ſpann mit
wucherndem Reichthum an dieſen Dingen weiter bis Virgil
auch der Urheber des ehernen Pferdes, der Köpfe am No-
laner Thor, der ehernen Fliege über irgend einem andern
Thore, ja der Grotte des Poſilipp u. ſ. w. geworden war —
lauter Dinge, welche das Schickſal in einzelnen Beziehungen
magiſch binden, während jene beiden Züge das Fatum von
Neapel überhaupt zu beſtimmen ſcheinen. Auch das mittel-
alterliche Rom hatte verworrene Erinnerungen dieſer Art.
in Mailand;In S. Ambrogio zu Mailand befand ſich ein antiker mar-
morner Hercules; ſo lange derſelbe an ſeiner Stelle ſtehe,
hieß es, werde auch das Reich dauern, wahrſcheinlich das
der deutſchen Kaiſer, deren Krönungskirche S. Ambrogio
in Florenz;war 1). Die Florentiner waren überzeugt 2), daß ihr (ſpäter
zum Baptiſterium umgebauter) Marstempel ſtehen werde
bis ans Ende der Tage, gemäß der Conſtellation, unter
welcher er zur Zeit des Auguſtus erbaut war; die mar-
morne Reiterſtatue des Mars hatten ſie allerdings daraus
entfernt als ſie Chriſten wurden, weil aber die Zertrüm-
merung derſelben großes Unheil über die Stadt gebracht
haben würde — ebenfalls wegen einer Conſtellation — ſo

gilius“, in Pfeiffer's Germania, IV. — Das Aufkommen Virgils
an der Stelle des ältern Teleſten mag ſich am eheſten dadurch er-
klären, daß etwa die häufigen Beſuche an ſeinem Grabe ſchon wäh-
rend der Kaiſerzeit dem Volk zu denken gaben.
1) Uberti: Dittamondo L. III, cap. 4.
2) Das Folgende ſ. bei Gio. Villani I, 42. 60. II, 1. III, 1. V, 38.
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1. Er ſelber glaubt an ſolche gottloſe Sachen nicht. — Vgl.
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[542/0552] ganz deutlich die uralte Erinnerung an einen Teleſten fort, deſſen Name im Laufe der Zeit durch den des Virgil ver- drängt wurde. So iſt das Einſchließen des geheimnißvollen Bildes der Stadt in ein Gefäß nichts anderes als ein echtes antikes Telesma; ſo iſt Virgil der Mauerngründer von Neapel nur eine Umbildung des bei der Gründung anweſenden Weiheprieſters. Die Volksphantaſie ſpann mit wucherndem Reichthum an dieſen Dingen weiter bis Virgil auch der Urheber des ehernen Pferdes, der Köpfe am No- laner Thor, der ehernen Fliege über irgend einem andern Thore, ja der Grotte des Poſilipp u. ſ. w. geworden war — lauter Dinge, welche das Schickſal in einzelnen Beziehungen magiſch binden, während jene beiden Züge das Fatum von Neapel überhaupt zu beſtimmen ſcheinen. Auch das mittel- alterliche Rom hatte verworrene Erinnerungen dieſer Art. In S. Ambrogio zu Mailand befand ſich ein antiker mar- morner Hercules; ſo lange derſelbe an ſeiner Stelle ſtehe, hieß es, werde auch das Reich dauern, wahrſcheinlich das der deutſchen Kaiſer, deren Krönungskirche S. Ambrogio war 1). Die Florentiner waren überzeugt 2), daß ihr (ſpäter zum Baptiſterium umgebauter) Marstempel ſtehen werde bis ans Ende der Tage, gemäß der Conſtellation, unter welcher er zur Zeit des Auguſtus erbaut war; die mar- morne Reiterſtatue des Mars hatten ſie allerdings daraus entfernt als ſie Chriſten wurden, weil aber die Zertrüm- merung derſelben großes Unheil über die Stadt gebracht haben würde — ebenfalls wegen einer Conſtellation — ſo 1) 6. Abſchnitt. in Mailand; in Florenz; 1) Uberti: Dittamondo L. III, cap. 4. 2) Das Folgende ſ. bei Gio. Villani I, 42. 60. II, 1. III, 1. V, 38. XI, 1. Er ſelber glaubt an ſolche gottloſe Sachen nicht. — Vgl. Dante, Inferno XIII, 146. 1) gilius“, in Pfeiffer's Germania, IV. — Das Aufkommen Virgils an der Stelle des ältern Teleſten mag ſich am eheſten dadurch er- klären, daß etwa die häufigen Beſuche an ſeinem Grabe ſchon wäh- rend der Kaiſerzeit dem Volk zu denken gaben.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 542. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/552>, abgerufen am 21.11.2024.